Stefan Koldehoff: In eigener Sache berichten wir nur in ganz großen Ausnahmefällen. Solch eine Ausnahme gibt es heute: eine traurige, denn wir hier im Deutschlandfunk – und ganz sicher auch viele von unseren Hörerinnen und Hörern – trauern um unseren Kollegen Hermann Theißen. Er ist am Wochenende völlig überraschend gestorben, im Schlaf. In unzähligen Sendungen und Features, die er als Redakteur zu verantworten hatte, ging es ihm immer auch um jene grundsätzlichen Fragen der Politik und der Moral, die bei der täglichen Arbeit leicht aus dem Bewusstsein verschwinden. Hermann Theißen hat die Geschichten und die Autorinnen und Autoren gefunden, durch die diese Themen über den Deutschlandfunk ein großes Publikum erreichen konnten: kraftvoll, leidenschaftlich und auch streitlustig, unabhängig und sorgfältig: so wie er war und so wie dieses Programm ist. Ich habe seinen Freund und Kollegen Werner Dütsch, Autor und langjähriger Redakteur beim Westdeutschen Rundfunk, gebeten zu sagen, wie er Hermann Theißen wahrgenommen hat.
Werner Dütsch: Ich habe ihn ja zuerst als Regisseur kennengelernt. Er war in eine Produktion verwickelt, mit der ich zu tun hatte, nämlich ein Film über die Killer in Sabre und Shatila, dieses furchtbare Massaker. Darüber haben wir einen Film produziert, an dem er auch als Co-Autor beteiligt war. Da haben wir uns kennengelernt. Ich kannte seinen Namen natürlich aus dem Radio, aus dem Deutschlandfunk, aber dann fing eigentlich so eine sehr spannende Beziehung an. Das letzte Treffen war kurz vor Weihnachten. Ich erzähle ihm von Chaplin; er sagt, ja dann macht er mal ein Feature draus. Ich erzähle ihm von François Truffaut, und er sagt, das ist mir nicht politisch genug. Er war sehr entschieden in seinen Zuneigungen und Abneigungen und konnte mit einer unglaublichen Begeisterung über seine eigene Arbeit sprechen, ob er gerade von einer Reise zurückkam oder man in seinem Büro saß, und er sagt, Du musst Dir den Anfang dieses Features anhören, da haben wir mit der Musik und den Texten wunderbare Sachen gemacht. Auf solche Sachen war er richtig stolz.Man sagt ja immer so gern, jeder sei ersetzbar. Das würde ich in dem Falle nicht sagen, weil er schon eine ganz einzigartige Person war, die eine unglaubliche Arbeit geleistet hat, der man gerne zugehört hat, der streitlustig war, der sich auch gerne in der Welt herumtrieb, der gerne in Wien, in Moskau, in Rom war, und ich weiß gar nicht, wann er das alles gemacht hat. Das ist mir eigentlich unvorstellbar als Arbeitspensum.
"Es steckte so eine Besessenheit in ihm"
Koldehoff: Herr Dütsch, nach dem, was Sie gerade gesagt haben, wenn ich jetzt frage, was der Journalist, den Sie gerade beschrieben haben, für ein Mensch gewesen ist, ist das überhaupt die richtige Frage? Gab es die Trennung überhaupt?
Dütsch: Die gab es eigentlich gar nicht. Ob wir uns im Büro über was unterhalten haben, oder ob wir zusammen irgendwo essen waren: Die Gespräche waren kaum unterschiedlich. Es steckte so eine Besessenheit in ihm. Er erfand Themen und er stieß permanent auf Themen, und darüber hat er auch sofort angefangen zu sprechen und aus allen Sachen wurden dann wahnsinnig schnell Projekte. Und das waren extrem unterschiedliche Sachen. Es ging um Politiker, es ging um Literatur, es ging um Künstler, es ging um Psychiater. Er hat ja auch Diskussionen organisiert und konnte da mit Experten zusammensitzen. Er konnte sich das trauen, weil er auch so was wie eine universale Bildung hatte, die es ihm erlaubt hat, mit extrem unterschiedlichen Disziplinen zusammenzuarbeiten.
Koldehoff: Werner Dütsch zum Tod des großartigen Menschen und Deutschlandfunk-Redakteurs Hermann Theißen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.