"Das Meer. Nur das Meer! Warum, Vater, hast du mich in die Stadt gebracht?"
Immer wieder beschwört Rafael Alberti in seinen Gedichten das Meer. Es ist die Konstante im Werk eines Dichters, der als Lyriker und Symbolfigur des spanischen Exils bis heute weltweit bewundert wird.
Geboren am 16. Dezember 1902 in der andalusischen Hafenstadt El Puerto de Santa María, wuchs Rafael Alberti als fünftes von sechs Kindern auf. Über seine ersten Jahre erzählte er dem spanischen Fernsehen: "Ich war eigentlich Maler. Mit dem Schreiben habe ich erst sehr spät angefangen. In der Schule wollte ich nur malen. Ich bin fast nie in den Unterricht gegangen, sondern an den Strand, an den Hafen und habe dort gezeichnet: Muschelhörner, die Plakate der Schifffahrtgesellschaft "La Trasatlantica", die bis nach Amerika fuhr, die Hafenstraßen. Der Bucht von Cádiz schulde ich fast alles, was ich bin."
Als die Familie 1917 nach Madrid umzieht, widmet sich der junge Alberti zunächst der Malerei. Im Prado studiert er die Gemälde der alten Meister und bekommt im Kunstzirkel Ateneo eine eigene Ausstellung. Während eines Kuraufenthaltes in den Bergen beginnt er zu schreiben, die Malerei rückt an zweite Stelle. Bereits für seinen ersten Gedichtband "Marinero en tierra", "Seemann an Land", erhält er 1925 den spanischen Literaturpreis.
"Wenn meine Stimme an Land stirbt,
bringt sie hinunter ans Meer
und lasst sie mir am Strande."
Albertis kraftvolle Stimme und die intuitive Leichtigkeit seiner Poesie begeistern die spanische Kulturszene. Vom Erfolg beflügelt, experimentiert der Autodidakt mit surrealistischen und barocken Stilformen. Im Kulturzentrum "Residencia de Estudiantes" lernt er Federico García Lorca und Luis Cernuda kennen, gründet mit ihnen die als "Generation von 1927" bekannte Dichtergruppe.
Und er verliebt sich in die Schriftstellerin María Teresa León. Die beiden träumen von einem neuen, revolutionären Spanien, einer Gesellschaft ohne Klassenunterschiede. Alberti wird Mitglied der Kommunistischen Partei. Als nach dem Putsch von General Franco der Bürgerkrieg ausbricht, ruft er in flammenden Worten zum Widerstand gegen die Verschwörer auf und organisiert Kontakte zu antifaschistischen Intellektuellen in aller Welt. Sein von Paco Ibáñez vertontes Gedicht "Galope" ist den Soldaten der spanischen Republik gewidmet.
Von Nostalgie geprägte Poesie
1939, wenige Monate vor Francos Sieg, fliehen Alberti und seine Frau wie Tausende andere Künstler und Intellektuelle nach Frankreich, von dort weiter nach Argentinien und Italien. Das Paar glaubt, bald nach Spanien zurückkehren zu können. Doch die Diktatur überdauert den Zweiten Weltkrieg, Franco soll noch bis zu seinem Tod 1975 an der Macht bleiben. Ein zunehmend nostalgischer Ton prägt nun Albertis Poesie. Als der französisch-spanische Kulturverein ihn 1966 ehrt, registriert die demokratische Opposition in Spanien aufmerksam seine Dankesworte.
"Wie viele Jahre starrten wir Verbannte auf jenes ferne Vaterland, das wir immer noch Heimat nennen. Keines seiner Leiden blieb uns fremd. Wir sahen neue Generationen heranwachsen, die Freiheit für ihre jungen Stimmen brauchten und sie mit lauten Rufen einforderten. In allen Sprachen der Iberischen Halbinsel rufen sie jenen Begriff, der hier in Frankreich erfunden wurde: Freiheit"
Nach Spanien kehren Rafael Alberti und seine Frau erst anderthalb Jahre nach Francos Tod, am 27. April 1977, zurück. Am Madrider Flughafen empfängt eine jubelnde Menge den Mann mit der weißen Mähne.
"Ich ging mit geschlossener Faust und kehre zurück mit der ausgestreckten Hand."
Seine Begrüßungsworte machen den Dichter im Spanien der "transición", des sanften Übergangs von der Diktatur zu Demokratie, zur Symbolfigur. 1983 erhält er den angesehenen Cervantes-Preis.
Als Rafael Alberti am 27. Oktober 1999 mit 96 Jahren stirbt, erfüllt die Familie seinen letzten Wunsch und verstreut die Asche über der Bucht von Cádiz, über dem Meer, das er so sehr liebte.