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Tod in Den Haag

Zu einem strafrechtlichen Urteil des Kriegsverbrechertribunals über den in Den Haag gestorbenen Slobodan Milosevic wird es nicht mehr kommen. Die Zeitgeschichte allerdings hat ihres schon gesprochen: Milosevic gilt als der Mann, der mit nationalistischer Hetze den sorgfältig austarierten Vielvölkerstaat Jugoslawien zerstört hat, der mit gewaltsamen ethnischen Säuberungen den Krieg ins seit einem halben Jahrhundert friedliche Europa zurückgebracht und jahrelang Staatsmänner aus aller Welt an der Nase herumgeführt hat.

Von Norbert Mappes-Niediek | 11.03.2006
    Fast ein Jahrzehnt lang hat er die Welt erschüttert, heute früh nun ist Slobodan Milosevic einen stillen Tod gestorben. Ein Wächter fand den 64-Jährigen am Morgen in seiner Zelle, die seit viereinhalb Jahren sein letzter Wohnsitz war.
    Im großen Gerichtssaal des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag haben Besucher in den letzten vier Jahren durch eine saalgroße Panzerglasscheibe die kriegerischen 90er Jahre noch einmal erleben können: wieder mit Slobodan Milosevic in der Hauptrolle, dem Mann mit dem energisch gereckten Kinn und dem immer etwas ungläubigen Blick, der immer ein wenig Entsetzen darüber verriet, mit was für einem unsinnigen Vorwurf er nun da schon wieder konfrontiert wurde. Nun ist der serbische und später jugoslawische Präsident seinen Gegenspielern, dem Kroaten Franjo Tudjman, dem bosnischen Muslim Alija Izetbegovic und dem Kosovo-Albaner Ibrahim Rugova, in den Tod gefolgt.

    Wie Milosevic gestorben ist, lässt sich jetzt noch nicht sicher sagen. Vieles spricht dafür, dass sein Herz versagt hat. Wegen seines hohen Blutdrucks hatte Milosevic seinem Prozess in den letzten Monaten schon mehrfach nicht folgen können. Zuletzt hatte der Angeklagte verlangt, in Moskau behandelt zu werden, nachdem ihn von dort ein entsprechendes Angebot erreicht hatte. Seine Richter haben seinen Antrag auf vorübergehende Haftverschonung Ende Februar abgelehnt. Nun, da der Tod Milosevics Befürchtungen bestätigt hat, werden seine Richter Erklärungsbedarf haben.

    Zu einem strafrechtlichen Urteil wird es nicht mehr kommen. Die Zeitgeschichte allerdings hat ihr Urteil schon gesprochen: Slobodan Milosevic gilt als der Mann, der mit nationalistischer Hetze den zerbrechlichen und sorgfältig austarierten Vielvölkerstaat Jugoslawien zerstört hat, der mit gewaltsamen ethnischen Säuberungen den Krieg ins seit einem halben Jahrhundert friedliche Europa zurückgebracht und jahrelang Staatsmänner und Diplomaten aus aller Welt an der Nase herumgeführt hat.

    Genozid warf die Anklage ihm vor, Völkermord, eine Tat also, für die zuletzt 1946 in Nürnberg die Nazi-Kriegsverbrecher verurteilt wurden. In Kroatien, in Bosnien, im Kosovo, aber auch in Westeuropa und den USA galt der mächtige Mann aus Belgrad als der böse Geist schlechthin. Was andere in den Kriegen der 90er Jahre taten, vor allem die eigenen Leute, schien bloß vom Dämon Milosevic provoziert und damit schon halb entschuldet. Serbien, das ihm 15 Jahre lang durch etliche, auch durch leidlich demokratische Wahlen gefolgt war, jagte ihn im Juni 2001 wie einen Sündenbock, beladen mit sämtlichen Schuldpäckchen der Jäger, vor die Tore der Stadt.

    Vom Prozess gegen ihn erwarteten sich die Ankläger eine reinigende Wirkung auf die serbische Gesellschaft: lückenlose Fernsehübertragung wurde garantiert, Journalisten wurde der ständige Aufenthalt in Den Haag bezahlt. Die Katharsis blieb aus. In Serbien, das heute in die EU und in die Nato strebt, die das Land erst vor sieben Jahren bombardieren ließ, machte sich im Gegenteil zunehmend eine klammheimliche Freude über die Selbstverteidigung des Unbeugsamen in Den Haag breit. Nicht als Herausforderung kam der Haager Prozess in die serbischen Wohnzimmer, sondern als Trost.

    Schon als aktiver Politiker war Milosevic beliebtes Objekt von Mystifizierungen – nicht Wenigen erschienen der Zerfall Jugoslawiens und die nachfolgenden Kriege als Elemente eines großen Plans, den Milosevic in seiner Belgrader Schublade liegen hatte. Milosevic war es - für strukturelle Probleme, aber auch für andere Akteure, ihr Versagen und ihre Verbrechen, blieb da kein Raum. Aber Milosevic war ganz und gar kein Hitler. Ein Blick auf die Biografie dieses Mannes zeigt vorwiegend Einfaches, Nachvollziehbares, Banales – hier gibt es kein Wiener Männerheim, keine Schlüsselerlebnisse, keinen ansteckenden Fanatismus. Was es zeitweise gab, waren aufgeputschte Massen. Aber wie im Falle Hitlers lohnt auch hier der Blick auf die Krankheiten der serbischen Gesellschaft mehr als der auf die Figur, an der die Erregung sich entzündete.

    Slobodan Milosevic wurde am 20. August 1941 als zweiter Sohn des Gymnasiallehrers Svetozar Milosevic und seiner Frau Stanislava in Pozarevac geboren, einem kleinen, freundlichen Städtchen an der Donau, etwa eine Autostunde östlich von Belgrad. Die Eltern stammten beide aus dem bergigen Norden von Montenegro, einer Gegend, wo nationale Mythen bis heute eine wichtige Rolle spielen. Vater Svetozar hatte vor dem Krieg Serbokratisch, Russisch und orthodoxe Theologie studiert, verließ die Familie allerdings schon, als der kleine Slobodan fünf Jahre alt war – viel Einfluss auf den Sohn hat er nicht ausüben können. Von Mutter Stanislava heißt es, dass sie eher den kommunistischen Partisanen zugetan war. Nichts spricht dafür, dass die später so viel zitierte serbische Mythenwelt in Slobodan Milosevics Kindheit eine wichtige Rolle gespielt hätte.

    Aus seiner sicher nicht einfachen Kindheit weiß man, dass er nie einen besten Freund hatte, fleißig war, aber kein Streber. 17-jährig lernte er seine Frau Mira Markovic kennen, die aus der Parteiaristokratie stammte und mit er bis zu seinem Tode eng verbunden geblieben ist: eine selbstständige und selbstbewusste Frau, die Soziologie studiert hat, die im Herrschaftssystem ihres Mannes später eine wichtige und unschöne Rolle spielte, sich aber als Feministin bezeichnet und durchaus eigene Ansichten äußerte.

    Parteieintritt schon mit 18, Jurastudium, dann Manager in so genannten gesellschaftlichen Betrieben, erst bei "Technogas", einer Art serbischer Gasprom, später bei der wichtigen "Beogradska banka", der Bank von Belgrad: Milosevic hat das Gesellschaftssystem der "sozialistischen Marktwirtschaft", für das Jugoslawien weltweit beachtet wurde, gründlich studiert. Als Banker war er mehr als 60 Mal in New York. Er sprach gut Englisch und verstand viel von Wirtschaft. Begleiter seiner Aufstiegsjahre rühmen seine Intelligenz und Wendigkeit.

    Nebojsa Popov, heute Herausgeber der systemkritischen Zeitung "Republika" und ein scharfer und kundiger Widersacher seines Regimes, hat den kritischen und aufgeweckten Studenten Milosevic einmal selber zu seinem Nachfolger als Parteisekretär in der Fakultät vorgeschlagen.

    Auf der Ebene der Republik förderte ihn besonders der damals mächtige Ivan Stambolic, ein durch und durch gemäßigter Mann, dem an einer vorsichtigen Demokratisierung Serbiens gelegen war. Bald stand Stambolic Milosevics weiterem Aufstieg im Wege: Um ihn beiseite zu schieben, verbündete sich der aufstrebende Reformer 1986 überraschend mit dem "nationalen" Flügel der Partei - eine Wendung, die man allgemein nicht schön fand, die aber im Bereich dessen bleibt, was man bei Politikern für normal halten muss – bei Menschen also, deren wichtigste Qualifikation es eben ist, sich durchzusetzen.

    In der ganz normalen KP-Karriere dieses talentierten Apparatschniks mag sich vieles Interessante finden – Monströses aber findet man dort nicht. Auch die Spekulationen über seinen Charakter, auf die seine Biografen sich später verlegten, förderten wenig Auffälliges. Einen "kalten Narziss" hat ihn etwa der Psychologe Zarko Trebjesanin genannt.

    Milosevic war kein Asket, trank und aß, verfügte über einen etwas sarkastischen Humor und liebte es, in der Unterhaltung mit seinem beträchtlichen Wissen und seiner Weltläufigkeit zu glänzen. Einen gewissen intellektuellen Snobismus ließ er noch in Den Haag gern aufblitzen, wenn er das Tribunal verspottete:

    "Langweilen sie mich nicht, indem sie mir Texte vorlesen, die auf dem intellektuellen Niveau eines siebenjährigen Kindes verfasst wurden. Ich korrigiere mich: eines geistig zurückgebliebenen siebenjährigen Kindes."

    Es war der Ton, den seine Anhänger liebten. Aus Pomp und Pracht macht er sich nichts. Dass beide Eltern durch Selbstmord endeten, kann wenigstens direkt auf Milosevics Charakterbildung keinen Einfluss ausgeübt haben. Der Vater erschoss sich 1962, als der Sohn, den er kaum kannte, schon über 20 war, die Mutter erhängte sich 1974.

    Noch in den 80er Jahren gehörte der damalige Manager zu den Hoffnungen der Modernisierer und galt manchen Diplomaten zeitweise als eine Art jugoslawischer Gorbatschow. Der damalige US-Botschafter in Belgrad, Lawrence Eagleburger, war ganz vernarrt in den pragmatischen, weltoffenen und geschickten Milosevic und schickte Jubelberichte nach Washington, als der scheinbare Reformer sich 1986 zum serbischen Parteichef wählen ließ. Das Manöver gelang, und weil der Zeitgeist zunehmend das nationale Fähnchen blähte, wurde Milosevic zum Volkshelden. Dass er für seine "antibürokratische Revolution" bereits nationale Stimmungen ausnutzte, fanden die Amerikaner anfangs nicht weiter schlimm; sie hielten den Kommunismus für das weit größere Übel. Nur der deutsche Botschafter Horst Grabert schickte Milosevic dafür Goethes "Zauberlehrling" in serbischer Übersetzung – eine weise Vorausdeutung von Milosevics späterem Weg.

    Auch als er international schon verachtet wurde, zog Milosevic seine Besucher, besonders die vielen Vermittler und Sonderbeauftragten, immer wieder in seinen Bann. Eagleburgers Nachfolger Warren Zimmermann, schon vorsichtiger, meinte einmal, Milosevic mache "großen Eindruck auf Leute, die schlecht informiert" seien. Als die post-jugoslawischen Kriegsherren im November 1995 alle in Dayton/Ohio beisammen saßen, um einen Frieden für Bosnien zu schließen, erfasste Milosevic als einziger das Groteske der Situation und bewältigte das unwürdige Gefeilsche um Märkte und Moscheen mit seinem Zynismus.

    Richard Holbrooke, der 1995 von Clinton als eine Art Wunderdiplomat auf den Balkan geschickt wurde, fand ihn "charmant" und "gerissen". Es verblüffte ihn, dass ausgerechnet Milosevic nach dem Tod eines US-Diplomaten in Bosnien mit warmen, herzlichen Worten kondolierte. Seinem Charme erlagen sogar politische Gegner: Vuk Draskovic, heute Außenminister, kam aus der ersten Begegnung mit ihm wie umgedreht heraus. Gesprächspartner betonten Milosevics abrupte Stimmungswechsel, die er offenbar gezielt einsetzte; er beherrschte das Repertoire einstudierter Machtgebärden.

    Das serbische Volk sah ihn eher selten. Die Phase seiner großen Auftritte dauerte nur gut zwei Jahre – 1988 und 1989. Später hielt er noch Wahlreden, eine Aufgabe, der er sich gekonnt, aber ohne Leidenschaft entledigte. Ein großer Redner war er nie, es fehlte ihm der feierliche, manchmal komische Ernst seines kroatischen Kontrahenten Franjo Tudjman, aber auch die weltmännische Nonchalance und die Prunkliebe des großen Tito. Die Herzen der Serben flogen ihm nur eine relativ kurze Zeit, etwa vier Jahre lang, zu. Schon 1991 begann Milosevics langer Abstieg in der Publikumsgunst, bei dem er seine taktischen Qualitäten erst richtig bewies. Man bewunderte ihn weiter, man schätzte seine Professionalität, liebte ihn aber nicht mehr.

    Den ersten wirklichen serbischen Volksführer nach Nikola Pasic, dem Regierungschef im Ersten Weltkrieg, hat ihn der Nestor des neuen serbischen Nationalismus, Dobrica Cosic, einmal genannt. Aber auch diese Anerkennung galt eher seinem taktischen Genie als seiner visionären Kraft.

    Ein Taktiker war er, viele hielten ihn für einen Opportunisten, der sich der nationalen Stimmungen nur kühl bediente. Die Faszination jedenfalls in der internationalen politischen Kollegenschaft verdiente sich Milosevic weniger mit charismatischen Auftritten als mit seiner legendären Fähigkeit, den Kopf immer wieder aus der Schlinge zu ziehen. Es begann im Kroatienkrieg des Jahres 1991, als er sich einen Waffenstillstand nach dem anderen abhandeln ließ und jeden brach. Mit seiner Taktik gelang es ihm, ganze Batterien von Außenministern, Botschaftern und Sonderbeauftragten zu beschäftigen.

    Als sein Land im Mai 1992 in Acht und Bann geriet, hielten seine Kritiker das für das Ende. Milosevic machte aus dem Handicap einen Vorteil und festigte seine Macht. Als die nationale Begeisterung in Serbien dann drei Jahre später endgültig in Verdruss umschlug, wechselte er fast die gesamte Führungsspitze aus und warf seinen treuesten nationalistischen Alliierten ins Gefängnis. Den monatelangen Straßenprotest gegen seine Macht im Winter 1996/97 ließ er mit überraschendem Einlenken ins Leere laufen.

    Erst in Zoran Djindjic fand er im Oktober 2000 seinen Meister: Nach dem verlorenen Kosovo-Krieg und ohne Aussicht, dass die internationale Isolierung Serbiens einmal ein Ende nehmen würde, halfen keine Kontakte mehr. Organisiert von Djindjic ging das Volk auf die Straße, Milosevic zog sich zurück. Acht Monate später gehorchte Djindjic internationalem Druck und lieferte den unter Hausarrest Stehenden nach Den Haag aus.

    Milosevic: "Wir, das serbische Volk werden für unsere Sache kämpfen und gewinnen."

    Sätze wie dieser, gesprochen 1988, sind selten. Was Slobodan Milosevic an Nationalismus hervorgebracht hat, praktisch ebenso wie verbal, blieb im Rahmen des regional Üblichen. Auf den Weg des nationalen Heroen geriet er eher unverhofft. Als frisch gebackener serbischer Parteichef sah sich der neue Hoffnungsträger bei einem Besuch in Kosovo polje bei Prishtina einer aufgepeitschten Menge von Serben gegenüber, die sich von Kosovo-Albanern verfolgt fühlten. Die Polizei musste den neuen Mann aus Belgrad geradezu drängen, zu den Leuten zu sprechen.

    Eher aus Unsicherheit denn aus Überzeugung sagte er der Menge, was sie hören wollte, wenn man den Berichten Glauben schenken darf: "Niemand darf euch wieder schlagen!" Mehr durch Zufall auf den Pfad des Nationalserben geschickt, ging er den Weg konsequent weiter und hielt zwei Jahre später seine berühmte Rede auf dem Amselfeld, bei der er künftige "bewaffnete Kämpfe" nicht mehr ausschließen wollte. Selbst wenn man diese Rede heute wieder liest, lässt sich die begeisterte Stimmung kaum nachempfinden: keine furiose Aufstachelung zum Krieg, eher eine listige Ansprache, die das Publikum lenkt und selber verstehen lässt, was es hören will, keine Hitlerrede, eher die Ansprache von Marc Anton an Cäsars Grab. Ein verächtliches Wort über Kroaten, Muslime oder Albaner ist von ihm nie bekannt geworden.

    Wer in Slobodan Milosevics Biografie oder in seinem Charakter, in seinen Plänen und in seinen Reden den Schlüssel zur Erklärung der jugoslawischen Kriege sucht, muss scheitern – die Banalität seiner Karriere weist zurück auf die Strukturen dieses unglücklichen Staates, der nach dem Zweiten Weltkrieg, der hier ein Ausbruch von nationalistischem Hass gewesen war, von den Kommunisten ganz neu und ganz anders gestaltet wurde und an seiner gut gemeinten Konstruktion zu Bruch ging. Wie immer aber waren es nicht die Strukturen, die das taten, sondern Menschen, die sich aus Eitelkeit, aus Machtgier, aus Verantwortungslosigkeit zu Instrumenten des Verhängnisses machten, statt dass sie versucht hätten, es aufzuhalten.
    Nicht die Wurzeln des serbischen Nationalismus kann man Milosevic vorhalten, nicht die entwurzelten Plünderer und Mörder aus den Vorstädten der serbischen Großstädte, sondern dass er sich ihnen nicht entgegengestellt hat.

    Nicht einer der Verbrecher, die vor allem in Bosnien Dörfer anzündeten, Menschen in Busse verluden und außer Landes trieben, in Lagern Gefangene quälten und schließlich, in Srebrenica, Tausende unschuldiger Menschen durch Genickschuss hinrichteten oder mit MP-Salven direkt in die Massengräber warfen, ist unter Slobodan Milosevic für seine Taten zur Rechenschaft gezogen worden. So lange der Zyniker, der große Diplomat, das taktische Genie in Belgrad an der Macht war, konnte jeder Mörder sich sicher fühlen. Seine ganze Energie galt dem Zusammenhalt seines Machtapparats. Und wenn er sich auf Mörder, Diebe und sonst wie Korrumpierte stützen konnte, dann war es für die Verewigung seiner Macht nur umso besser.

    In seinen späten Jahren scheute er auch vor direkten Anstiftungen zum Mord nicht zurück – gegen Stambolic etwa, gegen einen prominenten Journalisten und, gleich zweimal, wenn auch ohne Erfolg, gegen Vuk Draskovic. Dass Slobodan Milosevic ein Verbrecher war, wird für künftige Generationen außer Frage bleiben.

    Ganz zum Schluss, in Den Haag, hat Milosevic noch einmal eine neue Rolle gefunden, eine, die ihn - so hoffte er - vor der Geschichte hätte legitimieren sollen: Die Rolle als letzter Verteidiger der alten Versailler Friedensordnung und des Systems der Vereinten Nationen mit ihrem Grundsatz der Nichteinmischung gegen die neue Weltordnung unter der Vorherrschaft der Amerikaner – ausgerechnet Milosevic, der jahrelang auf die Amerikaner setzte, um sich der Europäer zu erwehren, und der damit eine Zeit lang sogar Erfolg hatte.
    Milosevic: "Ich hatte die Ehre, mein Volk gegen eine verbrecherische Aggression zu verteidigen, gegen einen Terrorismus, mit dem die Clinton-Regierung eng zusammengearbeitet hat."

    Geglaubt hat ihm die Pose fast niemand mehr. Zum Schluss bekam der Angeklagte in Den Haag wöchentlich noch ein, zwei Briefe: von einigen steinalten kommunistischen Weltkriegsveteranen, von Schülerinnen, denen der Mann im Gefängnis leid tat, vom Internationalen Freidenkerverband und von einigen kleinen Solidaritätskomitees aus Russland und Dänemark. Alle anderen scheinen heute Schwierigkeiten zu haben, sich mit diesem Mann zu identifizieren. Dass Macht von ebenso viel Verantwortung begleitet sein muss und dass Mord und Plünderung zur Verwirklichung gleich welcher Ziele keine legitimen Mittel sind, spricht sich weltweit herum.