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Tod in der Arena

George Bizets Oper "Carmen" gehört zu den ABC-Waffen von Opernintendanten: Man kann mit ihr nicht viel falsch machen. Die jüngste Premiere fand an der Nederlandse Opera in Amsterdam statt. Auf dem Programmheft sieht man Frauenbeine in roten High Heels im Sand vor einem blutroten Opernvorhang. Im Programmheft wird von Nietzsche, Hemingway und Garcia Lorca über Stierkampf, Todessehnsucht, das Romantische und das Exotische philosophiert.

Von Christoph Schmitz |
    Der Skandal der Uraufführung der "Carmen" 1875 und die folgende weltweite Faszination bestanden ja darin, dass auf der Bühne Proletarier und Kriminelle ihre Daseinsfreude und ihre Machenschaften ausleben durften. Und sie bestand darin, dass eine Frau als Titelheldin ohne Skrupel auf erotische Selbstbestimmung und absolute Freiheit pochte.

    Zugleich war und ist diese Carmen ein Naturereignis, in dem die unerhörte Leichtigkeit des Seins, erotische Ekstase, kühle Egozentrik und fatalistische Todessehnsucht zusammenspielen. Vor allem diese Nachtseite der Carmen malte Nadia Krasteva in der Titelpartie mit ihrem düster schimmernden Mezzosopran wundervoll aus - wie hier in ihrer Seguidilla, wenn sie den Soldaten José dazu verführt, sie freizulassen.

    "Wer will mein Herz? Es ist zu haben, wer jetzt erscheint, hat Glück bei mir!"

    Nadia Krasteva faszinierte von der ersten bis zur letzten Minute in der Amsterdamer Premiere. Ihre Stimme und ihr Ausstrahlung machten es einem meistens leicht, ihre schwächere schauspielerische Leistung wegzudenken.

    Die für die Partitur charakteristische geniale Verzahnung von Heiterkeit und Ernst, von Operette und Tragödie entfaltete Marc Albrecht als Dirigent des Königlichen Concertgebouw-Orchesters mit allem Reichtum der Klangpalette. Schon bei der Einleitung des ersten Akts, wo die zentralen Motive der Oper kontrastreich vorgestellt werden, zeigten Albrecht und seine Musiker wie leichtfüßig und schnell sie von Stimmung zu Stimmung umschalten und sich mit Haut und Haar dem Klamauk, dem Kitsch, dem Kampf und dem Kummer verschreiben. Und dies mit technischer Perfektion und psychologischem Gespür. Auch die großen Entwicklungsbögen gestaltete das Orchester natürlich und kraftvoll, wie in der Kneipen-Szene des zweiten Akts, wenn sich die Schmuggler versammeln. Lässig und langsam, fast beiläufig heben die Bläser an ...

    ... um dann innerhalb von fünf Minuten allmählich zu einem ekstatischen Tanz aufzudrehen.

    Regisseur Robert Carsen hat diese Szene als heiße Disco-Nummer im Rotlicht-Milieu gestaltet. Carmen und ihre Freundinnen sind Huren von heute, ihre Zuhälter betreiben einen illegalen Waffenhandel. Im Hintergrund der Einheitsbühne steigen im Halbrund die Sitzreihen aus roten Plastikstühlen einer modernen Stierkampfarena auf. Die füllt sich schon vor der Ouvertüre mit fröhlichen Zuschauern, also mit Komparsen und Chorsängern. Sehr schön spielt Carson so mit der lichten Seite der Oper, die Spaß und Spannung des Volksfestes feiert, woran man als Zuschauer gerne teilnimmt. Für das Lager der Schmuggler in den Bergen im dritten Akt werden Teile der Arena-Bestuhlung umgekippt, wodurch eine zerklüftete Landschaft angedeutet wird. Die flammenden Lagerfeuer im abgedunkelten Raum verstärken die symbolische Nachtsituation. Das fatalistische Karten-Trio mit Todesahnung ist damit stimmig eingebettet. Die Schlussszene spielt wiederum in der Arena und nicht, wie im Libretto vorgesehen, davor. Da, wo der Mann den Stier tötet, tötet José die Frau. Eine ziemlich platte Botschaft über das Verhältnis der Geschlechter, das sonst in der Inszenierung subtiler verhandelt wird. Kyle Ketelsen sang dabei einen saftigen Macho-Escamillo.

    " Toreador, zum Kampfe! Sei dir bewusst, die Liebste wartet schon."

    Die kleine Heldin des Abends aber war Genia Kühmeier als Micaela mit einem blütenreinen duftigen Sopran. Und Yonghoon Lee steigerte sich zu einem strahlenden Don José, bis in den Mord.

    "Nehmt mich fest, denn ich habe sie getötet. Carmen, mein Leben."