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Tod von Aktivist Schischow
Belarus-Experte: Lukaschenko möchte auch im Ausland Angst verbreiten

Es sei sehr wahrscheinlich, dass der in Kiew tot aufgefundene belarussische Aktivist Vitaly Schischow auf Anweisung des Regimes von Alexander Lukaschenko ermordet wurde, sagte Belarus-Experte Volodymyr Kildii im Dlf. Lukaschenko wolle zeigen, dass Regimekritiker auch im Ausland nicht sicher seien.

Volodymyr Kildii im Gespräch mit Philipp May |
Ein Aktivist in Kiew hält am 3.8.2021 ein Schwarz-Weiß-Porträtfoto des in Kiew tot aufgefundenen belarussischen Aktivisten Vitali Schischow in die Luft.
Demonstranten protestieren nach dem Tod des belarussischen Aktivisten Vitali Schischow in Kiew (IMAGO / NurPhoto / STR)
Der belarussische Aktivist Vitaly Schischow ist am Morgen des 3. August 2021 tot in einem Park nahe seines Wohnorts in Kiew gefunden worden. Die ukrainische Polizei hat Hinweise auf ein Gewaltverbrechen. Die Leiche weise Verletzungen auf, darunter ein Kratzer an der Nase und eine Wunde an der Lippe, teilte die Nationalpolizei mit. Sie ermittelt unter anderem wegen Mordverdachts.
Die Organisation "Belarussisches Haus in der Ukraine", in der Schischow engagiert war, geht von einem Mordanschlag aus. Es gebe keinen Zweifel, dass es eine geplante Operation von Geheimagenten aus Belarus gewesen sei, hieß es. Dies ist auch aus Sicht von Volodymyr Kildii wahrscheinlich, er ist Projektkoordinator der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Region Ukraine und Belarus. "Wir müssen natürlich auf die Ergebnisse der Polizeiermittlung warten, aber meiner Meinung nach gibt es genug Gründe zu glauben, dass er ermordet wurde", sagte er im Dlf.
Aktivistinnen und Aktivisten in Kiew (Ukraine) halten zum Gedenken Porträts des belarussischen Oppositionellen Witali Schischow in der Hand. Er wurde erhängt in einem Park gefunden, nicht weit von seinem Zuhause entfernt.
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Lukaschenko möchte "Atmosphäre der Angst ins Ausland exportieren"

Schischow sei ein Aktivist gewesen, "der so weit ging, im Ausland eine Organisation zu gründen, um Belarussen im Ausland zu helfen, um die Öffentlichkeit über die Verbrechen des belarussischen Regimes zu informieren, und er wollte einfach nicht schweigen". Lukaschenko sei im vergangenen Jahr stärker geworden, gleichzeitig sei die Unzufriedenheit mit dem Regime so hoch wie noch nie.
Lukaschenko wolle mit der Verfolgung von Regimekritikern auch außerhalb von Belarus zeigen, dass Aktivisten auch im Ausland nicht sicher seien, so Kildii. In Belarus herrsche schon jetzt eine Atmosphäre von Angst: "Die unabhängigen Medien werden geschlossen, Journalisten werden verfolgt, unabhängige nichtstaatliche Organisationen werden aufgelöst und es gibt viele Wohnungsdurchsuchungen bei ihren Mitgliedern. Diese Atmosphäre der Angst, meiner Meinung nach, möchte er und das Regime jetzt auch ins Ausland exportieren, dass alle Belarussen, unabhängig davon, wo sie sich befinden, das fühlen können."
Viele Exil-Belarussen würden sich in der Ukraine vor Lukaschenko auch schon nicht mehr sicher fühlen und das Land daher vor allem als Transitland nutzen, um dann in eines der EU-Mitgliedsstaaten zu ziehen, sagte Kildii.
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Das Interview im Wortlaut:

Philipp May: Halten Sie es auch für wahrscheinlich, dass Vitali Schischow ermordet wurde?
Volodymyr Kildii: Seine Kollegen aus der Organisation Belarussisches Haus in der Ukraine, die er geleitet hat, sagen, er wurde schon lange von jemandem verfolgt und wurde auch mehrmals darüber von unterschiedlichen Quellen in und aus Belarus gewarnt. Schischow war ein Aktivist, der das Land während der Proteste verlassen hat, und auch seine Freundin, die mit ihm in Kiew lebte - sie ist auch aus Belarus geflohen -, hat den Medien erzählt, dass er keine depressiven Gedanken oder keine Gedanken über Selbstmord früher geäußert hat.
Wir müssen natürlich auf die Ergebnisse der Polizeiermittlung warten, aber meiner Meinung nach gibt es genug Grunde zu glauben, dass er ermordet wurde.
May: Wenn das so wäre, dass er tatsächlich einem Mord zum Opfer gefallen ist, ist es dann wahrscheinlich, dass das Lukaschenko-Regime auch hinter dem Mord steckt?
Kildii: Ich denke, im Moment scheint es wirklich die glaubwürdigste Version der Ereignisse zu sein. Schischow war ein Aktivist, der so weit ging, im Ausland eine Organisation zu gründen, um Belarussen im Ausland zu helfen, um die Öffentlichkeit über die Verbrechen des belarussischen Regimes zu informieren, und er wollte einfach nicht schweigen. Soweit ich weiß: Die Exil-Belarussen, die Unterstützer der Demokratiebewegung glauben fast alle, dass er in der Tat von dem belarussischen Sicherheitsdienst ermordet wurde.
Diese Tatsache, dass die Exil-Belarussen hier in der Ukraine vor Lukaschenko sich nicht mehr sicher fühlen können, könnte natürlich auch einer der Gründe sein, warum viele belarussischen Aktivisten und Politiker die Ukraine momentan nur als Transitland nutzen, um dann in einen der EU-Mitgliedsstaaten zu ziehen. Viele andere bleiben jedoch und jetzt, was ich auch für wichtig halte, findet sogar eine Aktion vor der belarussischen Botschaft in Kiew statt, und da gibt es auch viele Vertreter der belarussischen Diaspora.

"In Belarus herrscht jetzt eine Atmosphäre von Angst"

May: Wie ist es denn eigentlich? Wenn der Sicherheitsdienst dahinter steckt, heißt das dann auch, dass Lukaschenko direkt dahinter steckt? Oder agiert dieser Sicherheitsdienst autonom im Prinzip, im Geiste von Lukaschenko, aber nicht auf Weisung?
Kildii: Diese Frage ist jetzt ganz schwierig zu beantworten, weil das Regime ist natürlich ganz geschlossen und wir wissen überhaupt nicht, wie die Entscheidungen da getroffen wurden. Aber von was ich weiß: Ich nehme an, dass keine solche wichtige Entscheidung wie ein Mord eines Aktivisten ohne Lukaschenkos Zusage gemacht werden könnte.
May: Also müssen jetzt alle belarussischen Regimekritiker auch im Exil den langen Arm von Lukaschenko fürchten? Ist das die Botschaft?
Kildii: Ich denke, das ist genau das, was Lukaschenko jetzt mit diesem Mord erreichen möchte. Das ist genau das, was er eigentlich sagen möchte. Das Regime möchte damit zeigen, dass er diese langen Hände hat. In Belarus herrscht jetzt eine Atmosphäre von Angst. Die unabhängigen Medien werden geschlossen, Journalisten werden verfolgt, unabhängige nichtstaatliche Organisationen werden aufgelöst und es gibt viele Wohnungsdurchsuchungen bei ihren Mitgliedern. Diese Atmosphäre der Angst, meiner Meinung nach, möchte er und das Regime jetzt auch ins Ausland exportieren, dass alle Belarussen, unabhängig davon, wo sie sich befinden, das fühlen können.

"Das Regime ist stärker geworden"

May: Jetzt haben wir ja auch gerade in Tokio die Affäre um die Leichtathletin Timonowskaja. Sind das alles Zeichen der Stärke oder eher der Schwäche des Lukaschenko-Regimes?
Kildii: Das ist definitiv eine gute Frage. Das Regime ist auf jeden Fall im Vergleich zum letzten Herbst schon stärker geworden. Damals war es nicht für den Maßstab der Proteste bereit. Sie waren in der Nähe, sie hatten keine klaren Anführer, die inhaftiert werden können, um die ganze Demokratiebewegung zu brechen. Jetzt, wo die Straßenproteste vorbei sind, hat das Regime angefangen, den Rest der noch bestehenden Freiheiten im Land zu untergraben. Ich würde sagen, dies zeigt noch immer seine Schwäche, weil es jede abweichende Meinung jetzt fürchtet und es als existenzbedrohend betrachtet.
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May: Dennoch die Hoffnung, die ja viele Lukaschenko-Gegner letzten Herbst hatten, dass die Revolution glückt, sich am Ende auch die Sicherheitskräfte möglicherweise gegen Lukaschenko wenden, Lukaschenko weggefegt wird. Die hat sich ja nicht erfüllt. Sitzt er nicht doch vielleicht fester im Sattel als wir alle gedacht haben?
Kildii: Tatsächlich sind in Belarus diese wichtigen Dinge nicht passiert, die einige autoritäre Regime zum Ende gebracht haben. Die Armee und die Polizei sind an der Seite der Regierung geblieben. Ich glaube jedoch, für Lukaschenko ist das derzeit eine viel schwierigere Situation als zuvor. Es gab zwar in Belarus immer Opposition, aber die Wahlen in 2020 waren das erste Mal, dass die Zahl derer, die mit dem Regime unzufrieden waren, so hoch war. Es gab immer einen unausgesprochenen Konsens über Stabilität im Austausch für Freiheiten und es gab keine sichtbare Alternative zu Lukaschenko.
Jetzt ist dieser Konsens gebrochen und das Ausmaß der vom Regime verübten Gewalt wird wahrscheinlich nicht so schnell vergessen werden. Auch die internationale Aufmerksamkeit für Belarus ist stärker denn je. Ich denke natürlich nicht, dass das Regime plötzlich über Nacht zusammenbricht, aber es muss sich jetzt auf Angst und Einschüchterung verlassen, wirklich viel mehr als zuvor verlassen.

"Schwierig, überhaupt in Belarus offen Protest zu äußern"

May: Wenn Sie sagen, Angst und Einschüchterung, welche Möglichkeiten hat unter diesen Umständen die Protestbewegung in Belarus noch?
Kildii: Das ist eine sehr schwierige Frage. Unter den gegenwärtigen Umständen ist es sehr schwierig, überhaupt in Belarus offen Protest zu äußern. Das bedeutet natürlich nicht, dass die belarussische Gesellschaft jetzt plötzlich allem, was das Regime macht, zustimmt. Aber leider können die Organisationen, die sich in Belarus befinden, wirklich nicht viel unter diesen Umständen machen.
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May: Umso interessanter ist natürlich die Perspektive von außen. Wirken die Sanktionen des Westens gegen das Lukaschenko-Regime? Können die was dazu beitragen, dieses Regime wirklich ernsthaft zu gefährden?
Kildii: Ich denke, die Wirtschaftssanktionen sind ein wirksames Instrument, um dem Regime zu schaden. Aber wir müssen auch ihre Grenze anerkennen. Das Problem ist, dass der Westen leider nicht die einzige Finanzierungsquelle für Belarus ist. Solange Russland das Regime unterstützt, ist es nicht wahrscheinlich, dass es auseinanderfällt. Und die völlige Entfremdung des Regimes vom Westen macht Minsk nur noch abhängiger von Russland und kann es theoretisch zu Zugeständnissen zwingen, die es wahrscheinlich unter anderen Umständen nicht machen würde, um so Belarus noch stärker unter Putins Kontrolle zu bringen.
Aber was ich noch sagen möchte ist: Der Westen kann auf jeden Fall es nicht erlauben, mit dem Regime Business as usual zu machen, denn das würde bedeuten, dass Lukaschenko jetzt alles, was er will, tun kann und dafür ungestraft bleibt. Internationaler Druck und Wirtschaftssanktionen müssen bestehen, müssen bleiben und sogar verschärft werden. Aber nur sie selbst können wahrscheinlich nicht die Lösung für die Situation sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.