Ein Autowrack am Straßenrand, völlig ausgebrannt. Und zwei Leichen, die eine vermutlich der Fahrer des Wagens, die andere angeblich die des afghanischen Taliban-Führers Mullah Mansur. Das sind die Spuren des amerikanischen Drohnen-Angriffs vom Wochenende. Der Ort: Die pakistanische Provinz Balutschistan. Dort hatten die USA ihre Raketen bisher noch nicht eingesetzt.
Die Stadt Quetta in Balutschistan ist de facto das Hauptquartier der afghanischen Taliban. Hier versammelten sich die Kommandeure im vergangenen Sommer, um einen Nachfolger ihres legendären Gründers und Anführers Mullah Omar zu bestimmen. Hier sollen angeblich auch gestern Kommandeure über die Nachfolge von Mullah Mansur beraten haben. Das wäre ein Indiz dafür, dass einer der beiden Insassen im verkohlten Auto tatsächlich der Taliban-Chef war.
Pakistanische Sicherheitskreise zeigten sich empört über den Luftschlag, über den sie offenbar erst im Nachhinein informiert worden waren. Und sie behaupten, der Beifahrer sei ein herkömmlicher Reisender gewesen, der Mullah Mansur lediglich stark geähnelt habe. Als angeblichen Beweis präsentierten sie einen Reisepass, was sofort Zweifel weckte: Denn der Passinhaber ist laut den pakistanischen Behörden zur Unkenntlichkeit verbrannt, sein Ausweis aber unversehrt.
Der afghanische Geheimdienst behauptet dagegen, er hätte Mansur schon länger überwacht. Auch das ist aber eine Version, die nicht alle glauben – derselbe Geheimdienst hatte vor acht Monaten die Taliban-Offensive gegen die Großstadt Kundus völlig übersehen. Wohl auch deshalb sprach US-Außenminister Kerry lediglich davon, dass Mansour sehr wahrscheinlich tot sei. Denn eine endgültige Bestätigung der Taliban steht noch aus.
Ein afghanischer Regierungssprecher begründete den Schlag gegen den Taliban-Chef so:
"Die afghanische Regierung hat alles dafür getan, Mullah Mansour zu Friedensgesprächen zu überreden. Aber er wollte keinen Frieden. Also hat er seine Quittung erhalten."
Tatsächlich hatte Afghanistans Präsident Ghani Ende April erklärt, die Zeit der Gesprächsangebote sei vorbei. Jetzt werde die Regierung alle Mittel ausschöpfen, um das Land zu verteidigen. Kurz zuvor hatten die Taliban die Verantwortung für einen schweren Anschlag mit mehr als 60 Toten in Kabul übernommen.
Taliban sind gespalten
Mullah Mansur hatte die Terrorgruppe offenbar klammheimlich seit mehr als zwei Jahren angeführt und seine Macht gefestigt. Vor zehn Monaten wurde er offiziell neuer Taliban-Chef. Damals wurde bekannt, dass der legendäre Taliban-Gründer Mullah Omar zwei Jahre zuvor gestorben war.
Aber nicht alle Taliban waren mit Mansur als Nachfolger einverstanden. Einige Gruppen liefen zum konkurrierenden Islamischen Staat über, der in Afghanistan ebenfalls aktiv ist. Allerdings gelang es Mansur offenbar, seine Macht zu festigen – militärische Erfolge wie die kurzzeitige Eroberung von Kundus halfen ihm dabei. Nach dem jetzigen Schlag gegen Mansur dürfte es für die Taliban noch schwieriger werden, einen neuen Anführer zu bestimmen, glaubt der afghanische Politik-Analyst Haroun Mir:
"Die Taliban sind gespalten. Es gab Kämpfe zwischen einzelnen Gruppen. Und jetzt wird es schwierig für sie, sich auf einen neuen Anführer zu einigen. Die ranghöchsten Kommandeure dürften außerdem ziemlich Angst haben, dass sie die nächsten sein werden."
Denn in Pakistan, so sehen es viele Beobachter, konnten sich die afghanischen Taliban bisher weitgehend sicher fühlen. Die Drohnenangriffe auf pakistanischem Gebiet richteten sich meist gegen die Terrorgruppe Al Kaida oder das berüchtigte Haqqani-Terrornetzwerk, das allerdings mit den Taliban verbündet ist. Haroun Mir glaubt, dass das Haqqani-Netzwerk jetzt den Nachfolger Mansurs stellen könnte. Viele Afghanen gehen davon aus, dass dieses Netzwerk auch hinter dem schweren Anschlag vom April in Kabul steckt. Haroun Mir:
"Wir wissen, dass es jetzt mehr Gewalt geben wird. Wir wissen, dass es Racheakte geben wird von Taliban und Haqqani-Netzwerk. Schon heute oder morgen sind Selbstmordanschläge in Kabul wahrscheinlich. Aber wir wissen auch, dass die Taliban Kabul niemals übernehmen werden."
Allerdings scheinen auch Friedensgespräche mit den Taliban endgültig vom Tisch zu sein. Der scheinbar endlose Krieg in Afghanistan dürfte also weiter gehen.