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Todesdroge "Mäusebutter"

Das "Singwerk auf ein Frauenleben" kreist um die Geschichte der Geesche Gottfried, die im Bremen des 19. Jahrhunderts fast ihre Familie und Nachbarschaft ausrottete, ehe sie überführt wurde. Nun wurde die Oper von Adriana Hölszky zu neuem Leben erweckt.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Die Frau mordete, 15 mal in 20 Jahren. Erst aus Not, dann wohl immer mehr aus Gewohnheit und Lust. Erst den trunksüchtigen, syphilitischen Ehemann, dann die Mutter, die Kinder, den Vater, den zweiten Mann, den Bruder, schließlich Bekannte aus der Nachbarschaft.

    Sie experimentierte mit ihren Giften, Rattengift, wie man es in jeder Apotheke kaufen konnte – bis man endlich Verdacht schöpfte, sie verhaftete, hinrichtete und ihren Kopf in Spiritus einlegte. Sie war als Monster eine internationale Attraktion. Tausende wollten ihre Hinrichtung erleben. In ihrer Haft hatte sie die Vision, dass die Ermordeten alle wieder auferstanden. Sie litt unter ihren Psychosen.

    Über den Fall der Gesche Gottfried schrieb Rainer Werner Fassbinder 1971 ein Theaterstück, das er dann auch verfilmte. Die Geschichte spielt im bürgerlichen Milieu: Bremen, frühes 19.Jahrhundert.

    Gesche war für ihre damalige Zeit recht gebildet, konnte lesen, schreiben, rechnen, wurde von ihren Eltern aber zwangsverheiratet mit einem brutalen, haltlosen Mann, den sie nicht liebte, der sie unterdrückte, und von dem sie sich mit ihrem ersten Mord befreien wollte, um selbstbestimmt als Geschäftsfrau ihr Leben weiterzuführen.

    "Bremer Freiheit" nannte Fassbinder denn auch sein Theaterstück, das die von Rumänien-Deutschen stammende Adriana Hölszky 1988 für die damals noch von Hans Werner Henze geleitete Münchner Musikbiennale komponierte. Untertitel: "Singwerk auf ein Frauenleben".

    Es ist ein Versuch instrumentalen Theaters, wie er heute schon wieder Geschichte ist. Die Darsteller agieren außer mit ihren Stimmen auch mit Alltagsgegenständen als Klangerzeugern wie Bratpfannen, Dachrinnen, Kindertrommeln und -trompeten. Die Todesdroge "Mäusebutter" wird in einer Kaffeetasse gereicht.

    Auf die Experimentierbühne des Berliner Konzerthauses gebracht, hat das die von der Abwicklung bedrohte Berliner Kammeroper. Kay Kuntze hat sich dafür von Ausstatter Stefan Bleidorn mitten in den Raum einen schmalen, leicht ansteigenden Steg als Bühne bauen lassen, an deren Halfpipe-artig sich aufwölbendem Ende das Fallbeil wartet.

    Die Figuren agieren auf dieser Bühne fratzenhaft-grotesk, wie in einem Kasperletheater. Die Männer alle in kurzen Hosen, Gesche im bodenlangen, eng geschnürten schwarzen Kleid, immer auch wieder den Rock hebend oder zum Rockheben gezwungen.

    Immer neue Leichen als schwarze Säcke häuft Gesche auf dem schmalen Steg. Jeder Tote wird in einer Art Trauerzug vom kleinen Chor zu Grabe gesungen. Ihre letzte Leiche vor der Verhaftung versteckt Gesche unter dem ganzen Berg von Sack-Leichen.

    Der Aufwand ist beträchtlich, den Berliner Kammeroper, Konzerthaus und das Kammerensemble Neue Musik Berlin unter Peter Aderhold betreiben für eine perfekte Produktion, erst der dritten seit der Uraufführung.

    Das Spiel des elfköpfigen Solisten-Ensembles mit Annette Schönmüller in der Hauptrolle hätte man sich allerdings etwas differenzierter gewünscht. Adriana Hölszky ging es mit ihrer damals ersten Oper ja um das Vielschichtige, Schattenhaft-Doppelbödige der Figuren dieses deutschen Biedermeier.
    Dennoch viel Beifall am Ende, auch für den Mut der Kammeroper, sich an dies doch recht aufwendige Stück zu wagen. Und sicher ein Beweis auch für ihre Leistungsfähigkeit.