"Wir sind zwischen dem 17. und 18. von Auschwitz aus in Richtung Gleiwitz getrieben worden. Von dort aus hat man die Häftlinge in verschiedene Konzentrationslager in Deutschland gebracht."
Zwi Steinitz wurde im Januar 1945 bei starkem Schneefall und klirrender Kälte aus dem Lager Auschwitz-Birkenau zu Fuß Richtung Westen auf einen der berüchtigten Todesmärsche getrieben. Mit mehreren hundert anderen KZ-Häftlingen musste der damals 17-Jährige ohne warme Kleidung und Proviant über 50 Kilometer zurücklegen.
"Trotz aller Warnungen, sich nicht in den Schnee zu setzen, weil man da einschläft, einfriert oder man wird erschossen, habe ich mich hingesetzt. Und da kamen zwei Freunde vorbei und haben mich aufgehoben und in die Arme genommen, und wir sind dann bis zu einer Landstraße gekommen. Und da bin ich dann alleine nach Gleiwitz gelaufen."
Die Spuren des Verbrechens werden beseitigt
Bereits im Sommer 1944, als sich die Wehrmacht vor den vorrückenden Truppen der Roten Armee und der Westalliierten immer weiter zurückziehen musste, hatte die SS die ersten Konzentrationslager in Frontnähe zunächst noch weitgehend geordnet aufgelöst, darunter das KZ Majdanek.
Mit der Räumung des KZ Auschwitz beginnt das letzte Kapitel des nationalsozialistischen Massenmords, die hektische und ungeordnete Auflösung der Konzentrationslager. Am 12. Januar 1945 startet die Rote Armee ihre große Winteroffensive, sechs Tage später nehmen die sowjetischen Truppen Krakau ein und stehen nur noch 60 Kilometer vor Auschwitz, dem größten und mit hohem technischem Aufwand betriebenen Vernichtungslager des NS-Regimes. Die Lagerleitung hat da schon begonnen, die Spuren des Verbrechens zu beseitigen. SS-Männer setzen Baracken in Brand, vernichten Dokumente, demontieren die Verbrennungsöfen der Krematorien und sprengen die Gaskammern. Jacek Lech, Mitarbeiter der heutigen Gedenkstätte Auschwitz:
"Die zwei größten Anlagen wurden am 20. Januar 45, also eine Woche vor der Befreiung, zerstört, in die Luft gesprengt. Und das Krematorium Nr. 5 wurde erst am 26. Januar 45 in die Luft gesprengt, also einen Tag vor der Befreiung."
"Die zwei größten Anlagen wurden am 20. Januar 45, also eine Woche vor der Befreiung, zerstört, in die Luft gesprengt. Und das Krematorium Nr. 5 wurde erst am 26. Januar 45 in die Luft gesprengt, also einen Tag vor der Befreiung."
"Da sind nur Skelette gegangen"
Währenddessen treiben die Wachmannschaften die Überlebenden in größeren Gruppen Richtung Westen, ins noch nicht besetzte Reichsgebiet. Etwa 60.000 Häftlinge, zum großen Teil Juden, verlassen das Lager Auschwitz, darunter Asher Aud, Sigmund Kalinski und Zofia Posmysz.
"Wenn wir sind gegangen Totenmarsch, da sind keine Menschen gegangen, da sind nur Skelette gegangen." "Wer nicht konnte oder wer zur Seite war, wurde erschossen, bei ungefähr 15 bis 20 Grad minus in unseren Kleidern."
"Der letzte Tag in Auschwitz war der 18. Januar. Nach drei Tagen und drei Nächten zu Fuß wurden wir in offenen Güterwagen nach Ravensbrück gebracht."
Etwa 8.000 Häftlinge bleiben im Lager zurück, schwache und kranke, die nicht mehr laufen können, sowie 600 Kinder. Jacek Lech von der Gedenkstätte Auschwitz: "Es gab noch ein paar Einheiten, die das Lager kontrollierten, das heißt. mobile Einheiten, die auch für die Spurenbeseitigung zuständig waren. Und diese SS-Männer haben auch in den letzten Stunden getötet. Auf diese Weise sind noch 800 Häftlinge ermordet worden, kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee."
90 Häftlinge in einen Viehwaggon
Unterdessen sind die entkräfteten KZ-Häftlinge auf dem Weg zu den nächstgelegenen Bahngleisen, darunter Martin Friedländer, ein junger Jude aus Berlin. Auf freier Strecke wartet ein Güterzug. Mit 90 weiteren Häftlingen muss Friedländer in einen Viehwaggon steigen.
"Wir hatten immer darauf geachtet, dass ungefähr 30 Mann sich zwei Stunden hingehockt haben und sich ausgeruht haben und die anderen 60 mussten stehen, und nach zwei Stunden haben sich die andern dann hingesetzt, hingehockt. Wir hatten Tote, und die Toten haben wir an die Tür hingelegt, und unsere Notdurft, weil wir die nirgends weiter verrichten konnten, haben wir auf den Toten verrichtet, und nach dem zweiten Tage hielt der Zug auf freier Strecke, und da wurden die Toten ausgeladen, und da wurde der Waggon etwas mit den Fäkalien gesäubert, und jeder hat eine Hand voll Makkaroni bekommen, außerdem etwas Wasser. Und dann ging es weiter. Man hat nichts empfunden. Man war ja sowieso nur eine Herde Vieh. Man war ja nur eine Nummer. Letztes Mal, dass ich meinen Namen gehört hatte, war, als ich vorm Lagertor stand in Auschwitz, als aufgerufen wurde: Friedländer. Da habe ich zum letzten Mal meinen Namen gehört. Man war nur noch eine Nummer. Die Nummer 179.968."
Eine ratlose NS-Führung in den letzten Kriegsmonaten
Das Ziel der Züge: andere Konzentrationslager im Deutschen Reich, weiter entfernt von der vorrückenden Front: Buchenwald, Sachsenhausen, Dachau, Mauthausen oder Bergen-Belsen. Anfang 1945 befinden sich noch 700.000 KZ-Häftlinge in der Gewalt des NS-Regimes. Warum die SS sie nicht – wie in den Jahren zuvor – durch Massenerschießungen ermordet, ist eine offene Frage. Im ukrainischen Babi Jar zum Beispiel hatten Einsatzgruppen im September 1941 innerhalb von zwei Tagen mehr als 30.000 Juden erschossen. Stattdessen transportiert die SS die Gefangenen Anfang 1945 unter erheblichem logistischem Aufwand wochenlang kreuz und quer durch noch nicht besetztes Gebiet in Deutschland und Österreich. Historiker nennen unterschiedliche Gründe: Die Gefangenen sollten im sogenannten "Endkampf" um das Deutsche Reich als Arbeitssklaven eine uneinnehmbare Festung errichten, Heinrich Himmler, Reichsführer SS, habe sie als Faustpfand für erhoffte Verhandlungen mit den Alliierten betrachtet, eine ratlose NS-Führung habe in den letzten Kriegsmonaten im Umgang mit den Häftlingen eine widersprüchliche und inkonsequente Politik verfolgt. Oder: Im Chaos des untergehenden Regimes hätten die Verantwortlichen vor Ort vergeblich auf eindeutige Befehle gewartet. Soweit die Erklärungsansätze.
Der Güterzug, in dem Sigmund Kalinski auf dem Todesmarsch von Auschwitz hockt, steuert Mauthausen in Österreich an, muss aber wieder umkehren, weil das Lager überfüllt ist, fährt weiter nach Sachsenhausen bei Berlin und landet schließlich im bayrischen KZ Flossenbürg.
Einwohner versorgen Häftlinge mit Brot und Kartoffeln
"Zuerst sind die ersten Toten durch zwei Häftlingskameraden aus dem Wagen rausgeworfen. Dann brauchten wir schon vier, zuerst haben wir selbstverständlich ihre Kleidung ausgezogen und selber angezogen, damit es wärmer wird. Nach sechs Tagen hielten wir in Pardubice. In Pardubice hat die Bevölkerung uns von der Brücke über den Gleisen Lebensmittel geworfen. Und es war immer mehr und mehr, bis die Deutschen dort zwei oder drei Tschechen erschossen haben."
Mitte April 1945 kommt Justin Sonder, ein damals 19-jähriger KZ-Häftling, beim Fußmarsch von Flossenbürg nach Dachau durch ein kleines bayrisches Dorf.
"Wir standen dort mit Bewachung, und auf einmal lief ein junger Mann, vielleicht Mitte 30, an uns vorbei und sagte zu uns, seid stark, haltet durch, und weg war er. War toll."
In Palmnicken, einer Kleinstadt an der Ostsee, versorgen die Einwohner die aus dem KZ Stutthof gekommenen Häftlinge mit Brot und Kartoffeln, bis in der Nacht SS-Männer aufmarschieren.
"Jedes Mal trennten sie zehn Fünferreihen ab, schickten sie nach vorne und trieben sie auf das dünne Eis."
Berichtete später ein Überlebender des Massakers. "Es herrschte grauenhafte Finsternis. Wir mussten uns flach auf das Eis legen, und dann fingen sie sogleich an, aus schweren Maschinengewehren auf uns zu schießen."
Berichtete später ein Überlebender des Massakers. "Es herrschte grauenhafte Finsternis. Wir mussten uns flach auf das Eis legen, und dann fingen sie sogleich an, aus schweren Maschinengewehren auf uns zu schießen."
Treibjagd auf entflohene Häftlinge in Lüneburg
Rund 3.000 Häftlinge werden ermordet, die Hilfe der Bevölkerung war vergeblich. Woanders reagieren die Anwohner deutlich feindseliger, wenn ausgemergelte, vor Dreck starrende KZler auftauchen, eskortiert von bewaffneten Männern in Uniform.
In Lüneburg kommt es zu einer regelrechten Treibjagd auf entflohene Häftlinge, an der Polizisten und Gestapo-Männer, aber auch Bürger sich beteiligen. In Celle ermordet ein Führer der Hitlerjugend eigenhändig mehr als 20 "entlaufene Zebras", wie sie wegen der gestreiften Häftlingskleidung genannt werden.
Gardelegen nördlich von Magdeburg ist Anfang April Schauplatz eines fürchterlichen Massakers. "Gardelegen: Dieser Schuppen birgt 150 Menschen. Sie sind tot. Als die alliierten Armeen heranrückten, schichteten die SS-Wachen Stroh auf dem Boden, begossen es mit Benzin und sperrten die Gefangenen in den Schuppen. Dann zündeten sie den Schuppen an", berichtet die Wochenschau im Juni 1945.
Tatsächlich ist das Ausmaß des Massenmords weitaus schlimmer, wie sich später herausstellt. Angehörige der Wehrmacht, der Waffen-SS, des Volkssturms, der Hitlerjugend und der Feuerwehr treiben etwa 1.000 Häftlinge in die Feldscheune, die Soldaten setzen Flammenwerfer und Panzerfäuste ein. Lediglich zwei Dutzend Häftlinge überleben das Blutbad. Kurz darauf nehmen US-Truppen den Ort ein, entdecken die Leichen und erschießen sofort 20 an der Tat beteiligte SS-Männer.
Neue Dimension des Völkermords in den letzten Kriegsmonaten
Wegen solcher Gewaltexzesse spricht der israelische Historiker Daniel Blatman von einer neuen Dimension des Völkermords in den letzten Kriegsmonaten. "Wenn man die Aussagen von Überlebenden liest, bekommt man den Eindruck, dass die letzten Kriegsmonate im Vergleich zu früheren Zeiten einen weitaus schlimmeren Eindruck hinterließen. Viele Gefangene, insbesondere Juden und Polen, berichten von der langen Gefangenschaft, dem Hunger und den Entbehrungen in den Gettos und Lagern, wo sie zusehen mussten, wie ihre Familien und Nachbarn deportiert und umgebracht wurden. Trotzdem waren die Todesmärsche für sie die höllischste Erfahrung."
Im Allgemeinen kapituliert ein Land, wenn die Niederlage unvermeidlich scheint und die vollständige Besetzung droht. Nicht so das Deutsche Reich. Die NS-Führung wollte den von ihr sogenannten "totalen Krieg" und war bereit, Deutschland in ein riesiges Schlachthaus zu verwandeln. Insbesondere Hitler sei gewillt gewesen, das eigene Volk ins Verderben zu stürzen, so der englische Historiker Ian Kershaw:
"Er wusste, er konnte selber das Kriegsende nicht überleben, und er war bereit, das deutsche Volk mit in den Abgrund zu reißen. Die Bevölkerung habe sich als zu schwach erwiesen, sie habe ihren Untergang verdient. Der Amoklauf der Regime-Aktivisten in dieser letzten Phase beruhte nicht zuletzt auf der Erkenntnis, dass man die Brücken hinter sich abgebrochen hatte, was Hitler und Goebbels natürlich sehr begrüßten."
NS-Regime geht gegen die eigene Bevölkerung vor
Mit unerbittlicher Härte geht das NS-Regime gegen die eigene Bevölkerung vor. Wer laut ans Aufgeben denkt, gilt als "Volksschädling". Über 6.000 Todesurteile verhängen die Standgerichte noch in den letzten Kriegswochen. Eine gnadenlose Wehrmachtsjustiz lässt während des Zweiten Weltkriegs 20.000 deutsche Soldaten hinrichten, die meisten kurz vor Kriegsende. Zum Vergleich: Im Ersten Weltkrieg waren es 48. Auch wenn ein Rest von Alltag und Normalität aufrechterhalten wird, herrscht unter den Deutschen Anfang 1945 Endzeitstimmung. Zumal nach der Befreiung von Auschwitz erste Berichte über die Verbrechen im Vernichtungslager auftauchen, wie der des Rotarmisten Jakov Winschenko:
"Es war uns klar, dass etwas Schreckliches über diesem Ort lag. Wir fragten uns, wozu all die Baracken, die Schornsteine und die Räume mit den Duschen gedient hatten, die einen seltsamen Geruch verströmten. Ich dachte an ein paar Tausend Tote, nicht an Zyklon B und das Ende der Menschlichkeit."
Manchen Deutschen dämmert, dass sie angesichts der Monstrosität der nationalsozialistischen Verbrechen nicht mit Gnade rechnen können. Der Historiker Daniel Blatman: "Alle Gefangenen waren jetzt Feinde, die immer noch lebten, während die deutsche Nation ihr größtes Trauma erlebte, den totalen Zusammenbruch, die Erkenntnis, dass es zu Ende war. In dem Moment entschieden viele Deutsche, dass die Gefangenen kein Recht mehr hatten zu leben, nicht nur, weil sie eine Bedrohung waren, sondern weil deren Gegenwart ihnen auch ihre eigene Niederlage vor Augen führte."
Hass und Frustration an Häftlingen ausgelebt
Nach der Räumung der Vernichtungslager im Osten werden die Todesmärsche zu Schauplätzen des Genozids. Die Morde finden nicht mehr abgeschirmt hinter Stacheldraht und Wachtürmen statt, sondern vor aller Augen, auf offener Straße, in Scheunen, leeren Fabrikhallen und Straßengräben. Die vorbeiziehenden Gefangenenkolonnen bieten auch einfachen Bürgern die Gelegenheit, Hass und Frustration auszuleben, angestachelt durch eine aggressive Propaganda, die vor angeblich blutrünstigen Rotarmisten und marodierend durchs Land ziehenden KZ-Häftlingen warnt.
"Auch in diesem Gebiet haben die bolschewistischen Bestien die schlimmsten Verbrechen begangen. Das viehische Treiben dieser Untermenschen jagt jedem anständigen Deutschen das Blut in die Schläfen."
"Im Allgemeinen stuften die Bürger die Gefangenen als gewalttätig und bedrohlich ein. Ihr Erscheinen provozierte Abscheu, weil sie sich wie Tiere auf jedes vergammelte Stück Essen stürzten, das sie fanden. Man betrachtete sie auch als verschworene Feinde Deutschlands, die nicht zögern würden, sich grausam an den Deutschen zu rächen, sobald die Amerikaner, die Briten und die Rote Armee sie befreit hätten", sagt der Historiker Daniel Blatmann.
Eine Odyssee durch das Deutsche Reich erlebt Martin Friedländer: von Auschwitz nach Mauthausen, dann – als das Territorium durch den Vormarsch der Alliierten immer weiter zusammenschrumpft – mit dem Zug nach Hannover, von dort der Todesmarsch nach Bergen-Belsen.
"Drei Wochen ohne Wasser, die Menschen sind verdurstet"
"Bin ungefähr 20 Kilometer von Hannover, und zwar in Isernhagen, bin ich geflüchtet, wurde auf der Flucht angeschossen, das war freies Feld, ungefähr 100 Meter weiter war der Wald. Ich habe mir ausgerechnet, ungefähr 50 Meter läufst du geradeaus, eh die den Karabiner von der Schulter haben und durchgeladen haben und auf mich schießen, dann bist du die ersten 50 Meter geradeaus weg, und dann die zweiten 50 Meter im Zickzack."
Martin Friedländer gehört zu den wenigen, denen die Flucht gelingt.
Anita Lasker-Wallfisch wurde im Dezember 1943 nach Auschwitz deportiert. Sie überlebt, weil sie im Lagerorchester Cello spielt, zum Beispiel wenn die SS die ankommenden Häftlinge in die Gaskammern führt. Ende 1944 wird sie in das KZ Bergen-Belsen transportiert, wo britische Truppen sie am 15. April 1945 befreien. Unmittelbar danach erklärt sie:
"Drei Wochen waren wir ohne Wasser, die Menschen sind verdurstet. Heute früh ist noch eine Kameradin von mir gestorben. Meine Eltern sind auch dabei kaputtgegangen. Aber wir blicken jetzt vorwärts, hoffentlich werden wir doch noch irgendwelche Verwandte wiedersehen."
Am 21. April 1945 verlassen über 30.000 Häftlinge das KZ Sachsenhausen zu einem der letzten Todesmärsche. Zu Fuß werden sie nach Nordwesten Richtung Ostsee getrieben, vermutlich, um sie dort auf Schiffen zu versenken. Unter ihnen ist Wolfgang Szepansky.
"Wir sind ja vom 21. April bis 3. Mai marschiert, das heißt, in den frühen Morgenstunden des 3. Mai waren unsere Begleiter, die Peiniger, waren verschwunden. Und wir waren kurz vor Schwerin. Die SS war weg. Und das war für uns das Zeichen, jetzt sind wir frei. Und wir sind dann eben nach Schwerin weitermarschiert, und da kam uns die englische Truppe entgegen, und wir winkten begeistert, und sie winkten auch. Aber wir waren so ausgehungert, dass es so eine helle Begeisterung gar nicht gab. Man war so am Ende eigentlich mit seiner Kraft."
Von den Anfang 1945 registrierten 700.000 KZ-Häftlingen kam bis zum Ende des Krieges am 8. Mai ein Drittel ums Leben: durch Zwangsarbeit, Hunger und Kälte, Erschöpfung und Krankheit, Misshandlungen und gezielte Tötungen. Die meisten Täter mussten sich nie vor Gericht verantworten. Sie wälzten, sofern überhaupt gegen sie ermittelt wurde, die Verantwortung auf Vorgesetzte ab oder beriefen sich auf die chaotischen Zustände während der Todesmärsche.
Im Fall von Gardelegen, einem der schlimmsten Massaker, klagte die deutsche Justiz bis Mitte der 1950er-Jahre nur wenige Beteiligte an. Dann erlahmte das Interesse. Erst 1991 nahm die Staatsanwaltschaft Magdeburg erneut Ermittlungen auf, sie führten aber zu keinen Strafverfahren mehr. Der Hauptverantwortliche für den Massenmord blieb bis zu seinem Tod unbehelligt. Er hatte unter falschem Namen gelebt, sein Pseudonym wurde erst posthum enttarnt. Wie in unzähligen anderen Fällen kam der Mörder von Gardelegen ungeschoren davon.