Birgid Becker: Der Arzneimittelkonzern Fresenius Kabi will eine im US-Bundesstaat geplante Hinrichtung gerichtlich stoppen lassen. Der Konzern hat eine Klage gegen den Bundesstaat eingereicht und argumentiert, dass Nebraska auf illegale Weise an zwei von Fresenius Cabi hergestellte Substanzen gelangt sei. Damit ist eine weitere Etappe in einem empörenden, bizarren Konflikt zwischen amerikanischen Strafvollzugsbehörden und Arzneimittelherstellern erreicht. Denn US-Bundesstaaten, die die Todesstrafe vollstrecken, haben es zunehmend schwer, an die Mittel für ihre Giftspritzen zu kommen. Darüber habe ich vor der Sendung mit Julia Borsch gesprochen, sie ist Chefredakteurin der Deutschen Apothekerzeitung online – und zunächst habe ich sie um einen Blick zurück gebeten. Fresenius Kabi ist ja nicht der erste Hersteller, der sich dagegen wehrt, dass seine Produkte für Hinrichtungen genutzt werden?
Julia Borsch: Das stimmt. Fresenius tut das auch nicht zum ersten Mal. Die haben bereits 2012 eine Stellungnahme verfasst, indem sie sich dagegen ausgesprochen haben. Und es haben schon diverse Pharmafirmen, auch richtig große, sich schon dagegen ausgesprochen, dass das mit ihren Produkten passiert.
Hersteller aus USA und EU wehren sich
Birgid Becker: Es sind sowohl europäische Konzerne als auch US-Konzerne, nicht wahr, die ihre Produkte explizit nicht für Hinrichtungen eingesetzt sehen wollen?
Julia Borsch: Das ist richtig. Zum Beispiel von den ganz großen Pfizer hat sich im vergangenen Jahr explizit dagegen ausgesprochen. Bei den US-Konzernen Johnson & Johnson, dann Akorn, das ist ein amerikanischer Generika-Hersteller. Und bei den Europäern Lundbeck, dänische Firma, oder auch Roche haben sich da eigentlich alle schon gegen gewehrt.
Birgid Becker: Was motiviert denn die Unternehmen? Fresenius Kabi gibt sich ja trotz des gerichtlichen Vorstoßes recht indifferent. In einer Stellungnahme heißt es, man wolle keine Position zum Thema Todesstrafe einnehmen. Man lehne aber die Nutzung seiner Produkte zu diesem Zweck ab. Deshalb würden, jetzt lese ich vor, so heißt es nämlich weiter, "bestimmte Medikamente auch nicht an Vollzugsanstalten" verkauft. Ein flammendes Plädoyer gegen die Todesstrafe hört sich anders an.
Julia Borsch: Ich vermute, dass sie da Angst vor ihrem Imageverlust haben. Ich glaube niemand will der sein, der die Medikamente für die Todesstrafe liefert. Zudem hat Big Pharma in der Bevölkerung eh schon nicht den allerbesten Ruf. Andererseits sind sie nach wie vor Wirtschaftskonzerne und wollen Geld verdienen und ich denke, das ist der Zwiespalt, indem sie sich da befinden.
Roche geht mit klaren Worten voran
Birgid Becker: Waren andere Konzerne deutlicher als Fresenius?
Julia Borsch: Die Mehrheit der Stellungnahmen liest sich tatsächlich ähnlich wie die von Fresenius, dass sie nur sagen, sie möchten nicht, dass ihre eigenen Produkte zu diesem Zweck verwendet werden, weil ihr vorrangiges Ziel ist, Menschen zu helfen und Krankheiten zu heilen, aber eben nicht Leute hinzurichten. Wo man tatsächlich eine deutlichere Aussage findet, ist bei Roche. Die schreiben in ihrer Stellungnahme, dass sie die Todesstrafe ablehnen, grundsätzlich.
Birgid Becker: Also ein klares politisches Statement?
Julia Borsch: Ja.
Birgid Becker: Nun ist das ja nicht nur Privatangelegenheit der Konzerne, bestimmte Mittel, die zu Tötungszwecken genutzt werden, nicht verkaufen zu wollen. Da gibt es auch handfeste Beschränkungen. Welche?
Schon ein einziger Wirkstoff wäre tödlich
Julia Borsch: Es gibt also eine Liste der EU, wo alle möglichen Mittel und Geräte zu Hinrichtungs- und Folterzwecken, was nicht verkauft werden darf. Das Problem ist, was sie bei diesen Mitteln haben, ist, dass die ja nicht nur zu Hinrichtungen verwendet werden, sondern, dass das ja auch Arzneimittel sind, die gewisse Leute einfach brauchen. Deswegen gibt es einen Genehmigungsvorbehalt. Also wer die ausführen will in Länder, wo die Todesstrafe vollstreckt wird, muss das genehmigen lassen. Der Haken an der Sache ist, das betrifft nur eine ganz kleine Gruppe von Medikamenten, die sogenannten Babiturate. Und die Sachen, die jetzt zum Teil diskutiert werden, wie Propofol, die dürfen sie verkaufen.
Birgid Becker: Das ist ja das Problem, dass das gar nicht so klar auf der Hand liegt, nicht wahr, welcher Wirkstoff eines tödlichen Cocktails von welchem Hersteller stammt. Ohne pharmakologisch zu sehr ins Detail zu gehen: Es gibt ja nicht das eine tödliche Medikament, oder?
Julia Borsch: Es wird in der Regel eine Mischung angewendet, wobei aus pharmakologischer Sicht ein einzelner Bestandteil von diesen auch schon reichen würde, um die Person umzubringen. Ob jetzt die Behörden auf Nummer sicher gehen wollen oder ob sie sagen, es ist menschlicher, wenn man den Menschen erst betäubt – das sei mal dahin gestellt.
Gift-Alternativen sind oft noch grausamer
Birgid Becker: Dieses Vorgehen von Fresenius Kabi, dieser Versuch auf dem Rechtsweg, während die Vollzugsbehörde ja offensichtlich schon im Besitz des Medikamentes ist – auch das gab es bereits. Vor einem Jahr hat der Hersteller Alvogen im Bundesstaat Nevada den vorübergehenden Stopp einer Hinrichtung erwirkt. Was den Laien ziemlich wundert ist: Kann es denn sein, dass Behörden sich auf illegalem Wege Substanzen beschaffen, um Hinrichtungen durchzuführen?
Julia Borsch: Offensichtlich scheint es zu funktionieren. Also wenn man diese Stellungnahmen der Firmen liest, heißt es, sie verkaufen die Sachen nicht an entsprechende Einrichtungen, versuchen auch die Lieferwege zu kontrollieren. Aber ich versuche, wenn irgendeine staatliche Einrichtung versucht, auf irgendeinem Weg an diese Sachen zu kommen, scheint es ja möglich zu sein.
Birgid Becker: Wenn nun Hersteller sich wehren gegen die Verwendung ihrer Produkte beim Vollzug der Todesstrafe, heißt das ja, auch das gehört zum Thema, nicht, dass Hinrichtungen durch Gift vermieden werden oder in irgendeiner Form weniger peinigend sind. Es ist eher das Gegenteil der Fall, oder?
Menschlichkeit bleibt auf der Strecke
Julia Borsch: Diese Vollzugsbehörden werden da tatsächlich sehr experimentierfreudig. Wenn sie an einen Stoff nicht mehr kommen, dann verwenden sie einen anderen. Und so liest man zumindest in den Medien, dass sie da Mischungen verwenden, die vorher noch nie jemand für Hinrichtungen verwendet hat. Und es gibt da noch Geschichten, dass es eine Dreiviertelstunde gedauert hat, bis die gestorben sind, und dass teilweise sogar wieder diskutiert wird, den elektrischen Stuhl einzusetzen, weil sie zunehmend Probleme haben an ihre Substanzen zu kommen.
Birgid Becker: Was durchaus auf ein Dilemma hinweist, wenn Hersteller sich weigern aus den allerbesten Gründen und im Ergebnis kommt es dann zu einer Verschlimmerung dann der Situation der Betroffenen.
Julia Borsch: Zumindest so lang Staaten weiter der Meinung sind, dass sie weiter die Todesstrafe vollstrecken müssten, ist es wohl so – ja. Aber vielleicht geht es dann darum, sich selber aus der Affäre zu ziehen.
Politische Zurückhaltung bei Konzernen
Birgid Becker: Bei wem meinen Sie?
Julia Borsch: Bei den Herstellern.
Birgid Becker: Wie ist das aus Ihrer Beobachtung: Nötigt Ihnen diese Haltung eher Respekt ab oder sagen Sie, diese Haltung ist Ihnen eigentlich zu billig?
Julia Borsch: Ich find’s tatsächlich insofern schwierig, weil sich die wenigsten offen gegen die Todesstrafe positionieren. Man müsste ja dann konsequenterweise sagen: "Wir möchten nicht, dass unsere Substanzen verwendet werden, und wir sind dafür, dass die Todesstrafe weltweit abgeschafft wird." Und nur zu sagen: "Wir möchten nicht, dass unsere Substanzen verwendet werden" und dann im Nebensatz aber die anderen vielleicht doch – finde ich schwierig.