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Todestag von William Burroughs
Der erste Popliterat

Er gilt als Ikone der Beatgeneration: Unzählige Popmusiker haben den Schriftsteller William Burroughs für sein literarisches Werk verehrt. Dabei habe ihn Popmusik nicht interessiert, sagte sein deutscher Übersetzer Michael Kellner im Dlf. Das sei aber nicht die einzige Überraschung in der Biografie.

Michael Kellner im Gespräch mit Juliane Reil |
    Porträtfoto von William S. Burroughs
    William S. Burroughs (dpa / picture alliance / Malte Christians)
    Juliane Reil: Neben Allen Ginsberg und Jack Kerouac gehörte er zu den prägenden Figuren der Beat-Kultur: William Burroughs. Seine Literatur: kompromisslos, radikal, schmerzhaft, provozierend. Ohne Vorwarnung zeigte er die Abgründe menschlichen Daseins auf. Und mit denen kannte sich der Harvard-Absolvent aus reicher Familie selbst ziemlich gut aus. Zeit seines Lebens hing er an der Nadel. Im Vollrausch erschoss er später seine Frau. Der Roman "Naked Lunch" von 1959 gilt als sein Meisterwerk. Einer, der den Schriftsteller Burroughs ziemlich genau kennt, ist Michael Kellner. Er hat die Werke des Amerikaners ins Deutsche übersetzt. Herr Kellner, hallo zum Corsogespräch.
    Michael Kellner: Guten Tag.
    Reil: In den 40er-Jahren kamen drei junge Männer nach New York. Alle drei mit der diffusen Vorstellung, Schriftsteller werden zu wollen: Kerouac, Ginsberg und Burroughs. Alle drei aus sehr unterschiedlichen Welten: reich, arm, jüdisch, katholisch, kommunistisch, konservativ. Was verband diese drei?
    Kellner: Also zunächst einmal eine Freundschaft. Burroughs war der älteste - Jahrgang '16 -, Ginsberg Jahrgang '26 und Kerouac dazwischen - Jahrgang '22. Und sie trafen sich im Umfeld der Columbia University, wo Ginsberg und auch Kerouac zu der Zeit studierten. Und Burroughs war für sie zunächst, ja, der Weise, schon viel Ältere, der schon in Europa gewesen war und den sie sehr bewunderten. Es war also anfänglich eine Freundschaft, die dann aber sehr schnell über das Interesse an gemeinsamen Inhalten zum Schriftstellerischen hinführte.
    Reil: Und was waren das für Inhalte?
    Kellner: Also alle drei hatten ein besonderes Interesse am Nichtmainsteammäßigen. Das kommt bei jedem aus unterschiedlichen Gründen aus seiner jeweiligen persönlichen Geschichte heraus. Aber es dauerte zum Beispiel nicht lange, bis Kerouac und Burroughs einen Roman zusammen schrieben, der erst vor, ich glaube, 15 Jahren in den USA erschienen ist und vor zehn Jahren dann auch in Deutschland, unter dem schönen deutschen Titel "Und die Nilpferde kochten in ihren Becken". Und alle drei wollten unbedingt Schriftsteller werden.
    "Ein ganz großartiger Stilist"
    Reil: Burroughs hatte eine sehr eigene Sprache, mit der Sie sich auch erst einmal auseinandersetzen mussten, weil Sie, glaube ich, anfänglich als Übersetzer da auch erst einmal gestaunt haben: Was meint er überhaupt mit bestimmten Begrifflichkeiten? Wie würden Sie diese Sprache beschreiben?
    Kellner: Also bei Burroughs ist es sozusagen doppelbödig. Er ist einfach zu übersetzen, weil er ein ganz großartiger Stilist ist. Es gibt keine Unklarheiten bei ihm, die sich auf stilistische Dinge zurückführen lassen könnten. Aber er ist inhaltlich und von der Bildwelt sehr abgefahren, sehr weit draußen, sehr weit weg. Und da muss man sich sehr hineinlesen, hineinfühlen, hineindenken auch. Burroughs war ja durchaus ein Intellektueller. Burroughs hat in Harvard studiert, war anderthalb Jahre in Wien, wollte da Medizin und Psychoanalyse studieren, kam aber - ich meine, das ist '38 gewesen - natürlich im Vorfeld der Nazi-Okkupation schon ein bisschen spät. Aber er hatte einen breiten Wissensfundus - und zwar nicht nur literarisch. Daher zum Beispiel die ganzen Bilder aus der mexikanischen Vor- und Frühgeschichte, die ja seine Romane, vor allem in den frühen 60ern, ganz stark bestimmten.
    "Verehrung durch Popstars ab den frühen 70ern"
    Reil: Dieser Hintergrund hat wahrscheinlich auch die Anziehungskraft von Burroughs ausgemacht - ganz viele Künstler, ganz viele Musiker haben sich für ihn begeistert, haben ihn verehrt. Patti Smith hat ihn als Gott bezeichnet. Was für einen Einfluss hatte er aus Ihrer Sicht auf die Musik?
    Kellner: Die Verehrung durch die Popstars ab den frühen 70ern sozusagen war eine recht einseitige Geschichte. Es fing ja im Grunde genommen schon in London Mitte der 60er an. Burroughs ist ja nicht umsonst eine der 43 Figuren, die das große Puzzle auf "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" ausmachte. Also es gibt frühe Ton-Experimente auch von McCartney mit Burroughs zusammen.
    Reil: Es gibt ja ganz interessante Geschichten, dass er eben auf Musiker getroffen ist, die ihn verehrt haben, die mit ihm in Kontakt kommen wollten - Ian Curtis zum Beispiel von Joy Division, Iggy Pop oder auch Police. Aber ist er sich überhaupt dieser Wirkung so bewusst gewesen und ist auch auf diese Leute zugegangen?
    Der Schriftsteller William S. Burroughs im Jahr 1997
    Der Schriftsteller William S. Burroughs im Jahr 1997 (AP)
    Kellner: Also zugegangen ist er auf sie nicht. Das war andersherum. Die kamen immer zu ihm. Also es gibt ja sogar eine Kollaboration mit Kurt Cobain, die ist aber erst einmal rein im Studio entstanden, und getroffen haben sie sich dann erst ein Jahr später. Also Burroughs war an Popmusik relativ wenig interessiert, muss man auch einmal ganz deutlich sagen. Aber er hat es natürlich als Zeitphänomen und als geschichtliches Phänomen, wie auch die ganzen 60er-Jahre, die Politisierung - das hat er sehr stark wahrgenommen.
    Reil: Sie sagten gerade Zeitphänomen - kann man denn auch William Burroughs als Zeitphänomen begreifen? Interessieren sich noch jüngere Musiker für den Schriftsteller?
    Kellner: Es gibt weiterhin ein Interesse an William Burroughs und auch an der Beatgeneration, denn die Hauptwerke der Beatgeneration sind alle weiterhin im Buchhandel lieferbar. Und das kann man nicht von allen Büchern sagen, die im Laufe der 50er-Jahre erschienen und übersetzt worden sind.
    "Der Mann ist unglaublich schüchtern"
    Reil: Eigentlich ist William Burroughs ja selbst ein Popstar gewesen, nicht nur aufgrund der Literatur, sondern auch eben aufgrund dieses ausschweifenden Lebens, das er geführt hat. Er hat ja im Prinzip selber so einen Mythos von sich geformt. Drogenexzesse haben dazugehört und auf den Fotos sieht man William Burroughs aber immer als distinguierten Mann, sehr zurückhaltend, unbewegte Gesichtszüge. Sie haben ihn selbst getroffen. Wie hat das auf Sie gewirkt?
    Kellner: Also er kam aus einer gutbürgerlichen Familie, das war für ihn der ganz normale Stil. Den hat er sicher auch ein bisschen kultiviert, aber das hatte für ihn nichts Außergewöhnliches. Ich habe ihn auch genauso erlebt: unbewegt, scheinbar unnahbar, schwierig. Und das erste Mal getroffen habe ich ihn im Sommer 1980 in den USA, in Boulder. Und da sagte Ginsberg zu ein paar Leuten - wir saßen da irgendwie zusammen - sagte er: "Ihr müsst auf Burroughs zugehen, ihr müsst ihm Fragen stellen. Der Mann ist unglaublich schüchtern." Das war in dem Moment sehr erhellend. Sage ich: "Klar, natürlich." Wenn man eigentlich schüchtern ist … denn dieses exzessive Leben oder so, das sehen ja hauptsächlich die Außenstehenden und bezeichnen das so. Und das ist ja keine Filmrolle, die er da gespielt hat. Sondern er war eben wirklich sehr zurückhaltend, sehr schüchtern und man musste schon auf ihn zugehen und ihm Fragen stellen.
    Reil: Michael Kellner über William Burroughs, der heute vor 20 Jahren im Alter von 83 Jahren gestorben ist. Danke für das Gespräch.
    Kellner: Ja, ich danke auch. Und danke auch an Sie, dass Sie die Erinnerung hochhalten damit.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.