Ute Meyer: Es ist Sommerzeit und Hochsaison auch in den Alpen. Bergwanderer und Kletterer tummeln sich hier neben Mountainbikern, Paraglidern und Ausflugstouristen. Mit der Anzahl der Touristen im Hochgebirge steigt allerdings auch die Zahl der Unglücke am Berg – und die Zahl der Toten: Ende letzter Woche ist ein etwa 70-Jähriger Mann im Ammergebirge ums Leben gekommen. Er war über ein 50 Meter steiles Waldgelände in ein felsiges Bachbett gestürzt.
Tags zuvor ist eine 23-jährige Bergwanderin auf einer Solotour in hochalpinem Gelände abgestürzt und gestorben. Ebenfalls in dieser Woche ist ein 36 Jahre alter Mann im Wettersteingebirge in Bayern bei einem Absturz ums Leben gekommen. Die Liste der Toten seit Juni ließe sich fortsetzen.
"Die tödlichen Unfälle nehmen grundsätzlich ab"
Ich konnte vor der Sendung darüber mit dem Geschäftsbereichsleiter Bergsport beim Deutschen Alpenverein sprechen – Wolfgang Wabel aus München. Täuscht das oder ist die Zahl der verunglückten Bergsteiger in diesem Jahr besonders hoch?
Wolfgang Wabel: Das täuscht ein bisschen. Der Fokus ist natürlich dann besonders groß, wenn es Tote gibt, was sehr bedauerlich ist, aber die Zahl ist jetzt nicht signifikant höher als sonst. Wir haben über Jahrzehnte schon eine Statistik, und die Zahl der Toten, die nimmt bei Bergunfällen auch absolut ab. Aber es ist richtig, dass natürlich, je mehr Menschen in die Berge gehen, die Unfallzahl zunimmt. Die tödlichen Unfälle nehmen grundsätzlich ab.
Meyer: Ich hab jetzt mal die Meldungen der letzten Woche durchgeschaut und bin auf acht tote deutsche Bergsteiger gestoßen. Was sind denn da die häufigsten Unfallursachen?
Wabel: Bei den meisten handelt es sich um Unfälle im Bereich Bergwandern, Bergsteigen, sag ich mal. Das extremere Klettern gehört eher da nicht dazu, da sind aber auch deutlich weniger unterwegs. Und da ist es meistens so, dass es entweder Abrutschunfälle sind – das war ja noch relativ lange viel Schnee gelegen von dem Winter –, und da gab es den ein oder anderen Abrutschunfall letztendlich. Oder mit Versteigen, das Abkommen vom Weg letztendlich und dann im Absturzgelände ein Absturz, das waren so die hauptsächlichen Ursachen. Man muss dazusagen, dass gerade so Absturzunfälle dann auch zum Teil durch Stolpern auf exponierten Wegen quasi entstehen letztendlich, und hier ist es sicher so, dass die aktuelle Ermüdung und solche Dinge da mitreinspielen und letztendlich zu einem Unfall führen, der leider auch tödlich enden kann.
"Es ist nicht unverantwortlich, allein in die Berge zu gehen"
Meyer: Kann es sein, dass Bergsteiger sich überschätzen?
Wabel: Ja, wir stellen hier schon fest, dass das durchaus eine Einschätzung ist, die auch die Bergwacht zum Beispiel teilt, dass natürlich die Entwicklung, dasss immer mehr Menschen in die Berge gehen, zum Teil damit dann auch verbunden ist, dass die alpine Erfahrung halt nicht so ausgeprägt ist und dass man in einer relativ kurzen Zeit – das ist jetzt ja die Urlaubszeit hier – das ein oder andere nachholen will oder hier besonders schöne, tolle Touren machen will und das nicht immer in Übereinstimmung mit der aktuellen körperlichen Konstitution, mit der Fitness ist, und der ein oder die andere sich hier auch überschätzen und dann in Notlagen geraten.
Meyer: Beim Durchlesen der Meldungen ist mir aufgefallen, dass es gar nicht so wenige gibt, die allein in den Bergen unterwegs sind. Ist das womöglich auch ein zu hohes Risiko?
Wabel: Grundsätzlich kann man schon allein in die Berge gehen, insbesondere wenn es jetzt ums Bergwandern geht, weil es gibt die Wege – bei einer richtigen Einschätzung der Lage, der eigenen körperlichen Fähigkeit, ist das durchaus möglich. Aber wir empfehlen schon, hier zu zweit oder in einer Gruppe zu gehen, weil natürlich im Falle einer Notlage hier eher direkte Hilfe möglich ist. Es ist aber nicht unverantwortlich, allein in die Berge zu gehen, das wird ja durchaus gemacht, und es ist auch ein Erlebnis, das durchaus schön sein kann, aber es ist sicher ein gewisses Mehrrisiko, weil die direkte Hilfe dann zum Teil zeitlich verzögert erst eintreten kann.
Richtzahl: 300 bis 400 Höhenmeter pro Stunde
Meyer: Es sind ja auch ältere Menschen in den Bergen unterwegs. Sie haben die körperliche Fitness angesprochen: Wie kann ich denn einschätzen, ob ich fit genug bin für den Berg?
Wabel: Zum einen freut uns auf jeden Fall, der Bergsport ist grundsätzlich ein Sport in den verschiedenen Ausprägungen wie wandern, Klettersteig gehen, den man bis ins hohe Alter durchführen kann. Da ist natürlich wichtig, dass bei einer entsprechenden Erfahrung, wenn man das jetzt schon einige Jahre macht, hier auch die Kompetenz da ist und da sein müsste, sich hier entsprechend einzuschätzen.
Ansonsten ist es letztendlich so, die Einschätzung ist letztendlich abhängig von der Gesundheit – man muss einfach gesund sein, man sollte sich hier einer körperlichen Untersuchung immer wieder unterziehen. Und wichtig ist, diese Übertragung vom flachen Gelände, selbst wenn man Ausdauersportler ist, ist das Bewegen am Berg einfach noch mal etwas anders. Und hier gibt es so Richtzahlen, dass man etwa 300 bis 400 Höhenmeter pro Stunde gehen kann, gehen sollte, das ist auch eine Grundlage für die Zeitberechnung. Und das kann man ja auch im Mittelgebirge mal quasi testen, wo man mehr in der Nähe vom Wohnort sich bewegt und hier leichte Wanderungen unternimmt, dass man, wenn man die gut schafft, dann halt auch entsprechend eine Übertragung ins Gebirge machen kann.
Meyer: Haben Sie sonst noch Tipps für Bergurlauber, was man tun kann, um das Unfallrisiko zu minimieren?
Wabel: Die Planung ist wichtig. Beim Hüttenwirt bei der Hütte sich informieren, wie es mit der Altschneesituation ist, weil die Situation kann immer noch vorkommen, dass trotz starken Rückgangs des Schnees in den letzten Wochen hier in schattigem Gelände Altschneereste sind. Dann ein ganz wichtiger Punkt ist im Moment die Hitze. Hier empfiehlt es sich, früh loszugehen, damit man eventuell mittags auch die Tour schon beendet hat, bevor dann die ganz große Hitze kommt. Getränke genug mitnehmen, Ausrüstung ist normal kein Problem, das ist keine Ursache für Unfälle mehr, weil die Ausrüstung in der Regel sehr, sehr gut ist.
Und vielleicht einfach noch mal der Appell, auch wenn jetzt eine Woche oder zwei Wochen Urlaub anstehen, dass man das trotzdem defensiv plant und hier nicht plötzlich von null auf hundert quasi tolle Gipfel machen will, sondern dass man die vielleicht auch erst so am Ende vom Urlaub einplant, dass man mal ein paar Tage letztendlich sich eingeht und auch an die Situation im Gebirge gewöhnt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.