Am Anfang war noch wild spekuliert worden: eine verunreinigte Substanz. Eine Unverträglichkeit, die im Zusammenhang mit bestimmten Nahrungsmitteln oder einer Droge wie Alkohol oder Cannabis auftritt. Eine unspezifische Wirkung, in der das Medikament auch solche Enzyme im Hirn hemmt, die eigentlich unbeeinflusst bleiben sollten. Das alles schienen denkbare Erklärungen dafür, warum es beim Test des potenziellen Schmerzmittels BIA 10-2474 im französischen Rennes zu dem dramatischen Vorfall gekommen war.
Recht schnell schießen sich internationale Experten aber auf die Hypothese ein, die das Untersuchungskomitee nun offiziell als Ursache ausmacht. In dessen abschließender Zusammenfassung heißt es:
"Unter Berücksichtigung der zusätzlichen Gutachten und Informationen, die das Komitee insbesondere vom Hersteller BIAL verlangt hatte, bestätigt sich die Annahme, dass eine unspezifische Wirkung die Ursache für den Unfall in Rennes war."
Die wiederholte Gabe von 50mg des getesteten Wirkstoffes über fünf Tage hinweg war einfach eine Überdosis gewesen.
Die Arbeit fängt erst an
Die Arbeit der Wissenschaftler der Untersuchungskommission ist damit beendet. Für diejenigen, die nun Lehren aus dem tödlichen Zwischenfall ziehen wollen, fängt die Arbeit erst an. Der genaue Wirkmechanismus der Substanz bleibt ebenso zu klären, wie die Frage, was in Zukunft bei Phase I Medikamentenstudien anders gemacht werden muss. Ein Prozess der für Wissenschaftler wie Adam Cohen vom britischen Pharmakologen Verband schon viel früher hätte beginnen sollen.
"Die Franzosen haben entschieden, nicht alle Daten über diese Substanz sofort publik zu machen. Ich finde das sehr schwierig, denn so konnten wir bisher überhaupt keine Konsequenzen ziehen, denn wir wissen ja nicht, was passiert ist."
Überarbeitung erforderlich
Das die Geschehnisse in Rennes letztlich zu einer Überarbeitung der europäischen Richtlinien zur Zulassung von Medikamentenstudien führen werden, davon ist auszugehen. Empfehlungen dazu hatte die Untersuchungskommission schon in ihrem Zwischenbericht Mitte März abgegeben. Ein zentraler Punkt dabei war ein sorgfältiges Abwägen der Höchstdosis anhand der zugrunde liegenden Wirkstoff-Bindungskurve. Also angemessene Dosierung anstelle des Mottos: Viel hilft viel.
"Tatsächlich steht das schon in den Richtlinien. Bei einem Medikament das zum ersten Mal an Menschen getestet wird, untersucht man wie es wirkt, nicht wie giftig es ist. Es gibt keinen Grund, jemandem so viel einer Substanz zu verabreichen, dass es zu Nebenwirkungen kommt."
Bisher nicht mehr als eine Kann-Richtlinie
Eine Kann-Richtlinie, die einleuchtet, bisher aber nur für Substanzen gilt, deren Erprobung ein "hohes Risiko" birgt. Ist das nicht der Fall, reicht es, die Dosierung anhand der beobachteten Nebenwirkungen bei vorherigen Tierversuchen festzulegen. BIA 10-2474 war von der französischen Medikamenten-Zulassungsbehörde ANSM nicht als "Hochrisiko" Substanz eingestuft worden. Eine Einschätzung auf deren Grundlage weder dem Pharmaunternehmen BIAL, dem das Patent auf BIA 10-2474 gehört, noch dem Vertragslabor Biotrial, das die Versuche durchgeführt hatte, Regelverstöße vorgeworfen werden können.
Die Wut der Betroffenen
Offiziell schuld an dem Unglück von Rennes ist damit niemand. Den Betroffenen hilft das nichts. Stéphane Schubhan, der durch BIA 10-2474 wahrscheinlich bleibende Schäden erlitten hat, äußerte seine Wut gegenüber francetvinfo so:
"Sie haben uns nicht gesagt, dass einige der Versuchstiere krank geworden sind. Sonst hätte ich nie mitgemacht. Sie haben es verschwiegen und jetzt tun sie so, als hätten sie keine Verantwortung, weil sie keine Fehler gemacht haben. "
Zusammen mit den anderen Überlebenden des Medikamententests will er vor Gericht ziehen.