Hubert Manias Buch „Kettenreaktion“ beginnt mit der Entdeckung des Urans durch den Berliner Apotheker Martin Heinrich Klaproth im Revolutionsjahr 1789 und endet mit der Zündung der ersten Atombombe am 16. Juli 1945. Dazwischen liegen gut anderthalb Jahrhunderte des Forschens und Experimentierens, die Hubert Mania chronologisch beschreibt: die Entdeckung der Radioaktivität durch Henri Becquerel, die Erforschung des Atomkerns durch Nils Bohr, Albert Einstein, Max Planck und Werner Heisenberg, die erste erfolgreiche Kernspaltung durch Otto Hahn und den Wettstreit zwischen amerikanischen und deutschen Wissenschaftlern bei der Entwicklung einer kernwaffentauglichen nuklearen Kettenreaktion in den Kriegsjahren von 1939 bis 1945. Dabei bemüht sich Hubert Mania, die komplexe wissenschaftliche Materie verständlich zu machen und das gesellschaftliche Umfeld zu schildern, in dem die jeweiligen Entdeckungen stattfanden.
„Ich verstehe mich als Übersetzer, als Übersetzer zwischen den Leuten im Labor, zwischen den Atomphysikern, Chemikern, Wissenschaftshistorikern und den interessierten Laien. Deshalb muss ich die Sache verstehen können. Bin dann aber darauf aus, das erzählerisch darzustellen und den technischen Bereich nicht zu sehr zu betonen. Manchmal liest es sich vielleicht stellenweise wie ein Roman oder wie eine Erzählung, aber die Sachen sind recherchiert, man könnte vielleicht sagen: der Roman der Atombombe, aber mit historischen Darstellern.“
Tatsächlich gelingt es Hubert Mania, in seiner Geschichte der Atombombe einen Spannungssog zu erzeugen, wie man ihn sonst von packenden Romanhandlungen kennt. Spätestens seit dem September 1904, als Frederick Soddy und Ernest Rutherford auf der Weltausstellung im amerikanischen St. Louis ihre Erkenntnisse über die potentielle Zerstörungskraft der Uranenergie verkündeten, standen Wissenschaftler, die Kernforschung betrieben, vor einem moralischen Konflikt: Sollten sie mitwirken bei der Erschließung einer Energiequelle, die militärisch genutzt das Ende der Menschheit bedeuten könnte? Selbst Hitler fürchtete sich vor den Folgen eines Kernwaffeneinsatzes.
„Speer kolportiert das, dass Hitler gesagt hat, dass er Angst hat, dass die dummen Wissenschaftler die Welt in Brand stecken. Er selbst steckt die Welt zwar in Brand, aber da hatte er einen ungeheuren, wahrscheinlich auch mystischen Respekt vor. Er traute der Sache nicht so ganz. Und war natürlich auch ganz klar darauf aus, die Waffen zu fördern, die Aussicht auf Erfolg hatten, wie die V2, Wernher von Braun, der dann parallel zu Heisenberg und Weizsäcker in Peenemünde gearbeitet hat.“
Der Beginn des Zweiten Weltkrieges war zugleich der Startschuss im Wettlauf um die atomare Vorherrschaft. Das Kriegsziel nahm den Wissenschaftlern auf beiden Seiten die Skrupel. Die militärische Relevanz ihrer Aufgabe verschonte sie nicht nur vor einem Fronteinsatz, sondern verschaffte ihnen auch die für die Forschungsaufgabe dringend benötigten Gelder. Zwei Milliarden Doller investierte die US-Regierung in die Entwicklung der Atombombe. Auf dem Forschungsgelände in Los Alamos arbeiteten unter der Führung von Robert Oppenheimer 1200 Leute fieberhaft an der Entwicklung einer Kernwaffe mit gewaltiger Sprengkraft. Der Ehrgeiz der Wissenschaftler nahm geradezu erschreckende Züge an.
„Oppenheimer wollte eben auch letztlich sehen: Was wird daraus, was kann ich schaffen? Schaffen heißt in diesem Fall: Wie viele Leute kann ich umbringen? Das wurde natürlich auch brutal verdrängt. Das war 1943, also auf dem Höhepunkt der Brutalität des Krieges, als Fermi kam und sagte: Wir sind zwar noch nicht so weit mit der Herstellung von Plutonium, aber wir könnten vielleicht schon mit den Spaltprodukten arbeiten. Das heißt: Wir bauen so etwas, was man heute als schmutzige Bombe bezeichnen würde und vergiften den Deutschen ihre Lebensmittel. Und Oppenheimer hat das geprüft und ihm dann gesagt: Das lassen wir mal lieber sein, wir sind technisch noch nicht so weit, wenn es weniger als 500.000 Leute sind, die dabei drauf gehen, dann lohnt sich das nicht. Das zeigt so das Denken dieser hochsensiblen, feingeistigen Menschen, die 1943 auf dem Höhepunkt des Krieges so brutal dachten und denken mussten offenbar, weil jeder glaubte, die deutschen Wissenschaftler unter Heisenberg, das große Genie, wird das schon hinkriegen und wird uns zumindest ebenbürtig, wenn nicht voraus sein.“
Das Zentrum der deutschen Kernforschung bestand zu jener Zeit aus einer Bretterbude in der märkischen Heide, wie Hubert Mania in seinem Buch lakonisch bemerkt. Bis zum Kriegsende gelang es den deutschen Wissenschaftlern nicht, was die Amerikaner schon Ende 1942 geschafft hatten: die Auslösung einer Kettenreaktion. Als Deutschland bereits besiegt war, zündeten amerikanische Wissenschaftler in New Mexiko die erste Atombombe. Die Beschreibungen der Explosion gleichen denen von gewaltigen Naturereignissen. Doch jedem, der den Atomblitz gesehen hat, war klar, dass die Welt nun nicht mehr dieselbe sein würde.
Der Blitz verwandelt sich direkt über dem Wüstenboden in eine leuchtend gelbe Halbkugel – „wie eine halb aufgegangene Sonne, nur etwa zweimal so groß“. Bei einem Durchmesser von knapp 800 Metern hat sie ihre größte Ausdehnung erreicht und einen Krater hinterlassen. Schlangen, Erdhörnchen, Eidechsen, Frösche alles Leben erlischt hier. Die Erde kocht, sodass rund um die Lichterscheinung eine dunkle Korona aus pulverisierter Materie aufsteigt. Bedrohlich hebt sich die Halbkugel vom Boden ab und verwandelt sich in einen Feuerball. Einige hundert Tonnen Sand sind verdampft. Die Materie wird von der Kugel aufgesaugt, kräftig mit radioaktiven Teilchen durchmischt und dann in Klumpen eines nie zuvor gesehenen grünlichen und schwach strahlenden Glases wieder ausgespuckt.
„Now we are all sons of bitches“ – mit diesem an Robert Oppenheimer gerichteten Ausspruch des Testleiters Kenneth Bainbridge endet Hubert Manias Buch. Nur drei Wochen später wurde die erste Atombombe über Hiroshima abgeworfen. Doch davon liest man bei Hubert Mania nichts.
„Ich wollte nur die Herstellung der allerersten Atombombe, die eben nicht in Hiroshima war, sondern in Alamogordo gezündet wurde, in der neumexikanischen Wüste, darstellen, um das technische Abenteuer Atombombe, um das große wissenschaftliche Experiment darzustellen, das es zu dem Zeitpunkt noch gewesen ist. Es war ein monumentales wissenschaftliches Experiment und ein Jahrtausendabenteuer. Und das hoffe ich darzustellen. Denn wenn ich Hiroshima und Nagasaki reinbringe, dann bin ich gleich auf dem Weg des Menschenverachtenden und der Massenvernichtungswaffe, die die Atombombe natürlich ist. Ich wollte dort aufhören.“
Hubert Manias stilistisch brillantes und packendes Buch zeigt exemplarisch, dass das Drängen des Menschen nach Erkenntnissen nicht zu bändigen sein wird, selbst wenn es ihn ins Verderben führt.
Ralph Gerstenberg rezensierte Hubert Mania: „Kettenreaktion. Die Geschichte der Atombombe“. Veröffentlicht bei Rowohlt, das Buch umfasst 352 Seiten und kostet 22 Euro und 95 Cent, ISBN: 978-3-49800-664-8.
„Ich verstehe mich als Übersetzer, als Übersetzer zwischen den Leuten im Labor, zwischen den Atomphysikern, Chemikern, Wissenschaftshistorikern und den interessierten Laien. Deshalb muss ich die Sache verstehen können. Bin dann aber darauf aus, das erzählerisch darzustellen und den technischen Bereich nicht zu sehr zu betonen. Manchmal liest es sich vielleicht stellenweise wie ein Roman oder wie eine Erzählung, aber die Sachen sind recherchiert, man könnte vielleicht sagen: der Roman der Atombombe, aber mit historischen Darstellern.“
Tatsächlich gelingt es Hubert Mania, in seiner Geschichte der Atombombe einen Spannungssog zu erzeugen, wie man ihn sonst von packenden Romanhandlungen kennt. Spätestens seit dem September 1904, als Frederick Soddy und Ernest Rutherford auf der Weltausstellung im amerikanischen St. Louis ihre Erkenntnisse über die potentielle Zerstörungskraft der Uranenergie verkündeten, standen Wissenschaftler, die Kernforschung betrieben, vor einem moralischen Konflikt: Sollten sie mitwirken bei der Erschließung einer Energiequelle, die militärisch genutzt das Ende der Menschheit bedeuten könnte? Selbst Hitler fürchtete sich vor den Folgen eines Kernwaffeneinsatzes.
„Speer kolportiert das, dass Hitler gesagt hat, dass er Angst hat, dass die dummen Wissenschaftler die Welt in Brand stecken. Er selbst steckt die Welt zwar in Brand, aber da hatte er einen ungeheuren, wahrscheinlich auch mystischen Respekt vor. Er traute der Sache nicht so ganz. Und war natürlich auch ganz klar darauf aus, die Waffen zu fördern, die Aussicht auf Erfolg hatten, wie die V2, Wernher von Braun, der dann parallel zu Heisenberg und Weizsäcker in Peenemünde gearbeitet hat.“
Der Beginn des Zweiten Weltkrieges war zugleich der Startschuss im Wettlauf um die atomare Vorherrschaft. Das Kriegsziel nahm den Wissenschaftlern auf beiden Seiten die Skrupel. Die militärische Relevanz ihrer Aufgabe verschonte sie nicht nur vor einem Fronteinsatz, sondern verschaffte ihnen auch die für die Forschungsaufgabe dringend benötigten Gelder. Zwei Milliarden Doller investierte die US-Regierung in die Entwicklung der Atombombe. Auf dem Forschungsgelände in Los Alamos arbeiteten unter der Führung von Robert Oppenheimer 1200 Leute fieberhaft an der Entwicklung einer Kernwaffe mit gewaltiger Sprengkraft. Der Ehrgeiz der Wissenschaftler nahm geradezu erschreckende Züge an.
„Oppenheimer wollte eben auch letztlich sehen: Was wird daraus, was kann ich schaffen? Schaffen heißt in diesem Fall: Wie viele Leute kann ich umbringen? Das wurde natürlich auch brutal verdrängt. Das war 1943, also auf dem Höhepunkt der Brutalität des Krieges, als Fermi kam und sagte: Wir sind zwar noch nicht so weit mit der Herstellung von Plutonium, aber wir könnten vielleicht schon mit den Spaltprodukten arbeiten. Das heißt: Wir bauen so etwas, was man heute als schmutzige Bombe bezeichnen würde und vergiften den Deutschen ihre Lebensmittel. Und Oppenheimer hat das geprüft und ihm dann gesagt: Das lassen wir mal lieber sein, wir sind technisch noch nicht so weit, wenn es weniger als 500.000 Leute sind, die dabei drauf gehen, dann lohnt sich das nicht. Das zeigt so das Denken dieser hochsensiblen, feingeistigen Menschen, die 1943 auf dem Höhepunkt des Krieges so brutal dachten und denken mussten offenbar, weil jeder glaubte, die deutschen Wissenschaftler unter Heisenberg, das große Genie, wird das schon hinkriegen und wird uns zumindest ebenbürtig, wenn nicht voraus sein.“
Das Zentrum der deutschen Kernforschung bestand zu jener Zeit aus einer Bretterbude in der märkischen Heide, wie Hubert Mania in seinem Buch lakonisch bemerkt. Bis zum Kriegsende gelang es den deutschen Wissenschaftlern nicht, was die Amerikaner schon Ende 1942 geschafft hatten: die Auslösung einer Kettenreaktion. Als Deutschland bereits besiegt war, zündeten amerikanische Wissenschaftler in New Mexiko die erste Atombombe. Die Beschreibungen der Explosion gleichen denen von gewaltigen Naturereignissen. Doch jedem, der den Atomblitz gesehen hat, war klar, dass die Welt nun nicht mehr dieselbe sein würde.
Der Blitz verwandelt sich direkt über dem Wüstenboden in eine leuchtend gelbe Halbkugel – „wie eine halb aufgegangene Sonne, nur etwa zweimal so groß“. Bei einem Durchmesser von knapp 800 Metern hat sie ihre größte Ausdehnung erreicht und einen Krater hinterlassen. Schlangen, Erdhörnchen, Eidechsen, Frösche alles Leben erlischt hier. Die Erde kocht, sodass rund um die Lichterscheinung eine dunkle Korona aus pulverisierter Materie aufsteigt. Bedrohlich hebt sich die Halbkugel vom Boden ab und verwandelt sich in einen Feuerball. Einige hundert Tonnen Sand sind verdampft. Die Materie wird von der Kugel aufgesaugt, kräftig mit radioaktiven Teilchen durchmischt und dann in Klumpen eines nie zuvor gesehenen grünlichen und schwach strahlenden Glases wieder ausgespuckt.
„Now we are all sons of bitches“ – mit diesem an Robert Oppenheimer gerichteten Ausspruch des Testleiters Kenneth Bainbridge endet Hubert Manias Buch. Nur drei Wochen später wurde die erste Atombombe über Hiroshima abgeworfen. Doch davon liest man bei Hubert Mania nichts.
„Ich wollte nur die Herstellung der allerersten Atombombe, die eben nicht in Hiroshima war, sondern in Alamogordo gezündet wurde, in der neumexikanischen Wüste, darstellen, um das technische Abenteuer Atombombe, um das große wissenschaftliche Experiment darzustellen, das es zu dem Zeitpunkt noch gewesen ist. Es war ein monumentales wissenschaftliches Experiment und ein Jahrtausendabenteuer. Und das hoffe ich darzustellen. Denn wenn ich Hiroshima und Nagasaki reinbringe, dann bin ich gleich auf dem Weg des Menschenverachtenden und der Massenvernichtungswaffe, die die Atombombe natürlich ist. Ich wollte dort aufhören.“
Hubert Manias stilistisch brillantes und packendes Buch zeigt exemplarisch, dass das Drängen des Menschen nach Erkenntnissen nicht zu bändigen sein wird, selbst wenn es ihn ins Verderben führt.
Ralph Gerstenberg rezensierte Hubert Mania: „Kettenreaktion. Die Geschichte der Atombombe“. Veröffentlicht bei Rowohlt, das Buch umfasst 352 Seiten und kostet 22 Euro und 95 Cent, ISBN: 978-3-49800-664-8.