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Tödliches Autorennen auf dem Ku'damm
"Raser gehen davon aus, dass sie nicht erwischt werden"

Ein Mann war Anfang 2016 bei einem illegalen Autorennen in Berlin ums Leben gekommen - die beiden Raser wurden zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Verkehrspsychologe Haiko Ackermann begrüßt, dass die Strafen angehoben wurden. Die Raser hätten billigend in Kauf genommen, andere Menschen zu schädigen, sagte er im Dlf.

Haiko Ackermann im Gespräch mit Susanne Schrammar |
    Hamdi H. vor Gericht: Mordanklage wegen einem tödlichen Autorennen auf dem Berliner Kurfürstendamm
    Hamdi H. vor Gericht: Mordanklage wegen einem tödlichen Autorennen auf dem Berliner Kurfürstendamm (picture alliance / dpa / Gregor Fischer)
    Susanne Schrammar: Auf den Tag genau vor zwei Jahren - in der Nacht zum 1. Februar 2016 – liefern sich auf Berlins Prachtstraße Kurfürstendamm zwei junge Männer mit ihren Autos ein spontanes Rennen. Obwohl nur Ortsgeschwindigkeit erlaubt ist, sind die beiden mit bis zu 160 Stundenkilometer unterwegs, sie überfahren rote Ampeln und einer von ihnen rammt dabei einen Geländewagen. Dessen Fahrer stirbt noch an der Unfallstelle. Das Landgericht Berlin verurteilte die beiden Raser danach wegen Mordes – ein viel beachtetes, bisher einmaliges Urteil. Darum gingen die beiden Männer in Revision. Heute hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe damit begonnen zu überprüfen, ob das Mord-Urteil rechtmäßig ist und will am 1. März das Ergebnis verkünden. Haiko Ackermann ist Verkehrspsychologe in Berlin. Ich habe ihn vor der Sendung gefragt, welches Urteil er sich als Psychologe vom Bundesgerichtshof wünschen würde.
    Haiko Ackermann: Also ich würde mir wünschen rein aus menschlicher Sicht, dass die Verurteilung dem menschlichen Verstand folgt. Und wenn jemand mit 150 oder 160 den Kudamm entlangfährt – und wer den Kudamm kennt, der weiß, dass auch abends und nachts Fußgänger, Passanten und andere Autofahrer dort die Straßen passieren, dann liegt es im gesunden Menschenverstand, dass das nur jemand tun kann, der die Verletzung oder den Tod anderer Menschen billigend in Kauf nimmt. Insofern kann ich mir gut vorstellen, dass das Urteil, das das Berliner Landgericht gefällt hat, bestätigt wird.
    Schrammar: Also aus Ihrer Sicht war das auch Mord?
    Ackermann: Aus meiner Sicht stimme ich dem Gericht zu, als Bürger der Bundesrepublik, dass es einen bedingten Tötungsvorsatz gegeben hat. Das heißt, die beiden Raser, die sich ja verabredet haben zu dem Rasen, in Kauf genommen haben, andere Menschen zu schädigen.
    Schrammar: Es gab dieses Mordurteil, danach gab es auch eine Gesetzesänderung. Jetzt sind schon illegale Rennen allein strafbar, können mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden. Welche Erfahrungen haben Sie als Psychologe seitdem gemacht? Schrecken harte Strafen die Szene ab?
    Ackermann: Das kann ich leider nicht bestätigen, obwohl das natürlich wünschenswert wäre, weil die Raser, die immer noch rasen, ja davon ausgehen, dass sie selbst gar nicht erwischt werden und dass sie in Form einer persönlichen Erhöhung ihrer Fähigkeiten fest davon überzeugt sind, dass ihnen solche Unfälle gar nicht passieren. Die Täter stellen ihr Handeln deshalb auch nicht ein.
    "Die Gruppe der Raser ist überschaubar"
    Schrammar: Durch das Urteil hat die Raserszene ja auch viel mediale Aufmerksamkeit bekommen. Wie schwerwiegend ist denn aus Ihrer Sicht das Problem überhaupt, also wie groß ist die Gruppe der Raser?
    Ackermann: Die Gruppe der Raser ist relativ überschaubar. Man vermutet, dass in Köln und Umgebung, was eine Hochburg der Raser ist, sich ungefähr 300 Personen diesem Kreis zuordnen lassen. In Berlin sind es in 200 Personen. Das heißt, die Gruppe ist überschaubar, wächst aber. Und insofern ist es wichtig, dass harte Konsequenzen angedroht werden, um diejenigen, die sich jetzt noch entscheiden müssen, selbst Raser zu werden, vielleicht – die gehören zu denen aktivieren, die jetzt noch brachliegen, um ihr Handeln in andere Bahnen zu lenken. Man kann ja, wenn man den Wunsch hat, Rasen zu gehen, sich auf dem Nürburgring anmelden und mit dem Auto so schnell fahren, wie man kann. Dagegen hat ja auch niemand was. Man kann auch Unfälle machen, wenn man den Wunsch hat, das ist ja nicht verboten. Aber in der Form, in der es hier praktiziert wird, ist es eine absolute Straftat, und ich begrüße sehr, dass die Strafen angehoben worden sind.
    Schrammar: Aber wenn Sie sagen, harte Konsequenzen, auf der anderen Seite haben Sie festgestellt, harte Strafen schrecken nicht ab – was können harte Konsequenzen sein? Was würde diese Raser stoppen?
    Ackermann: Die Raser würde stoppen ein ganz langer, schmerzhafter Führerscheinentzug, Beschlagnahme des Fahrzeugs. Es handelt sich ja hier um sehr hoch motorisierte Fahrzeuge, die ja zum größten Teil auch gar nicht dem Täter selbst gehören, sondern die geleast oder gemietet sind. Und es wäre natürlich sehr schmerzhaft, wenn diese teuren Fahrzeuge beschlagnahmt werden und den Tätern nicht mehr zurückgegeben werden, sodass der in der Erwartung lebt, natürlich eine Menge Geld an die Eigentümer zurückzahlen zu müssen. Also insofern, die Gesellschaft muss sich abgrenzen. Das tut sie, indem Strafen ausgesprochen werden, und dazu könnten kommen lange Führerscheinentzüge und Beschlagnahme der Fahrzeuge.
    "Es hat etwas mit Nervenkitzel zu tun"
    Schrammar: Gibt es eigentlich so etwas wie einen typischen Raser?
    Ackermann: Man kann nicht davon ausgehen, dass es eine absolut homogene Gruppe ist. Die Mehrheit der Raser hat ein Alter zwischen 18 und Ende 20, ist männlich zu nahezu hundert Prozent und zeichnet sich dadurch aus, dass sie beruflich und privat nicht unbedingt gefestigt sind, dass sie durch solche Rasergeschichten Aufmerksamkeit auf sich lenken wollen. Dass es natürlich auch erwünscht ist, dass solche Rennen gefilmt werden, bei YouTube oder anderen sozialen Netzwerken veröffentlicht werden. Es handelt sich doch in der Mehrheit um junge Männer, die nicht gefestigt sind im Leben und leider Gottes dann häufig auch die Konsequenzen nicht zu Ende denken, was reifere Menschen ja durchaus tun.
    Schrammar: Also das heißt, es ist weniger der Nervenkitzel als mehr ein Selbstwertproblem?
    Ackermann: Es ist beides. Es ist sowohl ein Selbstwertproblem, dass die Leute sich erhöhen. Es hat aber auch was mit Nervenkitzel zu tun, was wir in anderen Lebensbereichen auch feststellen. Wenn Leute Bergsteigen oder andere gefährliche Hobbys machen. Es ist beides. Es ist der Nervenkitzel und die Selbstwertproblematik.
    Schrammar: Der Bundesgerichtshof überprüft seit heute das Mord-Urteil, das gegen zwei Berliner Raser ausgesprochen wurde. Über die Auswirkungen dieses Urteils habe ich mit dem Berliner Verkehrspsychologen Haiko Ackermann gesprochen. Wir haben das Interview vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.