"Merkel: "Machen Sie sich keine Sorgen, wir werden eine Lösung finden. Der deutsche Autofahrer wird nicht mehr belastet. Wir brauchen mehr Geld für die Infrastruktur, das ist unbestritten und den Rest besprechen wir.""
So reagierte Bundeskanzlerin Merkel gestern Abend bei der Berliner Runde auf die bayrische Forderung nach einer Pkw-Maut. Das war aber auch der einzige irgendwie auch umweltpolitisch bedeutsame Punkt in der Diskussion um kommende Koalitionen. Nachhaltigkeit – kein Thema in diesem Wahlkampf, obwohl es um die Energiewende nicht gut bestellt ist und die EU beim Klimaschutz derzeit auf Rückwärtsgang schaltet.
Kurz vor dieser Sendung fragte ich Klaus Töpfer, ehemals für die CDU Bundesumweltminister und heute Leiter des Instituts für Nachhaltigkeitsstudien IASS in Potsdam, was die kommende Regierung – wie immer sie aussieht - als Erstes anpacken muss, wenn sie sich weiterhin für Nachhaltigkeit als Regierungsziel einsetzt.
Klaus Töpfer: Ich glaube, es sind drei Teilbereiche, die in besonderer Weise auch unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit eine große Rolle spielen müssen. Das ist einmal, wie wird sich die Europäische Union positionieren, auch mit Blick auf die Frage der Klimapolitik. Wie wird sie sich positionieren mit Blick auf die Nachhaltigkeit? Dies steht ganz oben auf der Agenda. Die Frage, welche Ziele wird man sich für 2030 geben ...
Reimer: Beim Klimaschutz.
Töpfer: ... die wir ja für 2020 gehabt haben, 20 Prozent erneuerbare Energien, 20 Prozent Energieeffizienzsteigerung, 20 Prozent weniger CO2 – das war für 2020. Jetzt steht das Nächste an, und ich glaube, da muss Europa vorangehen, und da ist die Bundesregierung in ganz besonderer Weise gefordert. Das zweite Thema, ganz sicherlich ebenfalls von größter Relevanz für die Nachhaltigkeit: Wie gehen wir mit dem demografischen Wandel um? Unsere Gesellschaft wird immer älter, sie wird weniger, sie wird bunter – wie wird das sich im ländlichen Raum konkretisieren. Wir sehen große Chancen da drin, aber es ist auch klarzumachen, dass das eine neue Situation zwischen Stadt und Land wiederum darstellt. Wir haben darüber ja auch unsere Meinung vom Institut her gesagt. Und der dritte Teilbereich, ganz ohne jeden Zweifel, ist die Frage: Wie sieht die Energiepolitik in der Zukunft aus?
Reimer: Da möchte ich gern mal einhaken. Das rasante Wachstum des Angebots an erneuerbaren Energien hat ja den Strommarkt durcheinandergewirbelt, und die garantierte Einspeisevergütung für Solar- und Windstrom sorgt für höhere Stromrechnungen. Wie würden Sie das Erneuerbare-Energien-Gesetz reformieren?
Töpfer: Also zunächst einmal gibt es breiteste Zustimmung für die Tatsache, dass dieses Erneuerbare-Energien-Gesetz, das in der Vergangenheit hervorragend gewirkt hat, überarbeitet werden muss. Das gilt nicht dafür, dass es einen Stopp des Ausbaus der erneuerbaren Energien bedarf, aber ...
Reimer: Der BDI hat aber die Abschaffung der Förderung gefordert.
Töpfer: Ich kenne nicht eine solche Überlegung, die jetzt davon ausgeht, dass wir keine Förderung für erneuerbare Energien mehr haben. Wir werden natürlich die Belastungen aus der Vergangenheit weiter zu finanzieren haben, aber wir werden auch in der Zukunft weiterhin erneuerbare Energien ausbauen. Die Zielsetzung von 52 Gigawatt Investitionen in Fotovoltaik ist bei Weitem noch nicht erreicht, sie wird mit verstärkter Förderung aber erreicht werden können. Wir sehen auch, dass die Situation in der Windenergie eine sehr, sehr positive ist. Sie sehen, dass die Kosten weiter sinken. Also, wir sind genau an der Schwelle, indem diese erneuerbaren Energien in die Wettbewerbsfähigkeit ohne Förderung hineingehen, aber das wird sicherlich noch eine Zeit lang eine Förderung erforderlich machen. Wir werden gleichzeitig sehen, dass wir sehr viel mehr Eigenverbrauch haben, sowohl in der Industrie als auch bei den Haushalten. Also noch einmal: DasErneuerbare-Energien-Gesetz muss und wird überarbeitet werden, aber es wird keinen Kahlschlag geben. Und ich glaube, das wäre auch gänzlich unverständlich, wenn man sieht, welche großartigen Wirkungen wir bereits erreicht haben: 26 Prozent unseres Stroms kommt aus erneuerbaren Energien.
Reimer: Armin Laschet, CDU-Vorsitzender im mächtigen Landesverband Nordrhein-Westfalen, hat vor gut einem Jahr gesagt, man dürfe die Ökologie nicht überhöhen, und heute Morgen im Deutschlandfunk hat er da noch mal eine gewisse Skepsis gegenüber erneuerbaren Energien als Alleinversorger durchblicken lassen. Wir hören mal rein:
"Armin Laschet: "Und wenn ich einmal aus nordrhein-westfälischer Sicht sprechen darf: Die Frage Energieland und Industrieland, wollen wir Industrieland bleiben, da waren immer eher die Grünen die, die Hemmnisse erzeugt haben. Da könnte ich mir vorstellen, dass man mit den Sozialdemokraten leichter zu einem Ergebnis kommt. Denn die Grünen sagen ja, wir wollen aus allem aussteigen – aus Kohle, aus Kernenergie –, und das ist auch keine realistische Politik. Wir werden auch in Zukunft noch Kohle brauchen.""
Reimer: Also weiter Braunkohle, die ja ihren Anteil steigern konnte, die ja wirklich das Klimaschädlichste ist, was es gibt. Muss damit gerechnet werden, dass die CDU vielleicht dann doch demnächst bei einer Energiepolitik die Rolle rückwärts einleitet?
Töpfer: Nein, ich glaube das überhaupt nicht. Auch das, was Herr Laschet gerade gesagt hat, bedeutet das ja in keiner Weise. Niemand wird bezweifeln, dass wir nicht in absehbarer Zeit 100 Prozent erneuerbare Energien haben werden. Niemand kann infrage stellen, dass wir bei erneuerbaren Energien entweder in den Speichertechnologien massiv vorankommen müssen – was ohnedies notwendig ist – oder dass wir natürlich eine sogenannte Back-up-Kapazität brauchen, also eine Kapazität, die rund um die Uhr verfügbar ist, wenn der Wind mal nicht weht und die Sonne nicht scheint. Alles dies ist, glaube ich, allgemein klar, und dass wir dafür auch weiterhin noch fossile Energie brauchen, das steht auch im Bericht der Ethikkommission bereits drin. Dies also ist ganz ohne jeden Zweifel nicht eine Rolle rückwärts, sondern das ist eine vernünftige Fortsetzung der Energiewende in Richtung auf eine Position, wo wir mit praktisch keinem CO2 mehr unsere Energieversorgung betreiben können. Das ist das Ziel der Bundesregierung gewesen, 85 Prozent weniger CO2 im Jahre 2050, aber das ist nicht jetzt in den nächsten vier Jahren zu realisieren.
Reimer: Glauben Sie denn, dass die Technik, CO2 abzuscheiden und zu verpressen, dass die im Bereich der Kohleverstromung Zukunft hat?
Töpfer: Ich glaube, das wenig, aber ich glaube sehr, dass die CO2-Abscheidung weiterentwickelt wird und dass wir uns wissenschaftlich intensiv bereits jetzt damit beschäftigen, was kann man denn mit Kohlendioxid machen, wie kann man den Kohlenstoffkreislauf schließen. Solche Technologien sind grundsätzlich vorhanden, aber sie müssen noch größer entwickelt werden. Denken Sie etwa daran, dass man mit CO2 auch Algen produzieren kann. CO2 ist in der Natur kein Abfall, sondern grundsätzliche Voraussetzung jedes Wachstums der Natur. Also, hier gibt es technologische Weiterentwicklung von größter Bedeutung, aber ich glaube nicht, dass wir CO2 weiterhin als Abfall behandeln können, und erst gar nicht, dass wir ihn unterirdisch verpressen können. Dies wird in der Bevölkerung ganz sicherlich auf massiven Widerstand stoßen.
Reimer: Sie sind ja nicht nur ein Bundesumweltminister a. D., sondern Sie haben auch das UN-Umweltprogramm UNEP geleitet. Am Mittwoch wird UN-Generalsekretär Ban Ki-moon vor der UN-Vollversammlung berichten, wie es um die UN-Millenniumsentwicklungsziele, also wie Grundschulzugang für alle Kinder, Reduzierung der Müttersterblichkeit, steht. Diese Ziele sollen ab 2015 mit Nachhaltigkeitszielen zum Ressourcenverbrauch und der Energienutzung verbunden werden, die dann auch für die Industriestaaten gelten und wo die Industriestaaten dann auch rechenschaftspflichtig werden sollen. Was empfehlen Sie da der kommenden Bundesregierung, wie soll sie dieses Thema voranbringen?
Töpfer: Ich glaube, es ist eine der wenigen großen und guten Ergebnisse, die wir 20 Jahre nach Rio de Janeiro bei dieser Konferenz im letzten Jahr haben konnten ...
Reimer: In Rio plus 20.
Töpfer: ... dass wir Nachhaltigkeitsziele bekommen und nicht nur, so wichtig sie sind, Entwicklungsziele. Ich glaube, die Bundesregierung wird eine entscheidende, führende Rolle dabei spielen müssen. Denken Sie daran, dass etwa in den Millenniumsentwicklungszielen das Thema Energie gar nicht vorkommt. Ban Ki-moon, der Generalsekretär, hat selbst das Ziel sich jetzt gesetzt oder den Vereinten Nationen gesetzt, bis 2030 müssen alle Zugang zu nachhaltiger Energie haben. Das heißt, auch das, was wir bei der Energiewende bei uns machen, hat enorme und weitreichende Konsequenzen für die Energieversorgung weltweit. Also auch hier glaube ich, sind wir gut beraten, die Energie zu sehen, aber auch solche Ziele zu formulieren, wie werden unsere Städte in Zukunft aussehen. Ich sagte eingangs, dass die Frage des demografischen Wandels für meine Begriffe wirklich völlig ausgeblendet im Wahlkampf eine ganz, ganz große Aufgabe für uns darstellt in der Bundesregierung Deutschland und darüber hinaus – also eine Zielsetzung, ein Nachhaltigkeitsziel für Städte, eine Frage, wie gehen wir mit unseren Böden um, brauchen wir nicht eine Nachhaltigkeitszielsetzung für den Kampf gegen den massiven Bodenverlust. Und so gibt es ganz viele andere Teilbereiche, wo es wirklich dringlich ist, dass wir über die Nachhaltigkeitsziele nicht nur bei uns, sondern weltweit zu Entscheidungen kommen. Deswegen habe ich ja an die allererste Stelle auch meiner Prioritäten gesetzt Europa. Das hat natürlich auch vieles zu tun mit der wirtschaftlichen Situation, aber es ist eben eine zentrale Herausforderung, dass Europa zeigen kann, es ist eine Nachhaltigkeitsentwicklung möglich bei wirtschaftlicher Stabilität und bei wirtschaftlichem Wachstum.
Reimer: Werden wir mal konkret: Im kommenden November beginnt in Warschau die nächste UN-Klimakonferenz. Der Gastgeber Polen hat erst mal für eine Vollbremsung bei der EU-Klimapolitik gesorgt. Was sollte da eine Regierung, eine Bundesregierung, eine deutsche, einbringen?
Töpfer: Ich glaube, wir müssen alles daransetzen, dass wir das Zieldatum – 2015 in Paris ist dann die Konferenz –, dass wir das so vorbereiten, dass in diesem Jahr, 2015, ein neues, wirklich wirksames Abkommen geschlossen werden kann. Polen, Warschau wird jetzt eine Zwischenstation sein. Für mich ist es ganz, ganz wichtig, dass die Frage ja nicht nur ist, wie viel an erneuerbaren Energien bringen wir hinein, sondern wie können wir etwa durch Energieeffizienz, durch intelligente Nutzung von Energie auch die CO2-Senkungen erreichen. Und ich glaube, das ist eine ökonomisch sinnvolle Fragestellung, und der wird sich ganz sicherlich auch Polen nicht verschließen. Also es gibt die Notwendigkeit, die Energieagenda so breit wie irgend möglich zu sehen, sie nicht zu begrenzen auf die Frage, woher kommt unser Strom, in diesem Fall eben die Frage nach den erneuerbaren Energien, sondern sie weiterzuziehen auf die gesamte Nachfrageseite, besonders zur Energieeffizienz.
Reimer: Es gibt ja immer wieder Menschen, die darauf hinweisen, dass die Klimaerwärmung in den letzten Jahren doch überhaupt nicht so deutlich gewesen sei – was sagen Sie denen?
Töpfer: Es ist unstrittig, dass in den letzten 15 Jahren der Klimaanstieg, der erwartet wurde, nicht eingetreten ist. Die Wissenschaft hat dazu eine – wie ich meine – überzeugende Erklärung gebracht, die sich damit beschäftigt, welche Wärmespeicher im Ozean in dieser Zeit wirksam gewesen sind. Aber es ist gar keine Frage und wir werden das ja in Kürze sehen, wenn der neue Bericht des Klimarat der Vereinten Nationen, des IPCC, vorgelegt wird, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Sicher ist es richtig, dass der Klimawandel sich verlangsamt hat, und sicherlich ist das auch von der Wissenschaft nicht verschwiegen, sondern ganz im Gegenteil, es wird wohl sehr zentral in dem neuen Bericht der Wissenschaftler enthalten sein.
Reimer: Klimaschutz, Energiewende, globale Nachhaltigkeitsziele – plädieren Sie für ein schwarz-grünes Regierungsbündnis, um all dies umzusetzen?
Töpfer: Ach wissen Sie, ich bin jetzt mindestens zwölf Jahre nicht mehr in der aktuellen Politik, ich war lange Zeit in Afrika, und ich habe mit größtem Interesse verfolgt den gestrigen Abend, und ich glaube, alle waren gut beraten, die gesagt haben, es ist sinnvoll, dass zwischen allen demokratischen Parteien Verhandlungen stattfinden, das wird sicherlich auch mit den Grünen passieren. Und ich glaube, dann wird man sehen, ob diese Übereinstimmungen so weit sind, dass es zu einer Koalition reicht. Ich bin jedenfalls fest davon überzeugt, dass die Themen der Nachhaltigkeit auch die neue Bundesregierung, wie sie auch immer am Ende aussehen wird, massiv fordern wird und dass man Antworten darauf findet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
So reagierte Bundeskanzlerin Merkel gestern Abend bei der Berliner Runde auf die bayrische Forderung nach einer Pkw-Maut. Das war aber auch der einzige irgendwie auch umweltpolitisch bedeutsame Punkt in der Diskussion um kommende Koalitionen. Nachhaltigkeit – kein Thema in diesem Wahlkampf, obwohl es um die Energiewende nicht gut bestellt ist und die EU beim Klimaschutz derzeit auf Rückwärtsgang schaltet.
Kurz vor dieser Sendung fragte ich Klaus Töpfer, ehemals für die CDU Bundesumweltminister und heute Leiter des Instituts für Nachhaltigkeitsstudien IASS in Potsdam, was die kommende Regierung – wie immer sie aussieht - als Erstes anpacken muss, wenn sie sich weiterhin für Nachhaltigkeit als Regierungsziel einsetzt.
Klaus Töpfer: Ich glaube, es sind drei Teilbereiche, die in besonderer Weise auch unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit eine große Rolle spielen müssen. Das ist einmal, wie wird sich die Europäische Union positionieren, auch mit Blick auf die Frage der Klimapolitik. Wie wird sie sich positionieren mit Blick auf die Nachhaltigkeit? Dies steht ganz oben auf der Agenda. Die Frage, welche Ziele wird man sich für 2030 geben ...
Reimer: Beim Klimaschutz.
Töpfer: ... die wir ja für 2020 gehabt haben, 20 Prozent erneuerbare Energien, 20 Prozent Energieeffizienzsteigerung, 20 Prozent weniger CO2 – das war für 2020. Jetzt steht das Nächste an, und ich glaube, da muss Europa vorangehen, und da ist die Bundesregierung in ganz besonderer Weise gefordert. Das zweite Thema, ganz sicherlich ebenfalls von größter Relevanz für die Nachhaltigkeit: Wie gehen wir mit dem demografischen Wandel um? Unsere Gesellschaft wird immer älter, sie wird weniger, sie wird bunter – wie wird das sich im ländlichen Raum konkretisieren. Wir sehen große Chancen da drin, aber es ist auch klarzumachen, dass das eine neue Situation zwischen Stadt und Land wiederum darstellt. Wir haben darüber ja auch unsere Meinung vom Institut her gesagt. Und der dritte Teilbereich, ganz ohne jeden Zweifel, ist die Frage: Wie sieht die Energiepolitik in der Zukunft aus?
Reimer: Da möchte ich gern mal einhaken. Das rasante Wachstum des Angebots an erneuerbaren Energien hat ja den Strommarkt durcheinandergewirbelt, und die garantierte Einspeisevergütung für Solar- und Windstrom sorgt für höhere Stromrechnungen. Wie würden Sie das Erneuerbare-Energien-Gesetz reformieren?
Töpfer: Also zunächst einmal gibt es breiteste Zustimmung für die Tatsache, dass dieses Erneuerbare-Energien-Gesetz, das in der Vergangenheit hervorragend gewirkt hat, überarbeitet werden muss. Das gilt nicht dafür, dass es einen Stopp des Ausbaus der erneuerbaren Energien bedarf, aber ...
Reimer: Der BDI hat aber die Abschaffung der Förderung gefordert.
Töpfer: Ich kenne nicht eine solche Überlegung, die jetzt davon ausgeht, dass wir keine Förderung für erneuerbare Energien mehr haben. Wir werden natürlich die Belastungen aus der Vergangenheit weiter zu finanzieren haben, aber wir werden auch in der Zukunft weiterhin erneuerbare Energien ausbauen. Die Zielsetzung von 52 Gigawatt Investitionen in Fotovoltaik ist bei Weitem noch nicht erreicht, sie wird mit verstärkter Förderung aber erreicht werden können. Wir sehen auch, dass die Situation in der Windenergie eine sehr, sehr positive ist. Sie sehen, dass die Kosten weiter sinken. Also, wir sind genau an der Schwelle, indem diese erneuerbaren Energien in die Wettbewerbsfähigkeit ohne Förderung hineingehen, aber das wird sicherlich noch eine Zeit lang eine Förderung erforderlich machen. Wir werden gleichzeitig sehen, dass wir sehr viel mehr Eigenverbrauch haben, sowohl in der Industrie als auch bei den Haushalten. Also noch einmal: DasErneuerbare-Energien-Gesetz muss und wird überarbeitet werden, aber es wird keinen Kahlschlag geben. Und ich glaube, das wäre auch gänzlich unverständlich, wenn man sieht, welche großartigen Wirkungen wir bereits erreicht haben: 26 Prozent unseres Stroms kommt aus erneuerbaren Energien.
Reimer: Armin Laschet, CDU-Vorsitzender im mächtigen Landesverband Nordrhein-Westfalen, hat vor gut einem Jahr gesagt, man dürfe die Ökologie nicht überhöhen, und heute Morgen im Deutschlandfunk hat er da noch mal eine gewisse Skepsis gegenüber erneuerbaren Energien als Alleinversorger durchblicken lassen. Wir hören mal rein:
"Armin Laschet: "Und wenn ich einmal aus nordrhein-westfälischer Sicht sprechen darf: Die Frage Energieland und Industrieland, wollen wir Industrieland bleiben, da waren immer eher die Grünen die, die Hemmnisse erzeugt haben. Da könnte ich mir vorstellen, dass man mit den Sozialdemokraten leichter zu einem Ergebnis kommt. Denn die Grünen sagen ja, wir wollen aus allem aussteigen – aus Kohle, aus Kernenergie –, und das ist auch keine realistische Politik. Wir werden auch in Zukunft noch Kohle brauchen.""
Reimer: Also weiter Braunkohle, die ja ihren Anteil steigern konnte, die ja wirklich das Klimaschädlichste ist, was es gibt. Muss damit gerechnet werden, dass die CDU vielleicht dann doch demnächst bei einer Energiepolitik die Rolle rückwärts einleitet?
Töpfer: Nein, ich glaube das überhaupt nicht. Auch das, was Herr Laschet gerade gesagt hat, bedeutet das ja in keiner Weise. Niemand wird bezweifeln, dass wir nicht in absehbarer Zeit 100 Prozent erneuerbare Energien haben werden. Niemand kann infrage stellen, dass wir bei erneuerbaren Energien entweder in den Speichertechnologien massiv vorankommen müssen – was ohnedies notwendig ist – oder dass wir natürlich eine sogenannte Back-up-Kapazität brauchen, also eine Kapazität, die rund um die Uhr verfügbar ist, wenn der Wind mal nicht weht und die Sonne nicht scheint. Alles dies ist, glaube ich, allgemein klar, und dass wir dafür auch weiterhin noch fossile Energie brauchen, das steht auch im Bericht der Ethikkommission bereits drin. Dies also ist ganz ohne jeden Zweifel nicht eine Rolle rückwärts, sondern das ist eine vernünftige Fortsetzung der Energiewende in Richtung auf eine Position, wo wir mit praktisch keinem CO2 mehr unsere Energieversorgung betreiben können. Das ist das Ziel der Bundesregierung gewesen, 85 Prozent weniger CO2 im Jahre 2050, aber das ist nicht jetzt in den nächsten vier Jahren zu realisieren.
Reimer: Glauben Sie denn, dass die Technik, CO2 abzuscheiden und zu verpressen, dass die im Bereich der Kohleverstromung Zukunft hat?
Töpfer: Ich glaube, das wenig, aber ich glaube sehr, dass die CO2-Abscheidung weiterentwickelt wird und dass wir uns wissenschaftlich intensiv bereits jetzt damit beschäftigen, was kann man denn mit Kohlendioxid machen, wie kann man den Kohlenstoffkreislauf schließen. Solche Technologien sind grundsätzlich vorhanden, aber sie müssen noch größer entwickelt werden. Denken Sie etwa daran, dass man mit CO2 auch Algen produzieren kann. CO2 ist in der Natur kein Abfall, sondern grundsätzliche Voraussetzung jedes Wachstums der Natur. Also, hier gibt es technologische Weiterentwicklung von größter Bedeutung, aber ich glaube nicht, dass wir CO2 weiterhin als Abfall behandeln können, und erst gar nicht, dass wir ihn unterirdisch verpressen können. Dies wird in der Bevölkerung ganz sicherlich auf massiven Widerstand stoßen.
Reimer: Sie sind ja nicht nur ein Bundesumweltminister a. D., sondern Sie haben auch das UN-Umweltprogramm UNEP geleitet. Am Mittwoch wird UN-Generalsekretär Ban Ki-moon vor der UN-Vollversammlung berichten, wie es um die UN-Millenniumsentwicklungsziele, also wie Grundschulzugang für alle Kinder, Reduzierung der Müttersterblichkeit, steht. Diese Ziele sollen ab 2015 mit Nachhaltigkeitszielen zum Ressourcenverbrauch und der Energienutzung verbunden werden, die dann auch für die Industriestaaten gelten und wo die Industriestaaten dann auch rechenschaftspflichtig werden sollen. Was empfehlen Sie da der kommenden Bundesregierung, wie soll sie dieses Thema voranbringen?
Töpfer: Ich glaube, es ist eine der wenigen großen und guten Ergebnisse, die wir 20 Jahre nach Rio de Janeiro bei dieser Konferenz im letzten Jahr haben konnten ...
Reimer: In Rio plus 20.
Töpfer: ... dass wir Nachhaltigkeitsziele bekommen und nicht nur, so wichtig sie sind, Entwicklungsziele. Ich glaube, die Bundesregierung wird eine entscheidende, führende Rolle dabei spielen müssen. Denken Sie daran, dass etwa in den Millenniumsentwicklungszielen das Thema Energie gar nicht vorkommt. Ban Ki-moon, der Generalsekretär, hat selbst das Ziel sich jetzt gesetzt oder den Vereinten Nationen gesetzt, bis 2030 müssen alle Zugang zu nachhaltiger Energie haben. Das heißt, auch das, was wir bei der Energiewende bei uns machen, hat enorme und weitreichende Konsequenzen für die Energieversorgung weltweit. Also auch hier glaube ich, sind wir gut beraten, die Energie zu sehen, aber auch solche Ziele zu formulieren, wie werden unsere Städte in Zukunft aussehen. Ich sagte eingangs, dass die Frage des demografischen Wandels für meine Begriffe wirklich völlig ausgeblendet im Wahlkampf eine ganz, ganz große Aufgabe für uns darstellt in der Bundesregierung Deutschland und darüber hinaus – also eine Zielsetzung, ein Nachhaltigkeitsziel für Städte, eine Frage, wie gehen wir mit unseren Böden um, brauchen wir nicht eine Nachhaltigkeitszielsetzung für den Kampf gegen den massiven Bodenverlust. Und so gibt es ganz viele andere Teilbereiche, wo es wirklich dringlich ist, dass wir über die Nachhaltigkeitsziele nicht nur bei uns, sondern weltweit zu Entscheidungen kommen. Deswegen habe ich ja an die allererste Stelle auch meiner Prioritäten gesetzt Europa. Das hat natürlich auch vieles zu tun mit der wirtschaftlichen Situation, aber es ist eben eine zentrale Herausforderung, dass Europa zeigen kann, es ist eine Nachhaltigkeitsentwicklung möglich bei wirtschaftlicher Stabilität und bei wirtschaftlichem Wachstum.
Reimer: Werden wir mal konkret: Im kommenden November beginnt in Warschau die nächste UN-Klimakonferenz. Der Gastgeber Polen hat erst mal für eine Vollbremsung bei der EU-Klimapolitik gesorgt. Was sollte da eine Regierung, eine Bundesregierung, eine deutsche, einbringen?
Töpfer: Ich glaube, wir müssen alles daransetzen, dass wir das Zieldatum – 2015 in Paris ist dann die Konferenz –, dass wir das so vorbereiten, dass in diesem Jahr, 2015, ein neues, wirklich wirksames Abkommen geschlossen werden kann. Polen, Warschau wird jetzt eine Zwischenstation sein. Für mich ist es ganz, ganz wichtig, dass die Frage ja nicht nur ist, wie viel an erneuerbaren Energien bringen wir hinein, sondern wie können wir etwa durch Energieeffizienz, durch intelligente Nutzung von Energie auch die CO2-Senkungen erreichen. Und ich glaube, das ist eine ökonomisch sinnvolle Fragestellung, und der wird sich ganz sicherlich auch Polen nicht verschließen. Also es gibt die Notwendigkeit, die Energieagenda so breit wie irgend möglich zu sehen, sie nicht zu begrenzen auf die Frage, woher kommt unser Strom, in diesem Fall eben die Frage nach den erneuerbaren Energien, sondern sie weiterzuziehen auf die gesamte Nachfrageseite, besonders zur Energieeffizienz.
Reimer: Es gibt ja immer wieder Menschen, die darauf hinweisen, dass die Klimaerwärmung in den letzten Jahren doch überhaupt nicht so deutlich gewesen sei – was sagen Sie denen?
Töpfer: Es ist unstrittig, dass in den letzten 15 Jahren der Klimaanstieg, der erwartet wurde, nicht eingetreten ist. Die Wissenschaft hat dazu eine – wie ich meine – überzeugende Erklärung gebracht, die sich damit beschäftigt, welche Wärmespeicher im Ozean in dieser Zeit wirksam gewesen sind. Aber es ist gar keine Frage und wir werden das ja in Kürze sehen, wenn der neue Bericht des Klimarat der Vereinten Nationen, des IPCC, vorgelegt wird, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Sicher ist es richtig, dass der Klimawandel sich verlangsamt hat, und sicherlich ist das auch von der Wissenschaft nicht verschwiegen, sondern ganz im Gegenteil, es wird wohl sehr zentral in dem neuen Bericht der Wissenschaftler enthalten sein.
Reimer: Klimaschutz, Energiewende, globale Nachhaltigkeitsziele – plädieren Sie für ein schwarz-grünes Regierungsbündnis, um all dies umzusetzen?
Töpfer: Ach wissen Sie, ich bin jetzt mindestens zwölf Jahre nicht mehr in der aktuellen Politik, ich war lange Zeit in Afrika, und ich habe mit größtem Interesse verfolgt den gestrigen Abend, und ich glaube, alle waren gut beraten, die gesagt haben, es ist sinnvoll, dass zwischen allen demokratischen Parteien Verhandlungen stattfinden, das wird sicherlich auch mit den Grünen passieren. Und ich glaube, dann wird man sehen, ob diese Übereinstimmungen so weit sind, dass es zu einer Koalition reicht. Ich bin jedenfalls fest davon überzeugt, dass die Themen der Nachhaltigkeit auch die neue Bundesregierung, wie sie auch immer am Ende aussehen wird, massiv fordern wird und dass man Antworten darauf findet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.