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"Töten auf Tschechisch"

Zu sehen sind Aufnahmen eines Massakers. Die Szene hat sich 1945 im Prager Bezirk Borislavka abgespielt. Zwei Tage nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden 40 Deutsche hingerichtet - Zivilisten. Der Streifen "Töten auf Tschechisch" dokumentiert die Tat und entsetzt die Tschechen.

Von Christina Janssen |
    Die Bilder lassen kaum Raum für Interpretation: Am 10. Mai 1945, direkt nach Ende des Zweiten Weltkrieges, werden im Prager Bezirk Borislavka 40 deutsche Zivilisten erschossen. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die das tschechische Fernsehen ausgestrahlt hat, zeigen Menschen, die von Soldaten geprügelt werden, ein Mädchen hält die Hände hoch, auf der Straße knieen Männer und Frauen, die langsam zu Boden fallen, dann folgt eine besonders drastische Szene: Ein Militärauto überrollt die Leichen, die bereits am Straßenrand liegen:

    "Dieses Material hat mir Helena Dvorackova zur Verfügung gestellt", so Regisseur David Vondracek.

    "Die Aufnahmen hat ihr Vater gemacht, ein Amatuerfilmer. Interessant ist, dass er den Film so lange versteckt hat. Er hat ihn im Garten vergraben hat, weil der Geheimdienst und die Polizei ihn unbedingt haben wollten."

    Es sei ein Krieg nach dem Krieg gewesen, so Regisseur Vondracek. Er arbeitet in seinem Film "Töten auf Tschechisch" auch den Massenmord an Deutschen im nordböhmischen Postoloprty, dem früheren Postelberg, auf. Dort waren im Juni 1945 mehr als 700 Männer ermordet worden. Jahrelang wurde erbittert darüber gestritten, ob ein Mahnmal an das Massaker erinnern soll. Erst diese Woche wird es eingeweiht werden – ein bedeutender Schritt im deutsch-tschechischen Dialog. Nach Schätzungen von Historikern wurden während der Vertreibungen und Übergriffe im Jahr 1945 mehrere Zehntausend Deutsche umgebracht. Bis heute sei das ein Tabuthema in Tschechien, so Filmemacher Vondracek:

    "Erst nach 1990 begann man hier darüber zu reden. Ich selbst habe Postelberg 1993 besucht, weil ich mich mit der Nachkriegsgeschichte befasse. Damals waren gerade die ersten Artikel über die vertriebenen Deutschen in der Zeitschrift "Mitte Europa" veröffentlicht worden. In Postelberg haben Soldaten die Morde verübt und einige Zeitzeugen leben dort heute noch. Und die Leute im Ort sagen oft: Das ist alles nicht wahr, das ist alles sudetendeutsche Propaganda."

    Entsprechend emotional wird der Film "Töten auf Tschechisch" in der Öffentlichkeit diskutiert. In Internetforen ist zu lesen, das alles sei die verdiente Strafe dafür gewesen, was die Deutschen den Tschechen angetan hätten. Es wurde sogar der Vorwurf laut, das Filmmaterial sei gefälscht. Doch die gemäßigten Stimmen überwiegen:

    "Es ist gut, dass diese Themen jetzt auf den Tisch kommen. Das muss auf beiden Seiten passieren. Nicht nur die Deutschen haben Schreckliches getan, sondern offenbar auch die Tschechen. Darüber muss offen gesprochen werden."

    "Leider finden sich überall Menschen, die solcher Taten fähig sind. Viele Leute sagen, der Film hätte nicht sein müssen. Aber er zeigt die Tatsachen – also warum nicht."

    Allerdings bewerten selbst tschechische Historiker die Ereignisse der Nachkriegszeit unterschiedlich. Prokop Tomek vom militärhistorischen Institut in Prag betont, man müsse den historischen Kontext berücksichtigen.

    "Im Mai, kurz vor den Gräueltaten in Prag, haben Nazis tschechische Zivilisten ermordet, sie haben sie als lebende Schutzschilde benutzt und an unterschiedlichen Orten in Prag erschossen. Die Morde im Stadtteil Borislavka waren also Racheakte, die man im Kontext der damaligen Zeit betrachten muss, die sehr angespannt war und von Emotionen bestimmt."

    Der Historiker Petr Koura von der Prager Karlsuniversität sieht das anders. Die Tschechen, so Koura, müssten sich endlich mit der Tatsache abfinden, dass sie nicht nur Opfer gewesen seien, sondern auch Täter.

    "Der Film widerlegt die Behauptung, diese Gräueltaten hätten nie Tschechen zu verantworten gehabt, sondern russische Soldaten. Es ist aber eindeutig belegt, dass Tschechen an solchen Massakern beteiligt waren."

    Ein Zeitzeuge schrieb 2005 in einer tschechischen Zeitung:

    "Als der Krieg zuende war, rächten sich die Falschen an den Falschen."

    Heute setzt sich eine junge Generation von Künstlern und Intellektuellen kritisch mit diesem schwierigen Kapitel der eigenen Geschichte auseinander: Zuletzt haben die jungen Schriftstellerinnen Radka Denemarkova und Katerina Tuckova das Thema in preisgekrönten Romanen aufegriffen. 1997 hatte sich Prag in einer deutsch-tschechischen Aussöhnungserklärung für die "Exzesse" der Nachkriegszeit entschuldigt.