Jasper Barenberg: Leicht zu verstehen ist es nicht, was die Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zum Kükentöten in der Geflügelwirtschaft entschieden haben. Dass Brutbetriebe männliche Küken nach dem Schlüpfen zu Millionen schreddern oder vergasen, verstößt nach ihrem Urteil gegen den Tierschutz einerseits; andererseits erlauben die Richter diese umstrittene Methode zunächst einmal weiter, um die Betriebe wirtschaftlich nicht zu überfordern – für eine Übergangsfrist. Wann das Töten der männlichen Küken allerdings aufhören muss, das bleibt unklar.
Den Stein ins Rollen gebracht hatte Nordrhein-Westfalen vor sechs Jahren, als die damals rot-grüne Landesregierung das Töten der Küken mit einem Erlass verbieten wollte, wogegen dann zwei Geflügelbetriebe vor Gericht gezogen sind – bis zum Urteil in Leipzig gestern. Heute ist die CDU-Politikerin Ursula Heinen-Esser in Düsseldorf Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, für Natur und Verbraucherschutz. Schönen guten Morgen!
Ursula Heinen-Esser: Ja, guten Morgen!
"Urteil bringt uns großen Schritt weiter"
Barenberg: Sie halten das Urteil ja für einen Durchbruch für den Tierschutz. Das müssen Sie uns aber erklären, wo doch erst einmal alles so bleibt wie es ist.
Heinen-Esser: Ich glaube, die Erklärung liegt tatsächlich in der Geschichte, die wir in Nordrhein-Westfalen gegangen sind. Im Jahr 2013 hat mein Vorvorgänger Johannes Remmel zurecht eine Unterlassungsverfügung zum Töten der Küken erlassen. Die ist beklagt worden und wir haben in zwei Instanzen nicht recht bekommen. Ganz im Gegenteil! Damals bei den beiden vorherigen Urteilen war es so, dass das Töten tatsächlich noch als vernünftiger Grund im Sinne des Tierschutzgesetzes angesehen wurde. Das Urteil jetzt aus Leipzig bringt uns insofern einen großen, großen Schritt weiter, weil es explizit sagt, das Töten der Küken ist nicht mit dem Grundsatz des Tierschutzes vereinbar. Das wird uns auch in anderen Fällen künftig helfen, aber jetzt war es einmal sehr wichtig. Natürlich hätte ich mir auch gewünscht, dass die Übergangszeit dezimiert wird, auf, ich sage mal, fünf Monate oder Ähnliches.
Barenberg: Darüber können wir gleich noch weiter sprechen. Erst noch mal zum Urteil. Das Gericht hat ja klipp und klar gesagt, der Tierschutz wiegt schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Geflügelunternehmen. Aber heißt das nach Ihrer Interpretation, das Töten der Küken ist ab sofort eine Straftat?
Heinen-Esser: Eigentlich ja, und da ist jetzt die Tür, die das Gericht da offen gelassen hat und gesagt hat, na ja, man kann den Betrieben jetzt nicht zumuten, die männlichen Küken aufzuziehen, um dann vielleicht in ein paar Monaten ein neues Verfahren zu installieren. Deshalb hat das Gericht ja explizit die Übergangszeit bis zur Anwendung definiert.
Barenberg: Aber heißt das nicht auch, das ist in gewisser Weise ein widersprüchliches Urteil, weil am Ende dann doch wieder die wirtschaftlichen Interessen den Ausschlag gegeben haben?
Heinen-Esser: Ja, es ist in der Tat sehr widersprüchlich, und das führt dazu, dass viele, insbesondere die Tierschützer auch ein Stück weit enttäuscht sind, dass sie sagen, wir hätten uns gewünscht, dass es sofort verboten wird. Da haben allerdings die Richter sich angeguckt, wie weit sind die Verfahren tatsächlich, sind die sofort installierbar, und kamen zu dem Schluss, dass das nicht der Fall ist, und haben dann die Übergangszeit definiert.
Millionen Euro investiert und immer noch nicht marktreif?
Barenberg: Kann es sein, dass in solch einer wichtigen Frage den Ausschlag gibt, wann eine Technik zur Verfügung steht, das Problem zu lösen?
Heinen-Esser: Das macht es dann schwierig, wenn man den Eindruck hat – und den haben ja nicht wenige. 2013 hat Johannes Remmel diesen Erlass herausgegeben. Wir haben jetzt 2019. Der Bund hat mehrere Millionen Euro investiert in neue Technologien, und das soll immer noch nicht marktreif sein. Das lässt viele Fragezeichen zurück und deshalb sage ich, wir müssen jetzt hingehen, die Länder zusammen mit Julia Klöckner, der Bundeslandwirtschaftsministerin, und sagen, jetzt ist genug getestet, die Pilotverfahren funktionieren, die Marktreife ist gegeben, und unter zwölf Monaten erwarten wir jetzt, dass die Alternativen in den Betrieben installiert sind.
Barenberg: Sie haben eben eine Frist von fünf Monaten angedeutet. Ist das Ihr Maßstab? Sie hätten am liebsten und setzen sich dafür ein, dass eine relativ kurze Frist von einem knappen halben Jahr gesetzlich eingeführt wird?
Heinen-Esser: Da komme ich zu einem etwas anderen Wert. Ich würde sagen, maximal zwölf Monate. In maximal zwölf Monaten müssen die Verfahren in den Betrieben sein. Das ist meines Erachtens machbar. Das eine Verfahren ist schon sehr weit im Pilotbetrieb. Das andere Verfahren, was eigentlich besser ist, ist noch ein bisschen zurück. Aber meines Erachtens müsste das in zwölf Monaten machbar sein. Vielleicht können wir auch als Politik dann tatsächlich sagen, entweder in zwölf Monaten ist es installiert, oder aber die Brütereien müssen sich damit abfinden, dann tatsächlich die männlichen Küken auch großzuziehen.
Barenberg: Das könnte natürlich dazu führen, dass die Betriebe dann in die Länder um uns herum gehen, in die Nachbarländer, wo das Töten der Küken weiter erlaubt ist.
Heinen-Esser: Das ist ja die generelle Diskussion, die wir in vielen Punkten haben, und da würde ich mich als Landwirtschaftsministerin und auch als Umweltministerin, die auch für Tierschutz zuständig ist, ungern drauf einlassen, die permanente Drohung zu hören, wir gehen dann ins Ausland. Ich glaube, dass das nicht der Fall sein wird. Die Betriebe werden hier bleiben. Sie dürfen nicht vergessen, dass es auch mit einem erheblichen Aufwand verbunden ist, im Ausland zu produzieren, angefangen von qualifizierten Fachkräften bis hin zu langen Transportwegen. Davon lasse ich mich nicht einschüchtern.
"Dann muss über andere Züchtungslinien nachgedacht werden"
Barenberg: Sie haben die Technik angesprochen. Es gibt im Moment zwei Methoden der Geschlechtsbestimmung, die auch wiederum zum Teil umstritten sind. Täuscht das nicht alles ein wenig darüber hinweg, dass an den Ursachen des Problems gar nichts geändert wird, nämlich dass das derzeitige System, nenne ich es jetzt mal, ausgemergelte Hennen produziert und magere Hähne?
Heinen-Esser: Genau das! Das ist das Thema, mit dem wir uns auch beschäftigen müssen. Das Thema haben wir auch in anderen Bereichen der Nutztierhaltung. Wie betrachten wir tatsächlich Tiere? – Es gibt die Möglichkeit, Züchtungslinien zu verändern, so dass die Hühner quasi für beides geeignet sind, für die Mast wie fürs Eier legen. Das wäre auch noch eine Option, die man sehr gut weiterverfolgen könnte. Das ist der Punkt, wo ich sage, dass die Politik jetzt den Rahmen und die Frist vorgeben muss: Wenn bis in zwölf Monaten die Anlagen nicht in den Betrieben sind, dann muss tatsächlich auch über andere Züchtungslinien nachgedacht werden.
Barenberg: Das System, wie es bisher existiert, hat ja mit der Intensivierung der Landwirtschaft vor allem in den 50er-Jahren zu tun, mit selbst verschuldeten Problemen. Verstehe ich Sie richtig, Sie setzen sich für eine Abkehr von dieser Massentierhaltung ein und würden dann empfehlen zu fördern, dass beispielsweise diese Zwei-Hennen-Nutzung oder Zwei-Möglichkeiten-Nutzung, wie immer das genau heißt, dass das auch staatlich gefördert wird?
Heinen-Esser: Genau! Dafür setze ich mich ein, ganz klar! Das ist ein wichtiger Punkt, den wir auch verändern müssen. Wir müssen im Verbraucherverhalten vielleicht auf uns selber ein Stückchen weit gucken: Was kaufen wir eigentlich im Supermarkt ein? Auch heute ist es schon möglich, Eier zu kaufen von Hühnern, wo der Bruder – sie heißen ja immer Brudereier oder Brüderhühnchen -, wo der Bruder mit großgezogen wird. Das ist dann ein paar Cent teurer, aber die Tiere sind anders großgezogen und gehalten worden. Das können wir tatsächlich alle selber ein Stück weit mit beeinflussen.
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