Anne Raith: Für Beobachter ist es der größte Skandal in der über 100-jährigen Geschichte der FIFA. Für den Chef des Weltfußballverbandes war es lange eine Marginalie. Kaum ein Tag ist vergangen, an dem keine neuen Korruptionsvorwürfe bekannt, neue Intrigen gesponnen wurden, Pressekonferenzen verwirrten, oder abgesagt wurden, immer irgendwie beteiligt FIFA-Chef Sepp Blatter, der heute wiedergewählt werden soll, denn einen Gegenkandidaten gibt es nicht mehr.
Mitgehört hat Guido Tognoni. Der Jurist hat fast 20 Jahre in verschiedenen Exekutivfunktionen in der FIFA und der UEFA gearbeitet. Zuletzt bis 2003 war der Schweizer Marketingdirektor der FIFA. Einen schönen guten Morgen!
Guido Tognoni: Guten Morgen!
Raith: Herr Tognoni, zugegeben weiß man gar nicht, wo man anfangen soll. Daher zunächst die Frage: Kann vor diesem Hintergrund heute überhaupt eine Wahl stattfinden?
Tognoni: Ja, sie kann stattfinden und sie wird stattfinden. Die Statuten erlauben das. Es ist nicht so, man muss nicht zwei Kandidaten haben, einer genügt. Und auf der anderen Seite: Die Engländer werden nicht irgendein Quorum hinbekommen von Dreiviertelmehrheit, das die Wahl verschieben würde. Also für Sepp Blatter ist es auch eminent wichtig, dass die Wahl heute stattfindet, weil wenn sie verschoben wird, um einige Monate oder vielleicht sogar um ein Jahr, dann wäre die Ausgangslage ganz anders.
Raith: Pardon, Herr Tognoni. Sie beurteilen das praktisch, sie kann stattfinden. Aber darf sie auch stattfinden nach allem, was wir am Wochenende gehört haben?
Tognoni: Schauen Sie, das müssen Sie die Mitglieder der 208 Verbände fragen, die jetzt da drinsitzen in ein paar Stunden und applaudieren werden. Die FIFA besteht ja nicht aus Journalisten und kritischen Beobachtern, sondern die FIFA besteht aus 208 Verbänden, von denen es sehr vielen eigentlich egal ist, wer vorne die Eröffnungsrede hält und wer gewählt wird, solange das Geld noch fließt.
Raith: Welche Verantwortung haben denn die nationalen Verbände? Sie sprechen sie an. Die Engländer, die Schotten waren ja die einzigen, die Kritik geübt haben.
Tognoni: Richtig. Die hatten auch Grund für die Kritik, und Grund gäbe es auch für andere Verbände, die FIFA zu kritisieren, und was mich eben betrübt in der ganzen Diskussion ist, dass die führenden Verbände - das sind diejenigen, die auch den Fußball am maßgeblichsten mitbestimmen -, dass die einfach dasitzen und schweigen und sagen, es ist alles in Ordnung, die FIFA tut einen wunderbaren Job. Das ist natürlich nicht der Fall.
Raith: Deutschland zum Beispiel.
Tognoni: Deutschland zum Beispiel, ja genau. Deutschland hätte es in der Hand! Deutschland sollte ja ein opinion leader sein, Deutschland sollte die Lokomotive sein für eine Reform der FIFA und sollte sich nicht einfach hinten anstellen und alles applaudieren.
Raith: Aber warum applaudiert Deutschland, weil die FIFA zu mächtig, wirtschaftlich zu erfolgreich ist?
Tognoni: Nein! Das sind natürlich persönliche Bindungen, die da mitspielen. Deutschland ist traditionell ein guter Partner der FIFA, schon immer gewesen, ein sehr verlässlicher Partner. Aber Deutschland vergisst die internationale Verantwortung, die ein Verband wie Deutschland eben hat. Von wem soll man Reformbestrebungen erwarten, wenn nicht von Deutschland? Das kann nicht von Andorra oder Liechtenstein kommen.
Raith: Von der Schweiz?
Tognoni: Die Schweiz auch, aber die Schweiz ist natürlich auch da eingebunden in das System FIFA, zu sehr. Die Schweizer sind mit sich selber genug beschäftigt. Wenn sie mal gewinnen, sind sie glücklich. Aber bei Deutschland sind die Voraussetzungen ganz anders. Ich sage nochmals: Wenn nicht Deutschland, wer denn sonst?
Raith: Sie haben es gesagt: Die Wahl kann stattfinden und sie wird stattfinden. Was sagt das über die Macht Josef Blatters?
Tognoni: Es sagt sehr viel über die Macht Josef Blatters. Es sagt auch sehr viel über die Art und Weise, wie es ihm immer wieder gelingt, echte oder vermeintliche Kandidaten für sein Amt auszuschalten. Das ist ihm auch jetzt wieder gelungen. Es war ihm unglaublich wichtig, dass er der einzige Kandidat ist, auch wenn der andere nur Außenseiterchancen gehabt hätte. Er ist einfach ein Vollprofi in der Machterhaltung. Er ist nicht nur ein Vollprofi als FIFA-Präsident in Sachen Fußball, sondern eben auch in der Machterhaltung. Dazu hat er einen Riesentanker als Kapitän unter sich und mit dem kann man natürlich sehr viel anfangen.
Raith: Aber warum ist er so unangreifbar, ja scheinbar auch unfehlbar?
Tognoni: Unfehlbar ist er sicher nicht, unangreifbar auch nicht, aber er übersteht jeden Angriff. Das ist sensationell. Aber das hat auch damit zu tun, dass diejenigen Leute, die ihn angreifen, viel zu wenig versiert sind. Sie haben dumpfe Ahnungen, was geschieht, aber es fehlt ihnen das Detailwissen. Ich sage Ihnen ein Beispiel. Da muss ein Engländer, ein Verbandsoffizieller, vor dem Parlament aussagen, erhebt ziemlich gravierende Anklagen gegen die FIFA. Die FIFA fordert Beweise, dann schickt der Verband ein Dossier und in diesem Dossier fehlen alle Beweise. So funktioniert das eben. Das kann man fast nicht mehr nachvollziehen.
Raith: Aber wie kann er das, oder wie oft kann er das noch aussitzen?
Tognoni: Er will es noch einmal aussitzen. Das ist heute. Nachher, hat er ja gesagt, dann ist endgültig Schluss. Man wird sehen, ob er sich daran hält. Ich denke, da kann er nicht mehr davon abrücken. Aber er hat es schon mehrmals geschafft und er wird es auch heute wieder schaffen.
Raith: Nachweisen kann man nichts, Sie haben es angesprochen. Was glauben Sie, inwiefern Sepp Blatter selbst belastet ist?
Tognoni: Wissen Sie, solange einem nichts nachgewiesen ist, sollte man sich davor hüten, irgendwelche Mutmaßungen anzustellen. Es kann durchaus sein, dass in den nächsten Monaten noch dieses oder jenes zum Vorschein kommt, weil ich glaube nicht, dass die Kritiker der FIFA - und darunter hat es nun mittlerweile auch einige Verbände -, dass die nach der Wahl jetzt diesmal wieder zur Tagesordnung übergehen werden.
Raith: Aber es gibt ja nun Korruptionsvorwürfe, die bewiesen worden sind, und all das konnte ja in der Zeit Sepp Blatter, unter Sepp Blatter passieren.
Tognoni: Richtig! Aber die Korruptionsvorwürfe wurden nie gegenüber ihm bewiesen. Das Problem ist, dass es Leute gibt, die sind amtlich als korrupt festgehalten, amtlich notiert, amtlich angeprangert, aber sie sind weiterhin im Amt, im Exekutivkomitee, und mit diesem Handicap muss Blatter weiterhin arbeiten und er hat nie etwas getan, um dieses aus der Welt zu schaffen.
Raith: Man fragt sich so ein bisschen, was eigentlich noch passieren muss, damit sich etwas ändert. Die Vorwürfe betreffen ja mittlerweile 10 von 24 Mitgliedern des Exekutivkomitees. Die ersten Sponsoren haben sich jetzt besorgt geäußert. Was soll da noch kommen?
Tognoni: Was die Sponsoren betrifft, muss ich sagen: Endlich einmal. Das ist wie bei den Verbänden: Sie regen sich einfach nicht. Was jetzt noch passieren muss? Es wird interessant sein. Heute wird Sepp Blatter zum ixten Mal null Toleranz gegenüber der Korruption ankündigen, und dann bleibt der übrigen Fußballwelt nichts anderes übrig als zu hoffen, dass er diese null Toleranz auch wirklich einmal umsetzt. Wenn er sie umsetzt, dann muss es ja ein radikales Ausmisten in der obersten Behörde der FIFA geben.
Raith: Aber eigentlich kann man nur den Kopf schütteln. Sie hören mich sozusagen fast den Kopf schütteln. Mit der null Toleranz, gehen Sie davon aus, dass das wirklich durchgeführt werden kann nach allem, was wir gehört haben, die vergangenen Jahrzehnte?
Tognoni: Nein, leider nicht. Die null Toleranz müsste ja von einem Präsidenten schon lange angewendet sein. Er wird sie heute verkünden und wird vielleicht eine neue Kommission schaffen, oder zwei, oder drei neue Kommissionen, wie es immer wieder der Fall ist, wenn es in der FIFA Probleme gibt. Er wird sicher ein paar Scheingefechte führen. Aber mir fällt es schwer zu glauben, dass er wirklich das durchführen wird und durchführen kann. Ich warte einfach mal auf den Tatbeweis und dann werden wir sehen, wie glaubwürdig seine Ankündigungen waren.
Raith: Inwiefern kann denn - Sie haben es angesprochen - eine neue Kommission, eine interne Ethikkommission überhaupt Korruption bekämpfen, wenn die Mitglieder von Blatter besetzt werden?
Tognoni: Ja, sehr limitiert. Das muss ja natürlich von außen kommen. Korruption ist ja an sich ein krimineller Tatbestand, der nicht von einer Hobbykommission beurteilt werden kann. Das sind immer sehr oberflächliche Abklärungen. Die kann man ja so lassen, aber dann muss es weitergehen, es muss andere Instanzen haben. Eine Instanz, die nicht gewissermaßen polizeiliche Gewalt hat - und die muss ja vom Staat kommen und nicht von einem Verein selbst -, eine solche Instanz kann das nicht gründlich aufklären.
Raith: Eine externe Instanz also?
Tognoni: Eine externe Instanz. Die FIFA muss irgendetwas tun. Sie ist so groß und so schwerfällig, sie kann nicht mehr jedes Mal sagen, wir regeln das innerhalb der Familie. So funktioniert das nicht mehr heute.
Raith: Sie glauben nicht, was ich Ihren Worten entnehme, dass der Druck jetzt groß genug ist mit dieser Affäre. Glauben Sie, dass nach Blatters Wahl alles back to Business, also alles zurück zum alten System gehen wird?
Tognoni: Nicht alles, aber sehr vieles. Die Leute gehen dann wieder zufrieden nach Hause, die haben sich die Reden angehört, haben gut gespiesen und getrunken und sind beeindruckt vom pompösen, vom großzügigen und vom generösen Verhalten der FIFA. Was übrig bleibt, werden wir dann sehen. Ich hoffe, dass es wirklich Verbände gibt, wie die Engländer, die den Druck aufrecht erhalten, weil die haben den Anspruch, diesen Druck aufrecht zu erhalten, die haben den Anspruch auf eine korrekte faire FIFA, auf eine transparente FIFA auch. Wenn die das aber nicht machen, dann wird alles wieder im alten Trott weitergehen.
Raith: Sagt Guido Tognoni. Der Jurist hat fast 20 Jahre in verschiedenen Exekutivfunktionen in der FIFA und der UEFA gearbeitet. Zuletzt war der Schweizer Marketingdirektor der FIFA. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch, Herr Tognoni.
Tognoni: Danke Ihnen auch. Schönen Tag.
Mitgehört hat Guido Tognoni. Der Jurist hat fast 20 Jahre in verschiedenen Exekutivfunktionen in der FIFA und der UEFA gearbeitet. Zuletzt bis 2003 war der Schweizer Marketingdirektor der FIFA. Einen schönen guten Morgen!
Guido Tognoni: Guten Morgen!
Raith: Herr Tognoni, zugegeben weiß man gar nicht, wo man anfangen soll. Daher zunächst die Frage: Kann vor diesem Hintergrund heute überhaupt eine Wahl stattfinden?
Tognoni: Ja, sie kann stattfinden und sie wird stattfinden. Die Statuten erlauben das. Es ist nicht so, man muss nicht zwei Kandidaten haben, einer genügt. Und auf der anderen Seite: Die Engländer werden nicht irgendein Quorum hinbekommen von Dreiviertelmehrheit, das die Wahl verschieben würde. Also für Sepp Blatter ist es auch eminent wichtig, dass die Wahl heute stattfindet, weil wenn sie verschoben wird, um einige Monate oder vielleicht sogar um ein Jahr, dann wäre die Ausgangslage ganz anders.
Raith: Pardon, Herr Tognoni. Sie beurteilen das praktisch, sie kann stattfinden. Aber darf sie auch stattfinden nach allem, was wir am Wochenende gehört haben?
Tognoni: Schauen Sie, das müssen Sie die Mitglieder der 208 Verbände fragen, die jetzt da drinsitzen in ein paar Stunden und applaudieren werden. Die FIFA besteht ja nicht aus Journalisten und kritischen Beobachtern, sondern die FIFA besteht aus 208 Verbänden, von denen es sehr vielen eigentlich egal ist, wer vorne die Eröffnungsrede hält und wer gewählt wird, solange das Geld noch fließt.
Raith: Welche Verantwortung haben denn die nationalen Verbände? Sie sprechen sie an. Die Engländer, die Schotten waren ja die einzigen, die Kritik geübt haben.
Tognoni: Richtig. Die hatten auch Grund für die Kritik, und Grund gäbe es auch für andere Verbände, die FIFA zu kritisieren, und was mich eben betrübt in der ganzen Diskussion ist, dass die führenden Verbände - das sind diejenigen, die auch den Fußball am maßgeblichsten mitbestimmen -, dass die einfach dasitzen und schweigen und sagen, es ist alles in Ordnung, die FIFA tut einen wunderbaren Job. Das ist natürlich nicht der Fall.
Raith: Deutschland zum Beispiel.
Tognoni: Deutschland zum Beispiel, ja genau. Deutschland hätte es in der Hand! Deutschland sollte ja ein opinion leader sein, Deutschland sollte die Lokomotive sein für eine Reform der FIFA und sollte sich nicht einfach hinten anstellen und alles applaudieren.
Raith: Aber warum applaudiert Deutschland, weil die FIFA zu mächtig, wirtschaftlich zu erfolgreich ist?
Tognoni: Nein! Das sind natürlich persönliche Bindungen, die da mitspielen. Deutschland ist traditionell ein guter Partner der FIFA, schon immer gewesen, ein sehr verlässlicher Partner. Aber Deutschland vergisst die internationale Verantwortung, die ein Verband wie Deutschland eben hat. Von wem soll man Reformbestrebungen erwarten, wenn nicht von Deutschland? Das kann nicht von Andorra oder Liechtenstein kommen.
Raith: Von der Schweiz?
Tognoni: Die Schweiz auch, aber die Schweiz ist natürlich auch da eingebunden in das System FIFA, zu sehr. Die Schweizer sind mit sich selber genug beschäftigt. Wenn sie mal gewinnen, sind sie glücklich. Aber bei Deutschland sind die Voraussetzungen ganz anders. Ich sage nochmals: Wenn nicht Deutschland, wer denn sonst?
Raith: Sie haben es gesagt: Die Wahl kann stattfinden und sie wird stattfinden. Was sagt das über die Macht Josef Blatters?
Tognoni: Es sagt sehr viel über die Macht Josef Blatters. Es sagt auch sehr viel über die Art und Weise, wie es ihm immer wieder gelingt, echte oder vermeintliche Kandidaten für sein Amt auszuschalten. Das ist ihm auch jetzt wieder gelungen. Es war ihm unglaublich wichtig, dass er der einzige Kandidat ist, auch wenn der andere nur Außenseiterchancen gehabt hätte. Er ist einfach ein Vollprofi in der Machterhaltung. Er ist nicht nur ein Vollprofi als FIFA-Präsident in Sachen Fußball, sondern eben auch in der Machterhaltung. Dazu hat er einen Riesentanker als Kapitän unter sich und mit dem kann man natürlich sehr viel anfangen.
Raith: Aber warum ist er so unangreifbar, ja scheinbar auch unfehlbar?
Tognoni: Unfehlbar ist er sicher nicht, unangreifbar auch nicht, aber er übersteht jeden Angriff. Das ist sensationell. Aber das hat auch damit zu tun, dass diejenigen Leute, die ihn angreifen, viel zu wenig versiert sind. Sie haben dumpfe Ahnungen, was geschieht, aber es fehlt ihnen das Detailwissen. Ich sage Ihnen ein Beispiel. Da muss ein Engländer, ein Verbandsoffizieller, vor dem Parlament aussagen, erhebt ziemlich gravierende Anklagen gegen die FIFA. Die FIFA fordert Beweise, dann schickt der Verband ein Dossier und in diesem Dossier fehlen alle Beweise. So funktioniert das eben. Das kann man fast nicht mehr nachvollziehen.
Raith: Aber wie kann er das, oder wie oft kann er das noch aussitzen?
Tognoni: Er will es noch einmal aussitzen. Das ist heute. Nachher, hat er ja gesagt, dann ist endgültig Schluss. Man wird sehen, ob er sich daran hält. Ich denke, da kann er nicht mehr davon abrücken. Aber er hat es schon mehrmals geschafft und er wird es auch heute wieder schaffen.
Raith: Nachweisen kann man nichts, Sie haben es angesprochen. Was glauben Sie, inwiefern Sepp Blatter selbst belastet ist?
Tognoni: Wissen Sie, solange einem nichts nachgewiesen ist, sollte man sich davor hüten, irgendwelche Mutmaßungen anzustellen. Es kann durchaus sein, dass in den nächsten Monaten noch dieses oder jenes zum Vorschein kommt, weil ich glaube nicht, dass die Kritiker der FIFA - und darunter hat es nun mittlerweile auch einige Verbände -, dass die nach der Wahl jetzt diesmal wieder zur Tagesordnung übergehen werden.
Raith: Aber es gibt ja nun Korruptionsvorwürfe, die bewiesen worden sind, und all das konnte ja in der Zeit Sepp Blatter, unter Sepp Blatter passieren.
Tognoni: Richtig! Aber die Korruptionsvorwürfe wurden nie gegenüber ihm bewiesen. Das Problem ist, dass es Leute gibt, die sind amtlich als korrupt festgehalten, amtlich notiert, amtlich angeprangert, aber sie sind weiterhin im Amt, im Exekutivkomitee, und mit diesem Handicap muss Blatter weiterhin arbeiten und er hat nie etwas getan, um dieses aus der Welt zu schaffen.
Raith: Man fragt sich so ein bisschen, was eigentlich noch passieren muss, damit sich etwas ändert. Die Vorwürfe betreffen ja mittlerweile 10 von 24 Mitgliedern des Exekutivkomitees. Die ersten Sponsoren haben sich jetzt besorgt geäußert. Was soll da noch kommen?
Tognoni: Was die Sponsoren betrifft, muss ich sagen: Endlich einmal. Das ist wie bei den Verbänden: Sie regen sich einfach nicht. Was jetzt noch passieren muss? Es wird interessant sein. Heute wird Sepp Blatter zum ixten Mal null Toleranz gegenüber der Korruption ankündigen, und dann bleibt der übrigen Fußballwelt nichts anderes übrig als zu hoffen, dass er diese null Toleranz auch wirklich einmal umsetzt. Wenn er sie umsetzt, dann muss es ja ein radikales Ausmisten in der obersten Behörde der FIFA geben.
Raith: Aber eigentlich kann man nur den Kopf schütteln. Sie hören mich sozusagen fast den Kopf schütteln. Mit der null Toleranz, gehen Sie davon aus, dass das wirklich durchgeführt werden kann nach allem, was wir gehört haben, die vergangenen Jahrzehnte?
Tognoni: Nein, leider nicht. Die null Toleranz müsste ja von einem Präsidenten schon lange angewendet sein. Er wird sie heute verkünden und wird vielleicht eine neue Kommission schaffen, oder zwei, oder drei neue Kommissionen, wie es immer wieder der Fall ist, wenn es in der FIFA Probleme gibt. Er wird sicher ein paar Scheingefechte führen. Aber mir fällt es schwer zu glauben, dass er wirklich das durchführen wird und durchführen kann. Ich warte einfach mal auf den Tatbeweis und dann werden wir sehen, wie glaubwürdig seine Ankündigungen waren.
Raith: Inwiefern kann denn - Sie haben es angesprochen - eine neue Kommission, eine interne Ethikkommission überhaupt Korruption bekämpfen, wenn die Mitglieder von Blatter besetzt werden?
Tognoni: Ja, sehr limitiert. Das muss ja natürlich von außen kommen. Korruption ist ja an sich ein krimineller Tatbestand, der nicht von einer Hobbykommission beurteilt werden kann. Das sind immer sehr oberflächliche Abklärungen. Die kann man ja so lassen, aber dann muss es weitergehen, es muss andere Instanzen haben. Eine Instanz, die nicht gewissermaßen polizeiliche Gewalt hat - und die muss ja vom Staat kommen und nicht von einem Verein selbst -, eine solche Instanz kann das nicht gründlich aufklären.
Raith: Eine externe Instanz also?
Tognoni: Eine externe Instanz. Die FIFA muss irgendetwas tun. Sie ist so groß und so schwerfällig, sie kann nicht mehr jedes Mal sagen, wir regeln das innerhalb der Familie. So funktioniert das nicht mehr heute.
Raith: Sie glauben nicht, was ich Ihren Worten entnehme, dass der Druck jetzt groß genug ist mit dieser Affäre. Glauben Sie, dass nach Blatters Wahl alles back to Business, also alles zurück zum alten System gehen wird?
Tognoni: Nicht alles, aber sehr vieles. Die Leute gehen dann wieder zufrieden nach Hause, die haben sich die Reden angehört, haben gut gespiesen und getrunken und sind beeindruckt vom pompösen, vom großzügigen und vom generösen Verhalten der FIFA. Was übrig bleibt, werden wir dann sehen. Ich hoffe, dass es wirklich Verbände gibt, wie die Engländer, die den Druck aufrecht erhalten, weil die haben den Anspruch, diesen Druck aufrecht zu erhalten, die haben den Anspruch auf eine korrekte faire FIFA, auf eine transparente FIFA auch. Wenn die das aber nicht machen, dann wird alles wieder im alten Trott weitergehen.
Raith: Sagt Guido Tognoni. Der Jurist hat fast 20 Jahre in verschiedenen Exekutivfunktionen in der FIFA und der UEFA gearbeitet. Zuletzt war der Schweizer Marketingdirektor der FIFA. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch, Herr Tognoni.
Tognoni: Danke Ihnen auch. Schönen Tag.