Wer München besichtigen will, der startet oft hier. An einem wuchtigen Gebäude im Osten der Altstadt. Dem Isartor. Der Autoverkehr ist dicht und dass die Busse in Zweierreihen parken, macht die Situation nicht übersichtlicher. Immer mehr Touristen steigen aus. Nach einigen Stunden im Bus blinzeln sie in die Spätsommersonne - und dann suchen sie erstmal.
"Ich hatte gedacht, dass da drüben eine ist, aber sehen tue ich jetzt auch keine."
Viele suchen einen ganz speziellen Ort – eine Toilette! Aber nichts zu sehen. Ratlosigkeit bei einer Reisegruppe aus Baden-Württemberg.
"Keine Ahnung. Wir sind ganz fremd. Wir wissen ja nix."
Öffentliche WCs sind Mangelware
Dann die gute Nachricht. In der Unterführung zur S-Bahn soll es eine öffentliche Toilette geben, sagt ein Busfahrer. Ein ganzer Pulk macht sich auf den Weg zu den Rolltreppen nach unten. Die Toiletten sind sogar kostenlos. Dann aber Enttäuschung. Zwei Nürnbergerinnen kommen entrüstet wieder raus.
"Nicht schön! Gewöhnungsbedürftig!"
"Man sieht halt, dass nicht regelmäßig jemand kommt und für Ordnung sorgt. Die sind ja mit Toilettenpapier vollgestopft."
Die Suche geht für viele in Richtung Innenstadt weiter. Etwas essen oder trinken, nur um in einem Restaurant auf die Toilette gehen zu können – das möchte niemand. Aber auch unterwegs kein öffentliches WC. Dann angekommen am Marienplatz. Vor dem neugotischen Rathaus werben Plakate für Dirndl und Lederhosen zum Sonderpreis. Kleinere Schilder erklären den Weg zu Aufzügen, U-Bahn und sogar Telefonzellen. Aber Toiletten - nirgends.
"Sie können ja in der Universität auf die Toilette gehen. Ich bin aber auch keine Touristin, ich gehe zuhause und wenn ich dann wieder zuhause bin, wieder dort."
Stadtführung zur Geschichte der Toiletten
Die Uni. Das wären 15 Minuten zu Fuß von hier. Dann die Erklärung: Ein Baustellenzaun und Aufkleber von Fußballvereinen verdecken gerade großflächig die Hinweise auf die Toiletten. Sie sind auch hier versteckt im Untergrund in einer Einkaufspassage.
Für 60 Cent ist alles modern und sauber. Trotzdem - der Eindruck bleibt: In München müsste es nicht stilles, sondern eher seltenes Örtchen heißen. Das ist auch das Fazit von Barbara Reis.
"Ich mache seit 25 Stadtführungen und nach den Stadtführungen kommen ganz oft Teilnehmer und fragen, wo kann ich jetzt schnell auf die Toilette gehen? Und dann überlegt man und sagt, naja, öffentliche gibt’s gar keine hier in der Nähe. Und dann haben wir uns gedacht, das ist eigentlich ein Thema, das wichtig ist. Aber keiner spricht drüber."
Das hat Barbara Reis geändert. Zusammen mit einer Kollegin hat sie eine Stadtführung zur Toilettengeschichte Münchens geplant. Titel: "Shit happens". Um 1900 gab es in München etwa 60 öffentliche Toiletten, erklärt Stadtführerin Reis auf dem Weg durch die Fußgängerzone. Heute sind es knapp doppelt so viele. Dabei haben sich die Einwohnerzahlen mehr als verdreifacht – auf heute anderthalb Millionen. Und dazu kommen heute Hunderttausende Touristen jedes Jahr. Das kann nicht reichen, so die Rechnung von Barbara Reis. Dann stoppt sie vor der Theatinerkirche am Odeonsplatz. Nicht nur das prunkvolle Barockportal macht die Kirche zu etwas Besonderem.
Während der Messe auf Toilette
"Die Theatinerkirche bietet den Personen während des Gottesdienstes die Möglichkeit auf die Toilette zu gehen. Meines Wissens die einzige Kirche in München, die das direkt vom Kirchenschiff aus bietet."
Aber eben nur während der Messe. Stadtführerin Reis geht weiter quer über den Odeonsplatz und läuft dann durch einen wuchtigen Torbogen.
"Wir sind jetzt hier im Hofgarten. Also dem ehemaligen Garten der Wittelsbacher, direkt hinter der Residenz. Und hier sind auch ganz viele Bäume. Und Bäume sind natürlich auch ideal, wenn man keine Toilette findet. Aber es ist nicht zu empfehlen. Das kostet Geld."
100 Euro Strafe wären das in München. Noch relativ günstig, in anderen Städten soll Wildpinkeln sogar bis zu 5000 Euro kosten. Ein Blick herum im Hofgarten - auch hier keine Toilette. Aber früher - da war das anders:
"Wenn Sie jetzt hier geradeaus weitergehen würden, dann kommen Sie vom Hofgarten in den Englischen Garten. Und am Eisbach an der Surferwelle gibt’s das Fräulein Grüneis. Und das Fräulein Grüneis ist eine ehemalige Toilette."
Kiosk statt WC
Nach einer Viertelstunde taucht dann etwas versteckt eine kleine Hütte zwischen den Bäumen auf. Es erinnert ein bisschen an ein gemütliches Hexenhäuschen, kleine Fenster, ein Erker und Schornstein. Doch geheimnisvoll wie im Märchen ist es nicht. Dafür ist es viel zu voll. Um das Häuschen stehen Tische und Bänke. Aus dem Fenster werden Bier und Apfelschorle verkauft. Das Fräulein Grüneis ist ein beliebter Kiosk. Ob jemand weiß was es früher war?
"Das hier? Keine Ahnung."
Lange betrachtet der Mann mit Eis in der Hand das Häuschen. Dann fällt sein Blick auf den Schriftzug über der Eingangstür – "Frauen" steht da. Etwas verblichen.
"Ah, das war eine Toilette? Ach so, okay!"
Ganz überzeugt wirkt er nicht. Sandra Dürr kennt das. Zusammen mit ihrem Mann hatte sie die Idee, das verfallene Toilettenhäuschen aus dem Jahr 1904 zu renovieren.
"Während der Umbauphase kamen immer wieder Leute vorbei, die gesagt haben – da gehe ich nie rein! Das ist ja ne Toilette! Igitt. Da haben wir gesagt, wir entkernen alles. Wir haben eineinhalb Meter rausgegraben. Und haben das erklärt und die meinten, Nein, auf keinen Fall gehe ich das rein. – Irgendwann kamen sie dann doch."
Mittlerweile ist das Fräulein Grüneis zum Vorbild in München geworden. Auch andere lange geschlossene WC-Anlagen wurden zu Cafés umgebaut. Eine ist sogar zur Galerie geworden. Und da wurde dann auch oft eine ganz besondere Attraktion wieder eingebaut: Eine Toilette. Auf der Rückseite des Fräulein Grüneis hat sich da eine lange Warteschlange gebildet. Vor der einzigen Toilette weit und breit.