Archiv

Toilettenpapierausstellung
Das Papier fürs besondere Geschäft

Nur ein paar Tage konnte das LVR-Industriemuseum Papiermühle "Alte Dombach" eine ganz besondere Ausstellung präsentieren – dann kam die Coronakrise. Das Thema: Toilettenpapier. In der Vergangenheit war das sogar einmal ein Luxusgegenstand.

Von Alfried Schmitz |
Der Trend der 60er Jahre - Klopapierrolle in Häkelhülle fürs Auto
Der Trend der 60er -Jahre - Klopapierrolle in Häkelhülle fürs Auto (Alfried Schmitz/Deutschlandfunk)
Idylle pur! Vögel zwitschern, ein Bach murmelt, die Bäume, die hier im Tal und an den Hängen ringsum stehen, tragen schon ihre frühlingsfrischen grünen Blätter. Coronaruhe liegt derzeit über diesem herrlichen Flecken, an dem sich an normalen Tagen viele Menschen tummeln. Spaziergänger, Wandergruppen, Radfahrer und natürlich jede Menge interessierte Museumsbesucher bevölkern dann dieses bergische Kleinod, das ein spannendes Kapitel Industriegeschichte zu erzählen hat: Die Geschichte der Papiermühle "Alte Dombach".
Mit der Herstellung von Papier wurde hier schon im 17. Jahrhundert begonnen. In kleineren Manufakturen. Im 19. Jahrhundert begann dann mit Hilfe von Wasserkraft die Produktion von feinstem Papier im großen Stil.
"Das ist diese ehemalige Papiermühle mit dem Wasserrad dran. Wir sehen, jetzt ist die Klappe oben zu. Die kann ich von innen öffnen. Dann fließt das Wasser über das Mühlrad. Das bewegt sich. Da sind drinnen so einzelne Hämmer dran. Die Zellulose kam aus alten Lumpen. Man hat alte Kleidungsstücke gesammelt. Die wurden in die Papiermühlen gebracht und dort wurden die zerkleinert und zerrissen und verfasert und das war das Material, um Papier zu machen",
weiß Annette Schrick zu berichten. Sie ist Volkskundlerin und Historikerin und führt mich über das Gelände. Seit etwas mehr als 20 Jahren ist in dem wundervollen Ensemble aus historischen und für das Bergische Land so typischen Fachwerkhäusern ein Industriemuseum untergebracht.
Industriemuseum im Fachwerkstil
Von einem der Gebäude ertönt der Glockenschlag der alten schmucken Werksuhr.
Im 19. Jahrhundert waren hier auf dem Gelände rund 300 Arbeiter mit der Papierherstellung beschäftigt. Im größten Haus hat damals der Mühlenbesitzer mit seiner Familie gewohnt. Aber nicht nur das. In dem repräsentativen Fachwerkgebäude mit seinen schmucken Fensterläden, wurde auch gearbeitet.
"Da drin wurde Papier geschöpft. Das Papier musste dann gepresst werden. Oben, ganz typisch für Papiermühlen, sind diese vielen Luken und Klappen und diese Lamellenfenster, weil das Papier dort zum Trocknen aufgehangen wurde. Und in diesem relativ freistehenden Gebäude, das ist auch das hellste, das hat an drei Seiten Fenster, dort wurde das Papier geprüft. Man brauchte viel Licht, Tageslicht. Man hat das dann gegen das Licht gehalten und geprüft."
Modische Kunstwerke aus Toilettenpapier schmücken die Ausstellung
Modische Kunstwerke aus Toilettenpapier schmücken die Ausstellung (Alfried Schmitz/Deutschlandfunk)
Weil die Herstellung von Feinpapier sehr aufwändig und wegen der vielen Beschäftigten sehr kostenintensiv war, wechselte die Papiermühle damals ziemlich oft die Besitzer. Sie hatten sich finanziell übernommen.
Schließlich wurde die Mühle in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und vom neuen Geschäftsführer auf den neuesten Stand der Technik gebracht. Um 1870 wurde rund hundert Meter entfernt von der alten Papiermühle eine große neue Maschinenhalle gebaut. Die alten Gebäude im Tal wurden zu Wohnungen für Mitarbeiter und ihre Familien umgebaut.
"Und eine Wohnung hatte 30 Quadratmeter. Und wir wissen, wie viele Leute dort gewohnt haben. Also schon auch mit mehreren Kindern, die haben auch in der Papiermühle mitgearbeitet."
Nutzgärten für die Fabrikarbeiter
Mit zur Freilichtmuseumsanlage gehört auch ein großer Nutzgarten. Dort stecken lange Holzstangen im Boden, die darauf warten, dass sich Bohnen an ihnen emporranken. Beete für Zwiebeln, Kartoffeln, Kräuter und natürlich jede Menge Obstbäume und Obstbüsche sind hier zu sehen.
"Die Arbeitnehmer wohnten hier in diesen Arbeiterhäusern und hatten dann auch Gartenland. Das bekamen die zur Verfügung gestellt, weil gute Arbeitskraft ja auch wichtig war. Und dann hat der Fabrikant gesagt, du bekommst hier auch ein Stück Garten, kannst dich selbst versorgen, kannst hier wohnen. Und in diesem Sinne pflegen wir hier auch noch einen Teil des Gartens, beziehungsweise wir haben den zwei Pächter vergeben, die hier diesen Garten pflegen, so ein bisschen, wie einen historischen Bauerngarten."
Direkt neben der Gartenanlage befindet sich ein großer Teich, der damals als Wasserreservoir für die Papierherstellung diente. Heute tummeln sich dort jede Menge Goldfische und Schildkröten.
Wir gehen vorbei an einem gemütlichen Biergarten, zurzeit leider auch Corona-bedingt geschlossen, zu einem ebenfalls historischen Gebäude, das für Sonderausstellungen rund um die Geschichte des Papiers genutzt wird. Dort geht es momentan um ein Thema, dass viele Menschen in Deutschland zu wahren Hamsterkäufen anregt: Klopapier.
Komplett von der Rolle
Die Ausstellung rund um die Geschichte des Klopapiers wurde schon im vorigen Jahr von Kuratorin Annette Schrick geplant, konzipiert und zusammengestellt. "Von der Rolle", so heißt die Sonderausstellung, war leider nur ein paar Tage lang für den Publikumsverkehr zugänglich. Jetzt warten die Ausstellungsstücke auf Corona-freie Zeiten und auf interessierte Besucher.
Und die können sich auf etwas gefasst machen.
"Wir haben das extra so gestaltet, wie eine öffentliche Toilette, auf die wir jetzt zusammen gehen. Mit grellem Licht, weiß gefliest und in diesen einzelnen Kabinen finden wir jetzt historische Toiletten. Und auf dieser Wand ist mit Graffitis aufgemalt, die Geschichte der Klopapier und der Toilette."
Klostühle sieht man hier, die auf den ersten Blick wie edle Möbelstücke wirken. Dezent und unauffällig standen sie in den Wohnstuben und Schlafzimmern der guten alten Zeit, um im Bedarfsfall fürs dringende Geschäft genutzt zu werden. Mit einem kurzen Handgriff ließ sich die versteckte Klobrille freigelegen. Im Innenteil der vermeintlichen Sitzmöbel wartete dann ein Eimer darauf, mit entsprechenden Körperausscheidungen gefüllt zu werden. Die weniger Betuchten nutzten einen Plumpsklo, draußen im Hof.
"Auf dem Plumpsklo lag auch immer die alte Zeitung und die hat man dann ausgelesen und dann auch zum Reinigen benutzt."
Nicht selten war die Zeitung auch schon in handliche Stücke gerissen oder geschnitten worden, die am stillen Örtchen auf einen Haken gespießt zur Benutzung bereit hingen.
Auch Stroh, Heu, Blätter oder Moos dienten für die Säuberung des Allerwertesten.
Die Geburtsstunde des Klopapiers
Eine große Wende in der Toilettenhygiene brachte die Wasserspülung mit sich. Hartes Zeitungspapier hätte die Abflüsse zu schnell verstopft. Es musste ein besonderes Papier entwickelt werden, das zugleich reißfest, aber auch wasserlöslich war. Und das war dann die Geburtsstunde des Toilettenpapiers, das wir heute so sehr schätzen, dass wir ganze Regale leerkaufen.
"Das erste Hergestellte war 1857 in den USA und die ersten Hinweise in Deutschland für Toilettenpapier haben wir in den Fachzeitschriften der Papierhersteller 1879 gefunden. Von Anfang an gab es das in Rollen. Wir können mal weitergehen, dann kann ich Ihnen das mal zeigen, hier haben wir Krepppapiere aus den 30er-Jahren. Und da sehen wir für die Marke "Hygiena" schon, dass eine Rolle eine Mark kostete."
Für damalige Einkommensverhältnisse ein Luxusartikel also, der im Vergleich zu heute allerdings noch ziemlich hart und rau war und die Haut ziemlich strapazierte.
"Tissue-Papier, ist das, was wir heute kennen, diese mehrlagigen. Die einzelnen Lagen sind sehr dünn, die sind immer geprägt, damit sie zusammenhalten und dass sie weicher sind. Und das erste Tissue-Papier hat tatsächlich Hakle rausgebracht, und zwar war das 1958."
Zu schön für den Abfluss
In Vor-Corona-Zeiten gehörten Klopapiere zu den Konsumgütern, denen man nicht sonderlich viel Beachtung schenkte. Daher mussten sich die Hersteller immer etwas Neues einfallen lassen, um die Konkurrenz auszustechen und den Absatz der eigenen Produkte zu steigern. In den Vitrinen der Ausstellung sind einige schöne Beispiele von solchen Sondereditionen zu sehen. Durchgefärbte Papierrollen in rot, blau, gelb oder schwarz, Toilettenpapier mit Mustern, Sprüchen, Comicszenen oder Jahreszeitmotiven bedruckt.
"So wie auch hier, "Merry Christmas", klar, das nimmt man dann für Weihnachten. Ich habe jetzt auch welches auch geschenkt bekommen, mit Soduko-Rätseln, fand ich, macht auch Sinn, als Toilettenpapierrolle. Warum nicht, wenn man da sitzt, dann hat man was zu tun."
Natürlich wird auch die umhäkelte Klo-Rolle präsentiert, die auf den Hutablagen vieler Autos in den 60er- und 70er-Jahren zu sehen war, aber auch historische Klopapierrollenhalter aus Holz, Metall, Porzellan oder Keramik und ein Sondermodell mit kleinem eingebauten Spiegel sind hier ausgestellt.
"Dann gefällt mir noch sehr gut dieser Toilettenpapierhalter, der hat eine DRP, das ist Deutsche Reichspatent-Nummer, daran konnte ich datieren, dass er von 1908 ist. Besonders gut gefiel mir oben drauf diese Aufschrift "Zigarren". Die hat eine Einbuchtung, damit der Herr, wenn er auf die Toilette ging, während er sein Geschäft erledigte, seine Zigarre dort ablegen konnte. In Ruhe auf der Toilette war und dann diese Zigarre wieder nahm und rausging. Für uns heute unvorstellbar. Alleine, dass man auf der Toilette raucht und dann auch noch Zigarre."
Besonderer Glanzpunkt der Ausstellung sind wunderschöne Abendkleiderkreationen aus Toilettenpapier. Das Ergebnis einer Kunstaktion von Oberstufen-Schülerinnen und -Schülern aus der Nähe von Oldenburg.
Und jetzt warten all die wundervollen Exponate nur darauf, von möglichst vielen Besucherinnen und Besuchern bestaunt zu werden.