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Tokio 2020
Spiele der Hitze

Nicht nur wegen der Pandemie gab es bei den Olympischen Spielen von Tokio Diskussion über die Gesundheit. Die Hitze im Sommer war schon lange vor Covid-19 ein Streitpunkt. Gibt Tokio einen Vorgeschmack auf Spitzensport im Klimawandel?

Von Felix Lill |
Die Sportler - wie hier der Triathlet Justus Nieschlag - mussten die Hitze in Tokio auch während der Wettkämpfe ertragen.
Die Sportler - wie hier der Triathlet Justus Nieschlag - mussten die Hitze in Tokio auch während der Wettkämpfe ertragen. (dpa)
"Brutal" nannte der Tennis-Weltranglistenerste Novak Djokovic das Wetter in Tokio. Daniil Medwedew, Nummer zwei der Tenniswelt, alarmierte, Athleten "können sterben" unter diesen Bedingungen. Dass diese Aufregung berechtigt war, bewies an den ersten Olympiatagen Svetlana Gomboeva. Die russische Bogenschützin brach im Wettkampf zusammen und musste behandelt werden. Später erklärte sie, es habe an den hohen Temperaturen gelegen.
Die Monate Juli und August sind die heißesten des japanischen Kalenders: Durchschnittliche Höchsttemperaturen von mehr als 30 Grad und eine enorme Luftfeuchtigkeit von über 80 Prozent, Anfang August sogar etwas mehr als 90 Prozent.
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Dass die Spiele von Tokio vor diesem Hintergrund eine Herausforderung wären, war von Anfang an bekannt. Schon im März 2013, als sich die japanische Hauptstadt noch um das Austragungsrecht für die ursprünglich 2020 geplanten Spiele bewarb, war die Hitze ein Thema. Darauf angesprochen, sagte der damalige Vorsitzende des Bewerbungskomitees, Tsunekazu Takeda, auf einer Pressekonferenz:
"1964 fanden die Olympischen Spiele im Oktober statt. Und jetzt planen wir, die Olympischen Spiele von Mitte Juli bis Mitte August zu machen. Das ist die Regel des IOC. Ende Juli ist nicht schlecht. Auch Anfang August ist noch nicht die höchste Temperatur in Tokio. Ich denke, dass wir wundervolle Olympische Spiele organisieren können."

Diskussion um Verschiebung in den Herbst lief ins Leere

Im letzten Jahr, als die Spiele bereits wegen der Pandemie um ein Jahr auf Juli 2021 verschoben waren, drängten Skeptiker auf eine spätere Zeit im Kalender. Makoto Yokohari, Professor für Umwelt und Stadtplanung an der Universität Tokio, hat alle Olympischen Spiele von 1984 in Los Angeles bis heute auf die klimatischen Bedingungen hin verglichen. Seine Erkenntnis formulierte Yokohari gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters:
"Man darf nicht nur die Temperatur messen, sondern auch die Luftfeuchtigkeit, und muss diese beiden Variablen dann kombinieren. Und wenn man dann vergleicht, kann man schnell sehen, dass die Spiele von Tokio die schlimmsten der Geschichte sind. Wenn wir so planen könnten, dass die Spiele auf November verschoben werden, dann bin ich sicher, dass die Situation viel besser sein könnte. Aber leider sagte das IOC: nein, nein, nein, nein, nein. Die Spiele werden im Juli beginnen."
Laut Yokohari haben andere Städte ähnlich hohe Temperaturen, aber eine niedrigere Luftfeuchtigkeit. So passt das Beharren auf diesem Plan nicht so recht zu dem, was das IOC immer behauptet: Das Wohlbefinden der Athleten habe Priorität. In Sachen Hitze jedenfalls stimmt das nicht. Gut trainierte Freizeitjogger halten es bei mehr als 30 Grad und 80 bis 90 Prozent Luftfeuchtigkeit kaum eine Stunde aus, ohne dass sie von Schwindelgefühlen beeinträchtigt werden. So verlegten die Veranstalter den olympischen Marathon sowie den Wettbewerb im Gehen schon vorletztes Jahr ins nördliche Sapporo. Während der Spiele wurden dann die Tennisspiele etwas nach hinten verlegt, um die Mittagssonne zu meiden. Viel mehr passierte aber nicht.
Für ein ausführliches Interview über diverse Kritikpunkte an den Olympischen Spielen, darunter auch die Wettkampfbedingungen, stand das IOC nicht zur Verfügung.

IOC wiegelt beim Thema Hitze ab

Kit McConnel, Sportdirektor des IOC, sagte auf einer Pressekonferenz: "Ein Großteil der Wettkampfpläne wurde so konzipiert, dass wir möglichst je nach Sportart die heißesten Zeiten des Tages vermeiden können. Aber das ist leider nicht immer möglich. Außerdem haben wir wirklich weitreichende Maßnahmen für den Umgang mit der Hitze eingeführt, bei allen Trainings- und Wettkampfanlagen."
Aber in Tokio haben sich vor allem Widersprüche gezeigt. Die japanische Umweltbehörde hat die Menschen im Sommer davor gewarnt, mitten am Tag draußen Sport zu treiben. In der Tokioter Innenstadt sprüht von Bushaltestellen und anderen öffentlichen Plätzen kühlender Wasserdampf.
Athleten haben sich durch Training in Hitzekammern vorbereitet, trugen vor Ort eisbepackte Kühlwesten. An den olympischen Spielstätten wurden zahlreiche Offizielle mit einem intelligenten Ohrstöpsel des chinesischen IOC-Sponsors Alibaba ausgestattet. Der misst Körpertemperaturen und berechnet individuell, wie hoch das Risiko eines Hitzeschlags ist. Daraufhin empfiehlt eine App, eine Pause zu machen oder etwas zu trinken.

Hitzeschläge sind in Japan jedes Jahr ein Problem

An den Bedingungen hat all das nichts geändert. Schon nach der ersten Woche berichtete das Organisationskomitee, 30 Olympiamitarbeiter hätten aufgrund der Hitze gesundheitliche Schäden erlitten. Was in Japan niemanden verwundert – Hitzeschläge sind jedes Jahr ein Problem, und dies im Klimawandel mit zunehmender Tendenz.
Nach Zahlen der Britischen Vereinigung für Nachhaltigen Sport ist Tokio heute im Schnitt 2,86 Grad heißer als noch im Jahr 1900. Der weltweite Durchschnittswert ist demzufolge um knapp ein Prozent gestiegen. Und die Temperaturen nehmen weiter zu. Die NGO "Football for Future" geht davon aus, dass Leistungssport im Freien an mehreren Orten der Welt über die nächsten Jahrzehnte unmöglich wird.
Mit einem ähnlichen Gedanken kommentierte das Asahi Shimbun, Japans zweitgrößte Tageszeitung, diese Tage: "In einer sich schnell erwärmenden Welt ist Tokio das Barometer für künftige Olympische Spiele. Vergessen Sie schnelle Rennen und hohe Sprünge – einfach nur Sport unter freiem Himmel zu sehen wird etwas Besonderes, wo der Klimawandel starken Regen und schwere Hitzewellen bringt sowie die Einlieferungen ins Krankenhaus hochtreibt."

Sportliche Leistungen könnten nachlassen

Mehrere Gesundheits- und Sportwissenschaftler prognostizieren, dass unter zunehmend schweren und heißen Klimabedingungen auch die sportlichen Leistungen nachlassen werden. So würde es künftig bis auf Weiteres weniger Weltrekorde geben. Warum die Olympischen Spiele trotz allem im Juli stattfinden mussten, fragt sich auch Lully Miura, eine bekannte Politologin und Vorsitzende des Thinktanks Yamaneko:
"Viele waren gegen diese Olympischen Spiele, aber ich war alles in allem dafür. Für Japan war es gut, dass immerhin die Athleten, die für dieses Ereignis trainiert haben, ins Land kommen konnten. Aber die Zeit im Jahr ist keine gute. Und bei der Wahl des Zeitraums geht es ja vor allem um Geld. Ich fürchte, wenn man die Entscheidungsmechanismen nicht ändert, wird es für die Pläne des IOC in Zukunft kaum noch Zustimmung geben."
In einem Restaurant in Tokio läuft die Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele im Fernsehen.
Ende der Olympischen Spiele - Japan zwischen Begeisterung und Ignoranz
Erst war die japanische Bevölkerung Feuer und Flamme für die Spiele, dann komplett dagegen und nun ein bisschen von beidem. Was bleibt außer den sieben neu gebauten Stadien und dem Olympischen Dorf? Und hat die Regierung ihr Versprechen von sicheren Spielen eingelöst?
Zu den wichtigsten Gründen, die Spiele im Juli und August zu veranstalten, gehört wohl der US-amerikanische TV-Sender NBC, der die höchste Summe an TV-Lizenzgebühren an das IOC zahlt und in dessen Sportkalender eben nur Spiele im Hochsommer passen. Für künftige Olympische Spiele könnten solchen Terminierungen erneut für Streit sorgen.
Zwar haben Paris, Los Angeles und Brisbane – die drei nächsten Gastgeberstädte – in ihren heißen Sommern eine deutlich geringere Luftfeuchtigkeit. Allerdings könnte der Klimawandel über die nächsten Jahrzehnte in vielen Städten so einiges unerträglich machen.