Es ist nicht lang her, da sprach man in Japan noch voller Stolz über "Tokyo 2020." Auch jenseits des Sports sollten die Olympischen Spiele, die eigentlich für diesen Sommer geplant waren, dem Veranstalterland und der ganzen Welt so einiges bringen. Dem globalen Publikum und den Besuchern aus dem Ausland wollte man die "futuristischsten Spiele" der Geschichte präsentieren:
Zum Plan gehörte der erstmalige Einsatz von Innovationen wie Assistenzrobotern vor den Stadien, 5G-Internetverbindungen überall, selbstfahrenden Autos zwischen den Spielstätten. Und für die Einwohner von Japan und Tokio, so versprach man immer wieder, würde das Sportevent kostenlos bleiben. "Tokyo 2020" würde die Steuerzahler nicht belasten.
Wie teuer wird Tokio 2021?
Seit die Spiele Ende März aber um ein Jahr verschoben werden mussten, sieht die Sache anders aus. Neben der Frage, ob die Neuterminierung der Eröffnungsfeier auf den 23. Juli 2021 nicht etwas vorschnell entschieden wurde, sind noch ganz andere Sachen unklar: Kann die Erzählung von Olympischen Spielen, die kein Steuergeld kosten, angesichts all der Zusatzkosten noch aufrechterhalten werden?
Und für die wirkungsbewussten Sponsoren nicht weniger bedeutend: Werden die groß angekündigten Innovationen, die die sponsernden Unternehmen diesen Sommer vorführen wollten, im nächsten Jahr überhaupt noch neu sein?
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Franz Waldenberger, Direktor des in Tokio angesiedelten Deutschen Institut für Japanstudien, forscht zu diesen Themen. Vor kurzem veröffentlichte sein Institut einen Sammelband, in dem sich Waldenberger auch mit den Technologie- und Finanzfragen des Megaevents beschäftigt.
"Olympia wäre ein Anlass gewesen, zu schauen, wie weit Japan ist. 5G, wie gesagt, die Pilotprojekte gibt es ja schon, und autonomes Driving… der schöne Marketingeffekt fällt jetzt weg. Der Motivationseffekt, den Olympia hatte, der ist ja eigentlich schon realisiert. Das hat sich ja über mehrere Jahre hingezogen und man hat gesagt: Oh, für Olympia müssen wir das machen. Dass man da jetzt nicht diesen Marketingeffekt oder diesen Showcaseeffekt hat, glaube ich, ist natürlich schade. Die Innovationen sind jetzt natürlich nicht in den Sand gesetzt, sondern im Gegenteil, man hat jetzt noch ein bisschen mehr Zeit."
Tokio 2021 - ein Desaster für die Sponsoren?
Aus Sponsorenperspektive ist die Olympia-Verschiebung trotzdem aus mehreren Gründen ein Problem. Denn für sie soll "Tokyo 2020" vor allem Werbeplattform sein. Das fällt erstmal aus. Es wird schon befürchtet, dass bald auch einige Sponsoren abspringen oder zumindest ihre Zuwendungen reduzieren werden.
Für die Bevölkerung besonders wichtig ist die Kostenfrage. Olympische Spiele ohne den Einsatz von Steuergeldern? Schon vor der Verschiebung schien das kaum glaubwürdig. Auf Nachfrage relativierte das Organisationskomitee die Behauptung: natürlich würden die Stadienbauten und weitere Infrastruktur durch öffentliche Gelder finanziert.
3 Milliarden Zusatzkosten
Aber diese Investitionen hätten ja bleibende Wirkung, zählen deshalb nicht als Kosten. Als Kosten zählte man nur die operativen Ausgaben, die während des Sportevents anfallen: also Sicherheit, Catering und so weiter. Und die sollten allein durch die Einnahmen getragen werden, die von Sponsoren, Fernsehgeldern und Tickets kommen.
Aber jetzt? Schätzungen gehen von zumindest 3 Milliarden US-Dollar an Zusatzkosten aus. Und die fallen nicht für Investitionen an, von denen Bürger in Zukunft profitieren werden. Es geht um zusätzliche Kosten für Raummieten, Sicherheit und Entschädigungen.
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Die Erzählung des Sportevents ohne Steuerkosten ist damit wohl endgültig auserzählt. So sieht es jedenfalls Hiroki Ogasawara, Professor für Soziologie an der Universität Kobe und Autor des Buchs "Han Tokyo Orinpikku Sengen", auf Deutsch: Anti-Tokio-Olympisches Manifest.
"Alles ist unklar. Wie sollen wir das ein ganzes Jahr über aushalten? Mein Vorschlag ist nicht einfach Verschiebung, sondern Absage. Wir müssten ja jetzt für weitere zwölf Monate eine Menge zusätzliches Geld ausgeben. Und dieses zusätzliche Geld wird durch Steuern finanziert werden. Nicht nur die Sponsoren, auch viele andere Unternehmen investieren gerade viel Geld, um ihre Produkte zu bewerben und so weiter, in der Annahme, dass sie nach Olympia wieder Geld einnehmen würden.
Aber das wird nun auch für weitere zwölf Monate nicht geschehen. Alle müssen ihr Personal und ihre Infrastruktur aufrechterhalten und so weiter. Wir brauchen also Geld. Und die einzige Quelle, die man erstmal einfach anzapfen kann, sind die Steuern, Geld der Gesellschaft. Ich glaube nicht, dass die Öffentlichkeit davon überzeugt werden könnte, dass sie das bezahlen soll."
Der Ökonom Franz Waldenberger hat zumindest ähnliche Befürchtungen, wenn es um den Einsatz öffentlicher Gelder angeht:
"Also bestimmte Dinge, die eben nicht in diese Legacy übergehen, und natürlich auch die ganzen zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen, die ja von Seiten des Staates getragen werden, die sind ja nicht Teil der operating costs.
Also man muss sehen, da gibt’s einen ganzen Batzen außerhalb der operating costs. Das übernimmt natürlich auch der Staat, weil er da natürlich auch eine Grundfunktion hat. Aber er muss da natürlich für die Spiele zusätzliche Ressourcen aufwenden."
Und es scheint, als würden auch die Veranstalter nicht mehr widersprechen wollen. Letzte Woche wurden Unstimmigkeiten zwischen dem IOC und den japanischen Veranstaltern öffentlich. Das IOC hatte gesagt, Japan habe versichert, die Zusatzkosten tragen zu wollen. Die japanische Regierung dementierte. Seither heißt es, man werde sich einigen wollen.
Absage als Möglichkeit
Und das Tokioter Organisationskomitee? Auf Anfrage, ob man nun von seiner Behauptung abrücken würde, Olympia werde kein Steuergeld kosten, gibt es keine Antwort. Nach all den unerfüllten Versprechen sind die Veranstalter wohl etwas vorsichtiger geworden. Hoch gepokert wird aber weiterhin. Yoshiro Mori, Chef des Organisationskomitees, hat erst in der vergangenen Woche betont: Tokyo 2020 werde auf keinen Fall ein weiteres Mal verschoben.
Mehrere Virologen aus Japan haben aber den nun aktuellen Zeitplan öffentlich in Zweifel gezogen. Solange es keinen Impfstoff gebe, der nicht nur zugelassen, sondern auch für alle Athleten und Besucher verfügbar wäre, seien Olympische Spiele unwahrscheinlich. Am Mittwoch bekannte sich auch Premierminister Shinzo Abe zum ersten Mal zu dieser Haltung. Dass Olympia am Ende ausfallen könnte, ist nun also offiziell eine Möglichkeit.