Es ist Sonntagabend, das winzige Lokal im Kneipenviertel Yotsuya ist proppenvoll. Hinterm Tresen schenken schmale junge Männer mit kahlgeschorenen Köpfen edle japanische Whiskys aus und mixen Cocktails. In der Karte, gefaltet wie ein Leporello mit heiligen Texten, finden sich Getränke mit seltsamen Namen: "Höllenfeuer", "Vollkommene Seligkeit" und "Versklavung durch Liebe und Lust". Die Barkeeper tragen schlichte, graue Gewänder und lächeln. Einer von ihnen kündigt das musikalische Programm an - und dann geht's los.
Was die "Vows"-Bar von 10.000 ähnlichen Etablissements in Tokio unterscheidet: Sie wird von buddhistischen Mönchen betrieben. Ihr Name leitet sich von "bozu" ab, zu Deutsch "Bonze", eine leicht abfällige, ironische Bezeichnung für die kahlgeschorenen Gottesmänner.
"Ich brülle den Leuten ins Gewissen! Ich peitsche ihnen Moral in die Haut. Ich mische die angesagte Jugendsprache mit alten buddhistischen Texten."
Der 39-jährige Sänger Yoshinobu Fujioka erklärt, es gehe in diesem Lied um "Reue". Sein Name als Mönch ist Sen Nen, was so viel bedeutet wie "guter Vorleser", doch eigentlich liest er dem deutlich jüngeren Publikum nicht vor, sondern die Leviten. "Denkt über euer Leben nach", ist seine Botschaft.
"Die Leute suchen Orientierung in einer konfusen Welt. Aber sie kommen nicht mehr in den Tempel. Also müssen wir uns anpassen. Wenn wir nur im Tempel warten, verlieren wir den Kontakt zu jungen Leuten. Viele glauben, der Buddhismus sei nur für Trauerfeiern zuständig, für das Jenseits. Aber das ist falsch. Gerade junge Leute suchen nach seelischem Beistand. Und die treffen uns hier!"
Eine Frau im Minirock nippt an ihrem Cocktail. Sie sei jetzt zum zweiten Mal hier, erzählt die 30-jährige:
"Am Tresen zu sitzen und mit einem Barkeeper zu plaudern, ist ja normal. Aber wenn der in Wahrheit ein Mönch ist! Das war am Anfang komisch. Da geht es nämlich immer gleich um das Leben als solches. Aber dann dachte ich, welch einmalige Gelegenheit, meine Seele zu reinigen."
Und die 28-jährige Akita sagt:
"Hier hat man die seltene Chance, ganz ungezwungen mit Mönchen zu sprechen. Da gibt es keine Hemmschwelle wie im Tempel. Ich arbeite ja selbst dort, verkaufe Glücksbringer und sowas. Aber da traut man sich ja nicht, einen Mönch anzusprechen. Hier ist das anders. Im Tempel sind außerdem nur alte Leute. In 30 Jahren ist der Buddhismus tot, wenn es nicht solche Orte gäbe wie den hier. Diese Bar ist seine Überlebenschance!"
Sen Nen, der singende Mönch, hat das "Vowz" vor 16 Jahren gegründet - in einem alten Viertel, das einerseits von Bars, Karaoke-Schuppen, Restaurants und halbseidenen Geschäften wimmelt, wo es rundherum aber auch Dutzende von Tempeln gibt. Sein Personal besteht aus 13 Mönchen unterschiedlicher Sekten. Ursprünglich war er Boxer von Beruf.
"Mit 21 habe ich mich plötzlich gefragt, was eigentlich wahre Kraft bedeutet, hab mich mit Grundfragen des Lebens beschäftigt: Wo kommen wir her, wo gehen wir hin? Ich hab mich mit vielen Religionen befasst, aber ich glaube, meine Suche war schon damals von Buddha geleitet."
Mit einer Bar für den Buddhismus zu werben, ist das nicht etwas zu einfach? 'Bud light' sozusagen? Nun, sagt er, immerhin habe er bestimmt Vielen geholfen. Unter den Gästen gab es welche, die danach ernsthaft Buddhismus studiert hätten, einige sind sogar selbst Mönche geworden. Aber wichtiger sei es, Seelen zu retten. Und dann zieht ein kleiner Schatten über sein sonst so leuchtendes Gesicht:
"Ich habe einen Freund aus Thailand. Seit fünf Jahren studiere ich bei ihm den ursprünglichen Buddhismus. Hier in Japan glaubt man ja, jede Seele werde gerettet. In anderen Ländern ist das viel strenger. Ich fürchte, der japanische Buddhismus ist vergleichsweise oberflächlich."