Das hat es so noch nie gegeben: Bei den Olympischen Spielen in Tokio wird es keine Zuschauer geben - auch keine heimischen Fans. Neben Athleten und Betreuern dürfen nur IOC-Verantwortliche, Mitarbeiter der Nationalen Olympischen Kommitees und Journalisten in Tokio dabei sein. Wegen der Coronakrise war bereits im März beschlossen worden, keine Gäste aus dem Ausland zuzulassen.
In Japan steigen die Fallzahlen wieder, der Corona-Notstand für die Hauptstadt-Region wurde bis zum 22. August verlängert. Noch ist offen, ob die Regelungen auch für die danach stattfindenen Paralympics (24. August - 5. September) gelten. Eine Entscheidung darüber soll nach dem Ende der Olympischen Spiele getroffen werden, also nach dem 8. August.
Nein. Aber es hätte auch genauso in die andere Richtung gehen können, dass es ähnlich wie bei der Fußball-Europemeisterschaft immer mehr Zuschauer in den Arenen gibt. Natürlich gibt es ein Interesse daran, die Stimmung aus den Stadien zu transportieren, wenn ein Milliardenpublikum am Fernseher zuschaut. Es war immer die Entscheidung am Horizont, die ganz offiziell noch ausgestanden hat – abhängig von der Pandemiesituation.
So erklärte die Präsidentin des japanischen Organisationskomitees, Seiko Hashimoto: "Wir wollten volle Stadien haben, dass die Menschen aus Japan gemeinsam die Athleten willkommen heißen können und sich die ganze Kraft des Sports zeigt. Aber nun sehen wir uns steigenden Corona-Zahlen gegenüber und haben keine andere Wahl, als die Spiele in diesem engen Rahmen auszutragen."
Die Entscheidung über die Zuschauer ist gleichzeitig zu der Frage aufgewertet worden, wie man der Pandemie gerecht werden kann. "Dadurch wurde die Debatte um eine Absage der Spiele auf eine Zuschauerdebatte umgelenkt", sagte Dlf-Sportredakteurin Marina Schweizer im Dlf. Die Entscheidung, dass ausländische Zuschauer nicht kommen dürfen, hat es im März gegeben - als die Stimmen zu einer Absage gerade besonders laut waren.
Bei der ablehnenden Haltung in weiten Teilen der japanischen Bevölkerung gegen die Spiele und steigenden Coronazahlen war es jetzt erwartbar, dass es diese Entscheidung geben wird. Und auch, wenn es jetzt ein gemeinsames Statement mit dem Internationalen Olympischen Komitee gab: Der Grundstein für die Entscheidung kam von der japanischen Regierung, dass die Präfektur Tokio bis zum 22. August im Ausnahmezustand ist.
Da kommen mehrere Faktoren zusammen: Das Gesundheitssystem in Japan ist - nach allem, was Korrespondenten von dort berichten - nicht auf große Ausbrüche ausgelegt. Intensivbetten stehen nicht in großem Umfang zur Verfügung.
Dazu kommen politische Gründe: In Japan ist Wahljahr und es ist ein heikles Terrain, auf dem sich die Regierung innenpolitisch bewegt. Denn dass die Japaner die Spiele inzwischen mehrheitlich ablehnen, haben mehrere Umfragen aus diesem Jahr ergeben.
Auch kulturelle Aspekte spielen eine Rolle, die im Inselstaat Japan auch historisch bedingt sind: Mit Olympia öffnet man sich in der Pandemie ohnehin schon sehr weit. Es kommen trotzdem mehrere Zehntausend Menschen aus der ganzen Welt: Athleten, Betreuer, Funktionäre. Da ist die Sorge vor einer Gefahr von außen groß, ebenso vor den weltweiten Negativschlagzeilen, dass in Japan ein Superspreader-Event stattfindet oder sogar möglicherweise eine neue Variante auftaucht.
Zunächst einmal weitere Einbußen, da die Erlöse aus dem Ticketverkauf wegfallen. Die Einnahmen bei ausverkauften Sportstätten sind zwischenzeitlich mit 660 Millionen Euro beziffert worden. Im Vergleich zu den Fernsehgeldern (2,5 Milliarden Euro) ist das zwar wenig, aber es wäre den Ausrichtern immerhin noch zugute gekommen. Denn diese Spiele sind nach der Verschiebung um ein Jahr ohnehin extrem teuer geworden und werden möglicherweise die teuersten aller Zeiten. Einen Großteil davon müssen die japanischen Steuerzahler schultern.
Olympia war in Japan ursprünglich als großer Zielpunkt für ein Wirtschaftsprogramm geplant. Schon mit der Entscheidung, keine ausländischen Zuschauer zuzulassen, hat es nichts mehr mit konjunkturellem Antrieb zu tun. Denn damit fielen etwa für Hotels, Restaurants oder Verkehrsunternehmen sprudelnde Einnahmequellen weg. Auch die Infrastruktur, die für ein Publikum von Hunderttausenden ausgelegt war, wird nun nicht in dem Maße gebraucht - wie zum Beispiel das Hafenareal in Tokio, das komplett umgebaut wurde.
Und - anders als lange gehofft - wird es dieses Mal kein Treffen der Völkerverständigung und des internationalen Austauschs. Denn: Kontakte sollen auch unter den Teilnehmenden vermieden werden.
Die Sportler und Sportlerinnen tragen es mit Fassung. Man hört Verständnis angesichts der Pandemiesituation und es klingt auch durch, dass die Athletinnnen und Athleten im deutschen Team froh sind, dass die Olympischen Spiele nicht ganz abgesagt wurden.
Athletensprecher Max Hartung äußerte sich dazu stellvertretend ausführlich in den ARD-Tagesthemen: "Es wird sicher nicht so aufregend, nicht so emotional, wie es in der Halle mit jubelnden Fans ist. In meiner Sportart Fechten haben wir häufig nicht so wahnsinnig viele Zuschauer. Das macht die Olympischen Spiele auch für uns mit besonders, dass da mehrere 1000 in der Fechthalle sind. Auf der einen Seite ist es deswegen schade, auf der anderen Seite bin ich froh, überhaupt antreten zu können."
Olympia-Schwimmer Marco Koch, 2015 Weltmeister über 200 Meter Brust, hält die Entscheidung für schade, aber vernünftig. Beim Brustschwimmen höre man das Anfeuern bei jedem Zug. Dennoch sei die lautstarke Unterstüzung von den Rängen nicht unbedingt immer ein Vorteil,
sagte Koch im Dlf
: "Bei meinen ersten Spielen in London hat mich die Atmosphäre sehr erschlagen. Für Sportler, die zum ersten Mal dabei sind, kann es – nur auf die sportliche Leistung bezogen – okay sein, weil diese überwältigende Stimmung einen nicht so ablenkt."
Der australische Tennisprofi Nick Kyrgios hat dagegen seine Olympiateilnahme abgesagt - wegen einer Verletzung, aber vor allem wegen des Zuschauer-Ausschlusses. "Der Gedanke, vor einem leeren Stadion zu spielen, gefällt mir einfach nicht", schrieb er auf Twitter.
Zuschauer sind übrigens nicht komplett und überall ausgeschlossen: Es gibt Austragungsstätten außerhalb Tokios, an denen Zuschauer zugelassen werden sollen - wie zum Beispiel für die deutsche Mannschaft beim olympischen Fußballturnier in Rifu.
Quellen: Marina Schweizer, Kathrin Erdmann, og
Quellen: Marina Schweizer, Kathrin Erdmann, og