Am Neckartor in Stuttgart wälzt sich Tag für Tag ein endloser Strom von Autos die B14 hinunter. Der dichte Verkehr in Kombination mit der fast windstillen Kessellage der Stadt, sorgt hier regelmäßig für dicke Luft. Der Stadtklimatologe Rainer Kapp kennt das Problem: "Wir haben in Stuttgart bei gleichem Schadstoffausstoß eine viel höhere Feinstaub-Konzentration in der Luft."
Können Moose für sauberere Luft sorgen?
Um herauszufinden ob natürliche Luftfilter helfen könnten, die Lage in den Griff zu bekommen, hatte die Stadt im Frühjahr 2017 eine drei Meter hohe und 100 Meter lange Wand aus ausgewählten Moossorten aufgestellt. Der Feldversuch bekam bundesweit mediale Aufmerksamkeit und sollte Antworten auf eine wichtige Frage liefern. Rainer Kapp hat das Projekt "Mooswand" von Seiten des Stuttgarter Amtes für Umweltschutz mitbegleitet.
"Moose, ernähren sich aus der Atmosphäre. Sind die nicht grundsätzlich auch in der Lage, einen Prozess eigentlich in Gang zu setzen, wo man sich von der Grundidee her eben vorstellen könnte: Das könnte dazu dienen, die Atmosphäre sozusagen zu reinigen?"
"Moose, ernähren sich aus der Atmosphäre. Sind die nicht grundsätzlich auch in der Lage, einen Prozess eigentlich in Gang zu setzen, wo man sich von der Grundidee her eben vorstellen könnte: Das könnte dazu dienen, die Atmosphäre sozusagen zu reinigen?"
Die Hoffnung: Zehn Prozent verringerte Feinstaubkonzentrationen
Laborversuche, unter anderem am Naturkundemuseum in Stuttgart, hatten gezeigt: Die wurzellosen Pflanzen können Feinstaub aus der Luft binden und gerade die kleinen Partikel sogar verstoffwechseln. Bis zu zehn Prozent geringere Feinstaubkonzentrationen am Neckartor – das erhoffte sich das Team vom Amt für Umweltschutz, dem Naturkundemuseum und der Uni.
Was im Labor gelingt, funktioniert im Feldversuch aber deutlich weniger gut. Zu trocken, zu sonnig und im Winter noch Streusalz: Die Moospflanzen am Neckartor wachsen nicht gut.
Was im Labor gelingt, funktioniert im Feldversuch aber deutlich weniger gut. Zu trocken, zu sonnig und im Winter noch Streusalz: Die Moospflanzen am Neckartor wachsen nicht gut.
Die Erwartungen wurden enttäuscht
Und so zeigt die Auswertung des Feldversuchs nach anderthalb Jahren: Es gab keine messbare Reduktion der Feinstaubwerte. Der Pilotversuch wird im Sommer 2018 abgebaut. Rainer Kapp bilanziert heute: "Also es ist beliebig kompliziert die Lebensbedingungen von Moosen an einem X-beliebigen Standort so aufzubauen, dass es gut funktioniert. Das klingt natürlich jetzt auch trivial, aber man kann ja fast sagen: Wo Moose natürlicherseits nicht wachsen, da wollen sie eben auch nicht sein. Und da kann man sie nicht einfach ansiedeln und hoffen, dass sie dann sozusagen für einen arbeiten."
Umso überraschter sind viele Stuttgarter, als kurze Zeit später eine neue Moosinstallation eingeweiht wird: große Würfel mit integrierter Sitzbank. Laut Hersteller kann einer dieser so genannten "CityTrees" über 80 Prozent des Feinstaubs aus der Umgebung filtern. Angeschafft hat sie das Gartenbauamt. Das möchte dieses Mal gar keinen Feinstaub filtern, sondern testen, ob Moosinstallationen die Luft abkühlen und dort zur Begrünung der Stadt benutzt werden können wo Bäume pflanzen nicht geht.
Projekt CityTrees: Luft kühlen statt filtern
Probiert wird das ausgerechnet wieder an der B14, etwas weiter stadteinwärts vom Neckartor. Laut Rainer Kapp war diese Standortwahl eher Zufall: "Das hat aber natürlich eine Nähe zu dieser bereits schon wieder im Abbau befindlichen Mooswand geschaffen, wo man sich tatsächlich die Frage stellen kann: Dort bauen wir es ab, weil es offensichtlich nichts bringt, und hier bauen wir jetzt neu auf?"
Nicht wenige Stuttgarterinnen und Stuttgarter wittern Ressourcenverschwendung und reagieren verärgert. Ein drittes Moosprojekt, das zeitgleich läuft, macht die Sache noch komplizierter: MoosTex ist eine Forschungskooperation aus der Industrie, die Mooswände nicht nur als Luftfilter und Befeuchter nutzbar machen will, sondern auch als Lärmschutz. Die Stadt Stuttgart ist an dem Projekt gar nicht beteiligt, aber eines der Testmodule steht – wie sollte es anders sein - in unmittelbarer Nähe zum Neckartor.
Nicht wenige Stuttgarterinnen und Stuttgarter wittern Ressourcenverschwendung und reagieren verärgert. Ein drittes Moosprojekt, das zeitgleich läuft, macht die Sache noch komplizierter: MoosTex ist eine Forschungskooperation aus der Industrie, die Mooswände nicht nur als Luftfilter und Befeuchter nutzbar machen will, sondern auch als Lärmschutz. Die Stadt Stuttgart ist an dem Projekt gar nicht beteiligt, aber eines der Testmodule steht – wie sollte es anders sein - in unmittelbarer Nähe zum Neckartor.
"Die Moose bewirken eine Feinstaub-Reduktion"
"Dass Moos sprießt an allen Ecken" und "Die Moos-Wand kommt wieder" titeln lokale Zeitungen. Die öffentliche Wahrnehmung ist geprägt von trockenem Moos. Was bleibt ist die Frage: Können die Pflanzen überhaupt etwas bringen? Maik Merkel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Troposphärenforschung in Leipzig. Er hat den Effekt von Moos auf das Stadtklima am Beispiel von CityTrees untersucht und sagt: "Die Moose bewirken eine Feinstaub Reduktion. Allerdings ist das nur ein punktuelles Geschehnis. Also es ist nicht so, dass man sagen kann, man kann definitiv ganze Straßenzüge oder ganze Plätze mit einmal reinigen."
Ein Versuch unter Ideal-Bedingungen in einer geschlossenen Halle zeigte: Bei einer Entfernung von einem Meter zur Moosinstallation, war die Feinstaubdichte um 25 bis 30 Prozent reduziert. In echter Stadt-Umgebung ergaben die Messergebnisse eine Minderung von bis zu 10 Prozent. Ein Kühlungseffekt war mit bis zu drei Grad weniger in der direkten Umgebung tatsächlich spürbar. Allerdings nur wenn die Pflanzen verschattet und mit einem Sprühnebelsystem aktiv bewässert wurden, so Maik Merkel: "Man muss genau abwägen: Wo stellt man denn diese Mooswand oder diese City Trees oder welche Projekte auch immer überhaupt hin? Wo platziert man sie, wie platziert man sie und welchen Nutzen hat man davon?"
Ein Versuch unter Ideal-Bedingungen in einer geschlossenen Halle zeigte: Bei einer Entfernung von einem Meter zur Moosinstallation, war die Feinstaubdichte um 25 bis 30 Prozent reduziert. In echter Stadt-Umgebung ergaben die Messergebnisse eine Minderung von bis zu 10 Prozent. Ein Kühlungseffekt war mit bis zu drei Grad weniger in der direkten Umgebung tatsächlich spürbar. Allerdings nur wenn die Pflanzen verschattet und mit einem Sprühnebelsystem aktiv bewässert wurden, so Maik Merkel: "Man muss genau abwägen: Wo stellt man denn diese Mooswand oder diese City Trees oder welche Projekte auch immer überhaupt hin? Wo platziert man sie, wie platziert man sie und welchen Nutzen hat man davon?"
Projekt MoosTex: Moosmodule für Schallschutzmauern
Die Grundvoraussetzung dafür, überhaupt einen Nutzen zu haben ist, dass die Moose wachsen. Der Standort ist also entscheidend. Zu diesem Schluss kommt auch das Forschungsprojekt MoosTex. Dort hat man deshalb alle Energie darauf verwendet, etwas zu entwickeln, in dem Moose auch an ungünstigen Standorten überleben. Im nächsten Jahr soll als Ergebnis ein fertiges Produkt auf den Markt kommen: Moosmodule für Schallschutzmauern.
Theoretischen Berechnungen zufolge könnte eine zweieinhalb Meter hohe Wand bis zu zehn Prozent der Feinstaubpartikel aus der Umgebungsluft filtern. In einem Feldversuch nachgemessen wurde das bislang nicht. Der Baukonzern Strabag, der die Moos-Module vermarkten wird, setzt auf den so genannten added-value: einen nicht genau quantifizierbaren Mehrwert für sowieso geplante Bauprojekte, der für geringe Zusatzkosten zu haben ist.
In Stuttgart keine Pläne für weitere Moos-Versuche
Egal ob CityTree zur Luftfilterung und -kühlung oder Schallschutz: Der ehemalige Mooswand-Verantwortliche Rainer Kapp sieht in Stuttgart derzeit kein Potenzial für weitere Versuche: "Wir kommen nicht mehr zurück zu Mooswand-Installationen, jedenfalls nicht mit dem Ziel Luftreinhaltung, Schadstoff-Reduktion."
Wo die CityTrees standen, sind jetzt Bäume in riesige Kübel gepflanzt. Und auch die Mooswand hat Nachfolger: Seit November 2018 stehen am Neckartor Filtersäulen, die mit Aktivkohle arbeiten. Auch Fahrverbote, Flottenerneuerung und Tempolimits haben dafür gesorgt, dass die Schadstoffgrenzwerte am Neckartor in den letzten Jahren eingehalten wurden.
Wo die CityTrees standen, sind jetzt Bäume in riesige Kübel gepflanzt. Und auch die Mooswand hat Nachfolger: Seit November 2018 stehen am Neckartor Filtersäulen, die mit Aktivkohle arbeiten. Auch Fahrverbote, Flottenerneuerung und Tempolimits haben dafür gesorgt, dass die Schadstoffgrenzwerte am Neckartor in den letzten Jahren eingehalten wurden.