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Tolle Idee! Was wurde daraus?
Insulin zum Inhalieren

Bei Diabetes-Patienten ist die Insulinproduktion gestört und häufig völlig zum Erliegen gekommen. Diese Menschen müssen sich das Hormon künstlich zuführen, in der Regel wird es gespritzt. Schon früh gab es aber in der Medikamentenentwicklung die Idee, Patienten das Insulin zum Inhalieren anzubieten.

Von Michael Stang |
Mit Hilfe eines kleinen Blutstropfens wird mit einem Gerät der Firma OneTouch der Zuckergehalt im Blut gemessen. Menschen, die an Diabetes erkrankt sind, müssen den Blutzuckerwert häufig überprüfen und bei entsprechendem Krankheitsbild Insulin spritzen.
Zwar gibt es heute auch die Möglichkeit, Insulin zu inhalieren, langfristig werde sich diese Form der Medikamenteneinnahme aber nicht durchsetzen, glauben Medizin-Experten (picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst )
Wer aufgrund einer Diabetes-Erkrankung nicht ausreichend Insulin produziert, muss sich das Hormon regelmäßig spritzen oder mit einem Pflaster oder rektal durch den Enddarm verabreichen. Die Einnahme über den Mund und Magen-Darm-Trakt ist bisher nicht möglich, weil das Eiweiß dort so rasch abgebaut wird, dass es keine Wirkung entfaltet. Insulin lässt sich aber auch inhalieren, also über die Lunge aufnehmen, sagt der Diabetologe Helmut Schatz, emeritierter Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik Bergmannsheil in Bochum und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie.

"Das ist eine uralte Idee und zwei, drei Jahre nachdem das Insulin 1921 entdeckt wurde und dann ein Jahr später beim Menschen 1922 angewandt wurde, wurde es bereits in Deutschland als Inhalativum versucht. Also dass man es einfach inhaliert und dann über die Atemwege aufnehmen lässt."
Herstellung war damals zu aufwändig und teuer
Doch dieser Ansatz setzte sich damals nicht durch: Die Herstellung des inhalierbaren Insulins war aufwändig und teuer, die Verfügbarkeit des Medikaments für die Patienten gering. Erst viele Jahrzehnte später kam es zur Markteinführung im großen Stil. In den 1980er-Jahren hatte das US-amerikanische biopharmazeutische Unternehmen Nektar Therapeutics eine Technologie entwickelt, mit der sich Humaninsulin in kleinen Partikeln aufbereiten und pulverförmig zum Einatmen verabreichen ließ.
Patienten waren bei der Markteinführung wenig begeistert
Der Pharmakonzern Pfizer brachte das Medikament 2006 weltweit zuerst in Deutschland auf den Markt. Helmut Schatz war damals an klinischen Studien beteiligt, bei denen die Wirksamkeit des Insulin-Sprays getestet wurde. Im Prinzip funktionierte das Medikament gut, erinnert er sich heute, aber es kam nur für Nichtraucher infrage. Und auch die waren nicht allzu begeistert, weil es zahlreiche Nebenwirkungen gab.
"Das inhalative Insulin von Pfizer, das hat damals Exubera® geheißen. Es war ein großer, recht unhandlicher Apparat, mit dem man das inhalieren musste. Das ist dann wieder vom Markt genommen worden, weil es nicht akzeptiert wurde."
2007 verschwand das Insulin-Spray von Pfizer wieder aus deutschen Apotheken. Auch weil sich damals schon eine andere Verabreichungsmethode durchgesetzt hatte: Handliche Pens hatten die alten, umständlichen Nadeln ersetzt, vor allem in Europa. In den USA versuchte unter anderem die Firma MannKind ab 2009 ein inhalierbares Insulin zu vertreiben.
Anfangs ohne Erfolg, weil die US-Arznei- und Lebensmittelbehörde FDA die Markteinführung mehrfach ablehnte. Erst 2014 gab sie grünes Licht. Seitdem ist das Medikament, bei dem das Insulin an kleine Kügelchen aus Fumarsäure geheftet ist, unter dem Namen Afrezza® im Handel:
"Menschen mit Diabetes müssen bei jeder Mahlzeit überlegen: Habe ich Insulin dabei? Wo kann ich mich spritzen? Mit Afrezza® kann man Insulin inhalieren, wenn es plötzlich etwas zu Essen gibt."
Zahlreiche Risiken und Nebenwirkungen
In einem aufwändig produzierten Werbevideo preist das kalifornische Unternehmen sein Produkt an. Zwei Drittel des 60-Sekunden-Clips sind allerdings den offenbar zahlreichen Risiken und Nebenwirkungen gewidmet:
"Afrezza® kann schwere Nebenwirkungen verursachen: plötzliche Lungenprobleme, ein Absinken des Kaliumwertes. Afrezza® ist nicht geeignet für Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen. Teilen Sie ihrem Arzt mit, wenn Sie rauchen oder kürzlich damit aufgehört haben, jemals Nieren– oder Leberprobleme hatten, an Lungenkrebs erkrankt waren oder schwanger sind beziehungsweise stillen. Häufige Nebenwirkungen sind niedriger Blutzucker, Husten und Halsentzündungen. Extrem niedriger Blutzucker kann fatal sein."
Bei solchen Nebenwirkungen wäre es natürlich interessant zu wissen, wie viele Diabetes-Patienten das Medikament benutzen und wie sie damit zurechtkommen. Entsprechende Anfragen des Deutschlandfunks hat MannKind aber nicht beantwortet. Ende 2018 schickte die FDA der Firma einen Warnbrief, weil sie bei einem Facebook-Post nicht alle Risiken und Nebenwirkungen genannt hatte.
Zweifel an der Zukunftsfähigkeit des Medikaments
Der deutsche Diabetes-Experte Helmut Schatz jedenfalls hat inzwischen Zweifel, ob die tolle Idee vom inhalierbaren Insulin wirklich zukunftsträchtig ist. Denn zum einen müsse, um beim Inhalieren dieselbe Menge des Hormons in den Blutkreislauf zu bekommen wie beim Spritzen, die zehnfache Menge eingeatmet werden.
"Was passiert mit dem anderen Insulin, was Sie da haben? Ein Teil wird wahrscheinlich verschluckt werden und dann wird es im Darm abgebaut, ein Teil wird in den Körper aufgenommen, wird vielleicht in den Lungenbläschen oder in den Lymphknoten oder wo abgebaut."
Außerdem bleibt die Frage, ob das inhalierte Insulin langfristig Lungenkrebs verursachen könnte. Das Hormon ist schließlich ein Wachstumsfaktor und beschleunigt das Wachstum aller Zellen, also auch das von Krebszellen. Laut Finanzreport 2018 wurde dem Medikament in den USA eine deutliche Umsatzsteigerung bescheinigt; ein Kassenschlager ist es jedoch weiterhin nicht - und wird es wohl auch nicht werden, vermutet der Endokrinologe.
"Ich gebe dem Ganzen keine Zukunft mehr, denn die Systeme sind heute so elegant und man kann das Insulin durch die Spritzen ganz elegant applizieren. In Kürze wird wahrscheinlich auch das künstliche Pankreas kommen, das heißt ein kleines Kästchen, wo Insulin drinnen ist. Eine automatische Blutzuckermessung, die ist ja schon da, dass Sie ununterbrochen den Zucker messen können und dann brauchen Sie überhaupt nichts mehr zu tun und dann reguliert sich das System von selbst."
Will heißen: Dank Fortschritten in der Medizintechnik sieht es aktuell so aus, als wäre die Zukunft des inhalierbaren Insulins vorbei, bevor sie richtig begonnen hat.