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Tolle Idee! Was wurde daraus?
Kautschuk aus Löwenzahn

Die Idee stammt von Josef Stalin, die Nationalsozialisten stahlen sie - doch auch sie versuchten es vergeblich. Was damals misslang, wollen der Reifenhersteller Continental und ein Forschungsteam aus Münster nun gemeinsam schaffen: Gummi für die Reifenproduktion aus Russischem Löwenzahn gewinnen.

Von Tomma Schröder |
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Auf Versuchsflächen in Anklam wird erprobt, Kautschuk aus Russischem Löwenzahn zu gewinnen (www.imago-images.de)
Wirklich neu ist die Idee nicht. Genau genommen ist sie schon fast 100 Jahre alt und stammt aus einer Zeit, als es noch keinen synthetischen Kautschuk gab: "Im Prinzip ist das Josef Stalin gewesen, der damals gesagt hat: In dieser großen Sowjetunion gibt es alles, also Erdöl usw. und alle Rohstoffe, nur keinen Kautschuk. Er hat damals die Botaniker in diesem Land dann beauftragt damit, eine Pflanze zu finden, die auch Kautschuk produziert. Und daraufhin sind die dann losgelaufen und haben in den verschiedensten Ecken der Sowjetunion gesucht."
Im heutigen Kasachstan, im Tian-Shan-Gebirge, fanden die Forscher schließlich den Russischen Löwenzahn, berichtet Dirk Prüfer, Biologe an der Universität Münster. Die Pflanze sieht dem hier heimischen Löwenzahn recht ähnlich, produziert aber viel größere Mengen Kautschuk in ihren Wurzeln.

Unabhängig von fernen Kautschukplantagen

Doch noch bevor es mit dem sowjetischen Kautschukprojekt so richtig vorangehen konnte, kamen die Nationalsozialisten, nahmen Forschung und teilweise auch Forscher als Kriegsbeute mit nach Deutschland und hofften ihrerseits, sich von fernen und umkämpften Kautschukplantagen unabhängig machen zu können.
"Es war nicht erfolgreich, definitiv nicht. Die haben also sehr viel Arbeit investieren müssen, um Kautschuk zu produzieren. Und auch nur in Mengen, die haben sich eigentlich nicht gelohnt haben - und es ist sicherlich geschuldet dem Stand der Technik damals, also was man machen konnte, Pflanzen so zu optimieren."

Der falsche Löwenzahn

Mit dem Ende des "Dritten Reiches" geriet die Idee in Vergessenheit. Bis Dirk Prüfer irgendwann eine Anfrage des Reifenherstellers Continental bekam, ob man die Sache mit dem Löwenzahnkautschuk nicht noch einmal gemeinsam ausprobieren wolle. Der Biologe war begeistert, besorgte sich kurzerhand Russischen Löwenzahn aus verschiedenen Botanischen Gärten und legte los. Doch auch er erzielte zunächst nur magere Ergebnisse:
"Und dann haben wir einen Partner gehabt an der Uni in Prag, und das ist ein absoluter Spezialist, was so Klassifizierungen angeht. Der hat sich das mal angeguckt und hat gesagt: Das ist kein Russischer Löwenzahn. Also das Resultat ist: An allen Botanischen Gärten ist das falsche abgelegt worden, halt, gell."
Und so fuhr der Prager Kollege dann ins Tian-Shan-Gebirge und besorgte den Münsteranern den richtigen Rohstoff: Echten Russischen Löwenzahn.
"So, das ist jetzt eine Kammer, wo wir den Russischen Löwenzahn drin stehen haben. Wenn man den einheimischen Löwenzahn sieht, dann hat man meistens immer so ein, zwei sehr große Blüten. Ja, und hier sieht man, da ist eine große Menge an kleineren Blüten und wenn man jetzt noch Botaniker dann richtig ist, dann sieht man ja so kleine Hörnchen unten dran. Diese da."
Für die Kautschukausbeute viel interessanter ist allerdings etwas, was man so gar nicht sieht: die Wurzel. Denn dort steckt der Kautschuk drin, erklärt Prüfer, während er einen Löwenzahn ausbuddelt, die Wurzel aufbricht und die weiße Flüssigkeit auf den Finger tropfen lässt: "Wenn man das jetzt verreibt, da kann man schon sehen, das zieht richtig Fäden. Und das würde man beim einheimischen nicht sehen. Das ist eben das weiße Gold, wie die Reifenindustrie immer sagt. "

Zwischen Cornflake und Kaugummi

"Man kann sich das vielleicht ein bisschen vorstellen wie Cornflakes, wenn die matschig sind. Sie sind dann aber halt eben elastischer als das ein Cornflake ist. Das wäre eher so wie ein Kaugummi von der Haptik her", sagte die Chemikerin Carla Recker. Sie tüftelt beim Reifenhersteller Continental daran, die weißgrauen, gummiartigen Klumpen weiterzuverarbeiten. Die entscheidende Frage für Continental lautet: Wie viel Kautschuk lässt sich so gewinnen? Einen Fahrradreifen aus Löwenzahngummi hat Continental schon im Sortiment. Aber reicht es auch für große Mengen an Auto- und Lkw-Reifen?
"Das ist immer so eine Frage, die kriege ich immer gestellt. Wie wollen Sie denn mit so einem Baum konkurrieren? Die gleiche Frage hab ich mir auch immer gestellt: Wie willst du da mal hinkommen? Ein Kautschukbaum, der produziert pro Jahr ungefähr 1,5 Kilogramm Kautschuk. Auf einem Hektar stehen 600 Bäume, ungefähr. Da kommt man so an die Tonne ran pro Hektar. Bei dem Löwenzahn pflanzen wir natürlich viel viel mehr Pflanzen aufs Feld und da redet man so um die 500 bis 600 000 Pflanzen pro Feld. Dann hat man dann auch diese Tonne, die man braucht, um kompetitiv zu bleiben."

Löwenzahn bis zum Horizont

Ganz so einfach ist es aber nicht, Löwenzahn-Kautschuk im großen Stil zu produzieren. Dirk Prüfer und seine Kollegen mussten schon einiges ausprobieren - dies mit jenem kreuzen, hier ein Gen einschleusen, dort eines ausschalten – bis eine Pflanze entstanden war, die auch auf minderwertigen Böden gedeiht und ordentlich Kautschuk produziert. Wobei gentechnisch veränderte Pflanzen nur für die Forschung und Analyse eingesetzt werden, wie Prüfer betont. Auf dem Feld landen ausschließlich Pflanzen, die aus klassischer Züchtung hervorgegangen sind. Und zwar auf riesigen Versuchsfeldern in Anklam, erklärt Carla Recker von Continental.
"Die Felder sind schon beeindruckend groß, gehen je nach Landschaftsbild auch bis zum Horizont. Und dann gibt‘s halt Maschinen, die wir auch entwickeln müssen, weil man sie nicht kaufen kann, wo dann hinterher die Ernte mit stattfindet oder auch die Pflege zwischendurch, die Aussaat."
Sowohl Continental als auch Prüfer sind zufrieden mit der Entwicklung: Die Ausbeute pro Hektar könne zukünftig durchaus mit den Kautschukbaum-Plantagen in den Tropen und Subtropen mithalten, sind die beiden sich sicher. Und die ersten Prototypen von Reifen für Autos und LKW sind längst hergestellt. Doch bis die großen Mengen für eine Serienproduktion zuverlässig produziert werden können, wird es noch ein wenig dauern. Ende des Jahrzehnts, meint Carla Recker, könne man damit rechnen.