Es ist der Mai im Jahr 2010 – Winter in den peruanischen Anden. Von Schnee und Eis ist in den letzten Jahrzehnten allerdings immer weniger zu sehen. Schätzungen zufolge sind bereits 40 Prozent der Andengletscher abgeschmolzen.
"Wissenschaftler denken, das wird nicht rückgängig zu machen sein. Wir sollen sitzen und nichts tun und uns daran gewöhnen ohne sie klar zu kommen."
Sagt Eduardo Gold in die Kamera eines der vielen Journalisten die ihn seit kurzem alle sprechen wollen.
"Ich lehne das ab. Ich ziehe es vor Experimente zu machen und etwas zu erfinden, dass uns Hoffnung gibt."
Weiße Farbe fördert den Albedo-Effekt
Wenige Monate zuvor hat der peruanische Erfinder eines der Stipendien gewonnen, die die Weltbank 2009 im Rahmen des Wettbewerbs "100 Ideen zur Rettung des Planeten" ausgelobt hatte. Seine Idee: Das Abschmelzen der Gletscher zu stoppen, indem man die Berge weiß streicht. Tatsächlich ist das nicht ganz so absurd wie es klingt.
"Ja es soll schon lokal möglicherweise funktionieren, weil es beeinflusst die Albedo."
Sonia Seneviratne ist Professorin für Land-Klima Dynamik an der ETH Zürich und Mitverfasserin des Sonderberichts des IPCC zum 1,5 Grad Ziel.
"Also Albedo ist eigentlich die Reflektivität vom Boden. Und wenn die Oberfläche heller ist dann heißt es, dass die solare Strahlung stärker reflektiert wird. Und das führt zu einer lokalen Kühlung. Und das wird eigentlich schon verwendet, zum Beispiel im Mittelmeerraum in Städten. Also die Häuser sind oft weiß gestrichen und es ist genau die gleiche Idee, dass es zu einer Kühlung führt."
In Sommern die vielerorts immer heißer werden, findet der Albedo-Effekt auch jenseits des Mittelmeeres in städtebaulichen Projekten Anwendung: Ob Dächer in New York, Straßen in Los Angeles oder Bahnschienen in Österreich - weiße Farbe gibt derzeit allem einen coolen Touch.
Kalk, Eiweiß, Zitrone und Wasser sollen die Berge abkühlen
Ein Computermodell aus der Gruppe von Sonia Seneviratne zeigt, dass der Albedo-Effekt auch in ländlichen Räumen positive Auswirkungen haben kann. Dabei kommt allerdings keine Farbe zum Einsatz, sondern spezielle Aussaat und Erntetechniken.
In Ökosystemen wie dem Gebirge sind die Auswirkungen des Effektes bisher allerdings nicht untersucht. 2010 beginnt Eduardo Gold den Gipfel des Chalon Sombrero mit einer Mischung aus Kalk, Eiweiß, Zitrone und Wasser zu weißeln. Unterstützt wird er dabei von der lokalen Regierung der Region Ayacucho und freiwilligen Helfern aus dem benachbarten Andendorf Licapa.
Neun Jahre später im Juli 2019. Wieder ist es Winter in den peruanischen Anden. Das kleine Dorf liegt ziemlich ab vom Schuss, die Telefonleitung ist dementsprechend miserabel.
"Hola Senior Carlos? Diga me? Hola? Senior Carlos…."
Carlos Altamirano ist einer der lokalen Unterstützer des Projektes. Er hat die Streichaktion 2010 maßgeblich mitorganisiert.
25 Grad Temperaturunterschied
"Als wir anfingen war der Berg so gut wie schneefrei. Wir haben es geschafft, etwa 20 Hektar mit weißer Farbe zu bedecken. Wir haben dann die Temperaturunterschiede gemessen und auf den dunklen Steinen waren es fast 30 Grad Celsius, auf den weiß gestrichenen fünf. 25 Grad Unterschied."
Videoaufnahmen vom März 2011 zeigen deutlich mehr Schnee auf dem Berg als im Jahr zuvor. Aber schon bald stellt sich heraus: Die Kalk-Farbe ist nicht witterungsbeständig. Eine neue Farbrezeptur muss her. Aber dazu kommt es nicht mehr. Der peruanische Umweltminister war von Anfang an gegen die Streichaktion und legt Steine in den Weg, wo er kann. Auch die Weltbank hat Bedenken bekommen: Der Effekt auf das Ökosystem ist nicht wissenschaftlich untersucht. Die Auszahlung des Preisgeldes soll erst stattfinden, wenn eine entsprechende Studie durchgeführt wurde. Dafür fehlen aber die finanziellen Mittel. Eduardo Gold und seine Unterstützer versuchen daraufhin auch ohne das Geld der Weltbank weiter zu kommen.
Ein langfristiger Erfolg des Projektes sei durchaus denkbar, meint Sonia Seneviratne – wenn es auch keine Lösung für das grundsätzliche Problem ist, den Klimawandel.
"Man muss gut schauen ob es keine Nebenwirkungen hat, die möglicherweise gefährlich werden. Das ist natürlich schon ein Problem. Aber das ist schon eine mögliche Lösung, denke ich mal. Auf lokaler bis regionaler Skala, nicht mehr als das. - Ich würde sagen: Ja, warum nicht? Aber die Priorität ist wirklich, CO2 Emissionen zu reduzieren und auf null zu bringen. Also das ist das Allerwichtigste, aber das liegt nicht in den Händen von jeder Person, das zu beeinflussen."
Im November 2014 stirbt Eduardo Gold für alle unerwartet. Die Farbe am Gipfel des Chalon Sombrero ist schon lange von den Steinen gewaschen. In diesem Winter von 2019 sieht man von Licapa aus wieder nur sehr wenig Schnee. Aber viele in der Umgebung denken, das wird sich wieder ändern.
Projekt soll wieder aufleben
"Vor 50 Jahren waren die Berge rundherum weiß. Seitdem die Gletscher schmelzen hat sich vieles verändert. Der Boden speichert das Wasser nicht, es gibt kein Futter für die Tiere. Andere Landwirtschaft kann man auf dieser Höhe schlecht betreiben. Es gibt hier nichts mehr von dem man leben kann. Die Leute sind weggezogen. Aber das Projekt hat die Hoffnung auf Rückkehr geweckt."
Carlos Altamirano sucht nach Möglichkeiten um das Projekt wieder aufleben zu lassen. Eine Vision, die viele der ehemaligen Helfer Eduardo Golds teilen.
"Es wird nicht besser wenn wir jammern. Ich halte mich an das was Eduardo gesagt hat: Ich bringe lieber ein Projekt voran."