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Tolle Idee! Was wurde daraus?
Niederlande: Millionen Kubikmeter Sand gegen Überflutung

Viele Urlaubsstrände der Welt werden immer wieder mit Sand vom Meeresgrund aufgefüllt. Aus touristischen Gründen, aber auch, um die Küsten zu stärken. In den Niederlanden hatte ein Team die Idee, diese Transporte bei Den Haag durch eine künstliche Sandbank zumindest zeitweise überflüssig zu machen.

Andrea Hoferichter |
Der Strand von Scheveningen
Mit einem Forschungsprojekt soll der Strand in den Niederlanden besser vor Erosion geschützt werden. (dpa/picture alliance/Zoonar/Lars Fortuin)
Zehn Jahre ist das inzwischen her. Nicht Saugbagger, sondern Gezeiten, Wind und Wellen sollen seitdem für den nötigen Sedimentnachschub sorgen, zudem die Artenvielfalt vor Ort erhöhen und den Strand attraktiver machen.
Das Thema Küstenerosion ist in den Niederlanden ein größeres Thema, erklärt Stefan Aarninkhof von der TU in Delft, eine Stadt direkt bei Den Haag: "Weil die Niederlande ohnehin schon unterhalb des Meeresspiegels liegen. Und irgendwann würden wir bei einem starken Sturm schlicht überflutet werden, weil dann die Dünen nicht mehr halten und so weiter." Wellen, Wind und Gezeiten nagen an den Küsten, nehmen mehr Sediment mit, als sie wieder eintragen. Ohne Gegenmaßnahmen würde das Küstenvorland also regelrecht wegbröckeln.

Kraft der Natur statt ständige Eingriffe

Früher sah das bei Den Haag so aus: Sogenannte Saugbagger brachten alle drei bis vier Jahre neuen Sand an die Strände. Mehrere Kilometer vor der Küste saugen diese Schiffe mit einer Art Rüssel Sediment aus dem Meeresgrund und laden ihn am Strand wieder ab. Das ist allerdings aufwändig und jedes Mal ein Eingriff in die Natur.
Das Team um Aarninkhof suchte nach einer anderen Lösung: "Vor zehn Jahren kam eine neue Idee ins Spiel. Regierungsvertreter und Wissenschaftler haben gesagt: ‚Hej, anstatt die Küste alle paar Jahre mit Sand zu füttern, wie wir es nennen, können wir auch eine große Menge Sand, 20 Millionen Kubikmeter Sand, auf einmal an einen Ort vor der Küste bringen und dann die Kraft der Natur nutzen, die Gezeiten und die Wellen, um den Sand an der Küste zu verteilen. Und das passiert gerade."
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Künstliche Sandbank inwischen mit Ablegern

Die künstliche Sandbank verändert sich seither ständig. Sie ist von einem Kilometer Entfernung auf 500 Meter an die Küste herangerückt. An einer Seite hat sie sich mit dem Festland verbunden und eine Art Lagune geformt. Und am Strand landeinwärts haben sich an Dünengrasbüscheln sogenannte Embryonaldünen gebildet, die nun stetig wachsen. Immer wieder prüfen die Forschenden um Stefan Aarninkhof, ob der Sandtransport so funktioniert, wie sie es in einem Modell vorhergesagt haben. "Das Pilotprojekt soll uns helfen, die Prinzipen des Sandmotors zu verstehen, damit wir diesen Lösungsansatz auch auf andere Regionen der Welt übertragen können."

Pilotprojekt: Muscheln können Problem sein

Das Team misst mit Echoloten, Kameras, Radar und Laserscannern akribisch Höhenänderungen, sowohl unter Wasser, als auch am Strand und in den Dünen. Und es hat schon Überraschendes festgestellt, zum Beispiel dass der Sandtransport in Richtung Dünen anfangs stockte. Der Grund: Mit dem neuen Sand wurden auch viele kleine Muscheln an den Strand gespült, so Aarninkhof. "Wenn der Wind weht, bläst er den Sand zwischen den kleinen Muscheln weg. Was dann zurückbleibt, ist eine Schicht aus Muschelschalen, die Teile des Strands bedecken und dadurch den Sedimenttransport bremsen. Mittlerweile nimmt der Transport aber Fahrt auf."

Keine Lösung für alle Küsten

Insgesamt ist das Team der TU Delft mit dem Halbzeitergebnis zufrieden. Der Sandmotor kann wie erwartet einen Meeresspiegelanstieg von drei Millimetern im Jahr ausgleichen. Außerdem wurden neu zugezogene Tierarten in der Lagune gesichtet, neue Dünen und Gräser und auch mehr Menschen am Strand als vorher. Die Akzeptanz sei jetzt da, sagt Stefan Aarrnikhof. Die Methode sei wirtschaftlich konkurrenzfähig, eigne sich aber nicht für jede Küste. "Der Sandmotor ist nicht die perfekte Lösung für alles. Es kann sehr gut funktionieren unter der Voraussetzung, dass eine wissenschaftliche Begleitung vor Ort ist, dass Wellen und Gezeiten stimmen. Und vor allem ist viel Platz erforderlich. Wenn ein Sturm reinkommt, erodiert die Küste und die Wellen bringen den Sand wieder zurück. Man braucht also eine Art Atmungsabstand zur Küste, um starke Stürme zu absorbieren und dann wieder zu wachsen."

Vorbild zum Beispiel für Sylt?

Großbritannien hat das Prinzip des Sandmotors schon kopiert, wenngleich in deutlich kleinerem Maßstab. Auch die Insel Sylt und viele andere Regionen mit sandigen Küsten wären geeignet, sagt Stefan Aarninkhof. Sein Appell in Hinblick auf den Klimawandel und künftig noch stärker steigende Meerespegel: Wo immer es geht, solche Schutzmaßnahmen möglichst schon jetzt ausprobieren. "Wenn man die Küste mit Sand verstärkt, kann man fast nichts falsch machen. Weil: irgendwann braucht man ihn dort sowieso."