Das Umspannwerk Herkules in Essen, ein Bau, der aussieht wie ein Bunker. Frank Merschel hat eine Kappe von einem Rohr abgeschraubt. Es führt zu einem zehn Meter hohen Tank:
"Hier wird per Lkw alle zwei bis drei Wochen der flüssige Stickstoff angeliefert und in den Tank gepumpt. Da sind etwa 30 Tonnen Stickstoff in diesem Tank."
Der Stickstoff ist minus 200 Grad Celsius kalt und fungiert als Kühlmittel für ein besonderes Kabel: Es basiert auf einer Spezialkeramik und ist supraleitend, kann also Strom ohne jeden Widerstand leiten – vorausgesetzt es ist minus 200 Grad kalt. AmpaCity, so heißt das 13,5 Millionen Euro teure Projekt. Und Frank Merschel vom Netzbetreiber Innogy ist der Projektleiter:
"Von hier, von der Umspannanlage Herkules, das ist ein alter Zechenname, geht es etwa 1.000 Meter durch den Essener Untergrund zur Umspannanlage Dellbrügge in der Essener Fußgängerzone."
Früher ging der Strom zwischen Herkules und Dellbrügge durch eine 110-Kilovolt-Leitung. Beim supraleitenden Kabel reicht eine Spannung von 10 Kilovolt, um genauso viel Strom zu transportieren. Der Vorteil: Das spart Platz. Ein Umspannwerk für 110 Kilovolt ist groß wie eine Turnhalle. Für 10 Kilovolt genügt eine Doppelgarage.
Jetzt schließt Merschel eine Tür zu einem der Räume im Umspannwerk auf. Was da brummt und rauscht ist die Kühlanlage. Sie pumpt den flüssigen Stickstoff durch das Kabel. Es steckt in einer Röhre etwas dicker als ein Ofenrohr:
"Man kann es ohne weiteres anfassen. Es hat Umgebungstemperatur."
Ein Zeichen, dass die Wärmeisolierung funktioniert. Die Röhre ist eine Art Thermoskanne. Innen drin steckt das 15 Zentimeter dicke stromleitende Kabel, umspült von Flüssigstickstoff. Es setzt sich aus mehreren Schichten zusammen, darunter der Supraleiter – eine Keramik, eingebettet in Silberdraht. 40 Megawatt an Leistung gehen durch das Kabel in die Essener Innenstadt, sagt Merschel:
"Da hängen Kunden dran wie Kaufhäuser oder Rechenzentren von großen Banken."
Supraleitendes Kabel vorm Durchbrennen geschützt
Vor viereinhalb Jahren ging das tiefgekühlte Kabel in Betrieb – das weltweit erste im Dauereinsatz in einem öffentlichen Netz. Wie hat es sich bewährt?
"Wir haben die Anlage wirklich sehr gut im Griff, muss man sagen."
Um das Kabel gründlich zu testen, traktierten es die Fachleute mit Kurzschluss-Strömen und Kühlungsausfällen: "Dabei kam eine weitere Komponente zum Einsatz, nämlich der supraleitende Kurzschluss-Strombegrenzer."
Ein Schaltschrank und drei mannshohe Tonnen, eine Sicherung im XXL-Format:
"Sehr große Ströme von einigen 10.000 Ampere begrenzt dieser Kurzschluss-Strombegrenzer in wenigen Millisekunden."
Und schützt so das Kabel vorm Durchbrennen: "Das hat funktioniert. Auch im Fehlerfall bleibt die Anlage intakt und ist nach wenigen Sekunden wieder zuschaltbereit."
Kühlmittel verursachen Kosten
Doch es zeigten sich auch Schwächen: So sind die Anschlüsse des supraleitenden Kabels nicht gut genug abgedichtet, wodurch relativ viel Stickstoff entfleucht. Ein Kostenfaktor, aber ein Mangel, der sich bei künftigen Anlagen wohl recht einfach beheben ließe. Technisch gesehen funktioniert das supraleitende Kabel also, meint Merschel. Aber:
"Entscheidend natürlich ist der Nachweis der wirtschaftlichen Machbarkeit."
Und die sollen nun weitere Projekte zeigen. So will Chicago ein supraleitendes Ringkabel verlegen. Auch in deutschen Städten laufen Planungen, darunter auch wieder in Essen. Während es bei diesen Projekten darum geht, in Innenstädten große Umspannwerke durch kleine zu ersetzen, denken andere Forscherteams schon weiter:
"Auf lange Sicht wären supraleitende Kabel bestens dazu geeignet, große Strommengen über weite Distanzen zu übertragen."
Adela Marian arbeitet am IASS in Potsdam, einem Institut, das sich mit Nachhaltigkeitsforschung befasst. In einem EU-Projekt namens Best Path haben Marian und ihre Kollegen ein supraleitendes Kabel entwickelt, das sozusagen für die Langstrecke taugt:
"Es besteht aus einer Verbindung aus Magnesium und Bor, also zwei häufigen Elementen. Anders als viele andere Supraleiter lässt es sich relativ einfach und in verlässlicher Qualität industriell herstellen."
Helium teurer als Stickstoff
Der Nachteil: Das Kabel muss auf unter minus 250 Grad Celsius gekühlt werden. Dazu verwenden die Fachleute Helium, und das ist deutlich teurer als Stickstoff. 30 Meter lang war der Prototyp, und als ihn die Forscher in Hannover sowie am CERN in Genf testeten, schafften sie einen Rekord. Das Kabel konnte eine Leistung von 3,2 Gigawatt transportieren, 80 Mal soviel wie AmpaCity in Essen. Ein eindrucksvolles Resultat. Aber die Nagelprobe steht noch aus:
"Man müsste es in ein reales Stromnetz integrieren und dort eine Weile ausprobieren. Dadurch könnte man es gründlich durchchecken und den Betreibern die Gewissheit geben, dass sich das supraleitende Kabel verhält wie geplant."
Doch so ein Feldtest ist teuer. Und deshalb hofft Adela Marian, dass die Firmen, die das Rekordkabel im Rahmen des EU-Projekts mitentwickelt haben, sich auch in Zukunft weiter engagieren.