Hans-Joachim Arnold hat viele Jahre lang die Glaswerke Arnold in Remshalden geleitet und ist heute Vorsitzender des Aufsichtsrates der Firma.
"Ja, das ist eigentlich eine verrückte Geschichte. Ich bin zusammen gesessen mit einem Freund, einem Rechtsanwalt und der fragte mich, als sein Sohn Zivildienst machte beim Nabu: Warum fliegen Vögel gegen Glas und könnte man da nicht etwas machen? Und die Grundidee ist dann für uns gemeinsam entstanden auf einer Theorie, dass durch ein Spinnennetz normal kein Vogel durchfliegt und das Spinnennetz in einem bestimmten UV-Bereich, das reflektiert. Und dann sind wir ganz einfach rangegangen und haben versucht, mal so 40, 50 verschiedene Gläser zu beschichten, verschiedene Glastypen zu nehmen und haben mal geguckt, was da erfolgversprechend wäre."
Das Unternehmen in der Nähe von Stuttgart ließ diese Glasscheiben Anfang der 2000er Jahre in der Vogelwarte Radolfzell am Bodensee testen. Die Forscher schickten Vögel durch einen Tunnel, an dessen Ende zwei Glasscheiben waren; eine UV-beschichtete und eine normale. Die Tiere mussten sich für eine der beiden vermeintlichen Öffnungen entscheiden. Dünne Netze direkt vor den Scheiben verhinderten, dass sie sich dabei verletzen. Wolfgang Fiedler vom Max-Planck Institut für Verhaltensbiologie war an den Tests damals beteiligt.
"Bei diesem Aufbau war es so, dass wir wirklich mehr Vögel hatten, die sich entschieden hatten, auf die nicht markierte Scheibe zu fliegen. Das heißt, die haben wahrscheinlich irgendein Hindernis in der UV-markierten Scheibe gesehen. Und das wiederum heißt: Prinzipiell funktioniert diese Markierung."
UV-beschichtete Fenster werden kaum eingesetzt
Die Glaswerke Arnold haben die Scheiben danach weiter entwickelt und bieten heute UV-markiertes Vogelschutzglas an, das in solchen Tunneltests über 70 Prozent aller Vögel abschreckt. Es gibt mittlerweile auch andere Anbieter, die Glasscheiben mit UV-Beschichtung oder unsichtbare, aber im UV-Bereich reflektierende Vogelaufkleber anbieten. Trotzdem dümpelt der Markt für solche Produkte in Deutschland bis heute vor sich hin. UV-beschichtete Fenster kommen hier kaum zum Einsatz, obwohl sie nur etwa zehn Prozent teurer sind als normale. Wolfgang Fiedlers Vermutung nach liegt das daran, dass einige Vögel die UV-Beschichtungen unter bestimmten Bedingungen nicht erkennen und dann doch gegen die Scheibe prallen.
"Das heißt, es funktioniert nicht überall und in jeder Situation und immer. Und das hat leider, sagen wir mal, ein paar Hardliner unter den Vogelschützern dazu gebracht, zu sagen, das taugt gar nix. Und damit hat man praktisch das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Denn in der Realität sieht es jetzt so aus, dass viele Leute sich natürlich keine sichtbare Markierung an eine Scheibe kleben möchten. Und die UV-Lösung, die man wahrscheinlich leichter den Leuten schmackhaft machen könnte, die ist von vielen Naturschützern schlechtgeredet worden. Und dadurch haben wir jetzt nicht eine 50 Prozent-Vermeidung oder so was, sondern eine Nullprozent-Vermeidung. Und das finde ich persönlich kein bisschen besser."
Wichtiger Markt für den deutschen Anbieter: die USA
Große Glasflächen in direkter Nähe von Vogelschutzgebieten müssten natürlich weiterhin mit sichtbaren Markierungen versehen werden, die wesentlich höhere Wirkungsgrade haben, sagt der Biologe. Aber für viele andere Glasflächen seien die unsichtbaren UV-Beschichtungen ein guter Kompromiss. Das sieht die Vogelschutzorganisation American Bird Conservancy ähnlich. Sie testet regelmäßig Glasmarkierungen und zeichnet Gläser, die mehr als 70 Prozent aller Anflüge verhindern, mit dem Prädikat Vogelschutzglas aus. Unter anderem die Ornilux Mikado Scheiben der Firma Arnold Glas aus Remshalden.
"Also unser Hauptmarkt ist die USA. Das liegt aber daran, weil der Vogelschutz in den USA überraschenderweise viel, viel weiter verbreitet ist. Und da gibt es jetzt schon verschiedene größere Städte, wo man den Vogelschutz berücksichtigen muss: San Francisco, Los Angeles und seit Dezember New York."
Ab dem kommenden Jahr müssen an allen neuen Gebäuden in New York bis in 25 Meter Höhe Vogelschutzgläser verbaut werden. Dafür dürfen sowohl sichtbare Markierungen als auch UV-Markierungen genutzt werden. Hauptsache, sie verhindern 70 Prozent der Anflüge.
Unklare Definition von "Vogelschutzglas"
"In Deutschland haben wir da noch keine klare Richtlinie. Da orientiert man sich am europäischen Ausland. Aber es gibt keine Gesetzesvorlage oder da gibt es auch keine klare Anweisung, wie das zu handhaben ist."
Es fehle in Deutschland sowohl eine klare Definition, ab welchem Wirkungsgrad ein Glas als Vogelschutzglas verkauft werden darf, als auch eine klare Regelung, wo Vogelschutzglas verbaut werden muss, sagt auch Wolfgang Fiedler vom Max Planck Institut in Radolfzell.
"Also ich denke, das Erste wäre, dass sich die großen Naturschutzverbände wieder hinter die Idee stellen sollten und sagen: Also wir entwickeln da noch mal weiter. Irgendwo wird es da für viele Fälle eine Lösung geben, die uns allen hilft. Viele machen das auch schon. Aber generell wäre es schön, wenn die UV-Scheiben wieder einen besseren Ruf kriegen würden. Und dann ist natürlich klar: Die Erforschung dieser Scheiben muss auch weiter gehen, weil es offensichtlich einen großen Unterschied macht, ob man jetzt horizontale oder vertikale oder dicke oder dünne Muster anbringt - oder eher so ein spinnwebenartiges Gebilde. All das hat völlig unterschiedliche Wirkungen auf die Vögel."
All das wäre nötig für Glasscheiben, die gleichzeitig Vögel schützen und Menschen freie Sicht bieten.