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Tolle Idee! Was wurde draus?
Etiketten als Frische-Indikator

In regelmäßigen Abständen schockieren Nachrichten über Lebensmittel, die nicht mehr zum Verzehr geeignet sind und trotzdem auf dem Teller landen. Es reicht schon, wenn einmal nicht richtig gekühlt wurde. 2006 haben Forscher in Bremerhaven begonnen, intelligente Etiketten zu entwickeln, die Unterbrechungen der Kühlkette sichtbar machen.

Von Anneke Meyer |
    Vom Technologie Transfer Zentrum, kurz TTZ, in Bremerhaven entwickeltes Frischelabel
    Lebensmittel können noch vor dem Verfallsdatum schlecht werden, wenn die Kühlkette unterbrochen wurde. (Deutschlandfunk / Anneke Meyer)
    Gefrierschrank auf. Gefrierschrank zu. Zwei Handgriffe, ohne die bei Marie Shrestha eigentlich kein Experiment auskommt. Am Technologie Transfer Zentrum, kurz TTZ, in Bremerhaven forscht die Wissenschaftlerin an Methoden zur Verbesserung der Lebensmittelsicherheit.
    "Also das ist ein ganz einfaches, selbstklebendes Etikett, das der Produzent dann auf die Lebensmittelverpackung aufkleben würde. Ich mach es jetzt von Hand, aber in der Industrie würde das natürlich maschinell gemacht."
    Sie greift einen der vielen bunten Aufkleber, die neben ihr auf einem Tisch liegen: Ein Pfeil deutet in einen Kreis. "Check Point" steht drum herum geschrieben. Die Farbe innerhalb des Kreises verrät etwas, das man normalerweise nicht sehen kann:

    "Das Etikett reagiert mit der Zeit und der Temperatur, um zu zeigen, dass das Produkt bei falscher Lagerung oder bei zu langer Lagerung, bei zu warmer Lagerung dann schlecht wird. Das sind Etiketten, die grün sind, wenn das Produkt noch einwandfrei ist und sie verfärben sich zum orange, beziehungsweise zum rot dann, wenn das Produkt schlecht wird. Ganz einfach. So wie eine Ampel."
    Eine tolle – aber nicht ganz neue Idee. Schon seit den 1930er-Jahren beschäftigen sich Wissenschaftler mit solchen intelligenten Etiketten. Allerdings waren die Indikatoren lange zu unzuverlässig und zu teuer, um als Frischesiegel für Lebensmittel in Frage zu kommen. Seit 2006 haben Forscher am TTZ in einer Reihe von Projekten mit internationalen Partnern daran gearbeitet, das zu ändern.
    Noch immer nicht im Supermarkt gelandet
    Marie Shrestha hat seitdem viele hundert Male ihren Laborgefrierschrank auf und zu gemacht, um die Frischelabel für tiefgekühltes Hähnchen, Fisch oder Gemüse zu testen. Die schlauen Etiketten haben auch außerhalb des Labors eine Reihe von Praxistests bestanden. Eine internationale Marktforschungsstudie zeigte 2014, dass Kunden von der Idee begeistert sind. Im Supermarkt sucht man dennoch vergebens nach den farbigen Kühlketten-Wächtern.
    "Die Technologie an und für sich, die Etiketten funktionieren. Die zeigen an, was sie sollen und insofern könnte man es sofort draufkleben und verwenden."
    Dass das in Deutschland bisher nicht passiert, hat vor allem mit dem zu tun, was die Etiketten nicht können. Marie Shrestha nimmt einen neuen Aufkleber. Sein "Check-Point"-Kreis ist farblos. Vorsichtig fährt sie mit dem Finger über die Plastikfolie.
    "Wenn Sie drauf fühlen, fühlen Sie zwei kleine Kissen. Und wenn man darauf drückt, bricht dieser Bund der dazwischen ist. Und jetzt ist es auf einmal grün, was zeigt, dass letztendlich das Ganze aktiviert wurde."
    Das leichte Knacken verbindet die beiden flüssigkeitsgefüllten Kissen und setzt eine enzymatische Reaktion in Gang. Andere intelligente Etiketten funktionieren mit temperaturempfindlichen Spezialtinten, Mikrokristallen oder Folien. Egal welche Technologie zum Einsatz kommt: Einmal aktiviert tickt die Reaktionskinetik. Was sie allerdings nicht verrät, ist zu welchem Zeitpunkt das Produkt versehentlich aufgetaut ist: Nach der Herstellung, beim Transport oder im Supermarkt. Bei der Frage, wer im Ernstfall den Schwarzen Peter zugeschoben bekäme, helfen sie also nicht weiter.
    "Die Produzenten sehen dann die Schwierigkeiten: Wer ist verantwortlich für die teilweise schlechte Ware? Beziehungsweise müsste ich als Produzent dann für alles bezahlen? Das ist dann natürlich die Frage, die offen bleibt, und dadurch bleiben die Lebensmittelproduzenten auch leider skeptisch."
    Die RFID-basierte Frischesiegel sind noch zu teuer
    Mithilfe sogenannter RFID-Tags wäre es durchaus möglich die Temperatur- Indikatoren mit einer zusätzlichen Zeitanzeige zu versehen. Entsprechende Kühletiketten sind seit kurzem auch in Europa auf dem Markt. Um sie zu nutzen, müssen Logistikunternehmen und Vertriebe aber eine entsprechende Infrastruktur zur Warenüberwachung einrichten. Das erhöht den Preis und rechnet sich derzeit erst ab einem Warenwert von circa fünf Euro. Für Tiefkühlgemüse und Fisch vom Discounter sind RFID-basierte Frischesiegel also schlicht zu teuer.
    Die reinen Temperaturanzeiger mit denen Marie Shrestha arbeitet, wären zwar billig genug für den Gemüse-Qualitätscheck, aber neben den Herstellern haben auch die Händler Vorbehalte:
    "Wenn man in den Supermarkt geht, guckt man, wo das längste Haltbarkeitsdatum auf dem Produkt steht. Das Gleiche würde natürlich mit Etiketten passieren. Ich würde das Produkt mit dem grünsten Etikett nehmen und eventuell das orange oder die gelblichen noch stehen lassen. Das Produkt mit dem gelben Etikett wäre nicht schlecht. Es wäre nur nicht so gut wie das grüne - das würde natürlich zu mehr Lebensmittelabfall führen. Was auch nicht gewollt ist. Und ich denke, das ist einer der Knackpunkte, warum die Etiketten noch nicht angewandt werden."
    Dass die Idee damit ad acta gelegt ist, glaubt Marie Shrestha allerdings nicht. In den USA sind intelligente Kühletiketten für besonders sensible Lebensmittel wie Meeresfrüchte Pflicht. Aber auch in europäischen Ländern, wo es noch keine entsprechenden Vorschriften gibt, finden die Frischesiegel schon Anwendung – allerdings meist dort, wo der Weg zum Verbraucher um weniger Ecken führt. Etwa bei Cateringfirmen, bei Bordmahlzeiten im Flugzeug oder auch bei kühlpflichtigen Impfstoffen.
    "Also, das wird angewandt. Teilweise. Aber wie gesagt, für die breite Masse ist das noch schwierig."