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Tolle Idee!
Gigantische Stromspeicher: Zweites Leben für Kohlekraftwerke

Woher soll in Zukunft der Strom kommen, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint? Aus riesigen Speichern, so plant es die Fachwelt. Dabei könnten die Kernkomponenten ausgedienter Kohlekraftwerke eine Hauptrolle spielen.

Von Frank Grotelüschen | 11.10.2022
Sonnenblumen blühen in der Nähe vom Kohlekraftwerk Mehrum im Landkreis Peine.
Kohlekraftwerke könnten zu Speichern für erneuerbare Energien werden. (picture alliance/dpa)
Im Brennkessel im Inneren eines Kohlekraftwerks lodert ein Höllenfeuer, das um die 1400 Grad Celsius heiß ist. Pro Jahr blasen solche Kraftwerke etliche Millionen Tonnen CO2 in die Luft, weshalb in Deutschland ihre Tage gezählt sind.
Stefan Zunft vom Institut für Technische Thermodynamik am DLR in Stuttgart aber sagt: „Das, was an einem Kohlekraftwerk schädlich für die Umwelt ist, ist nur ein Teil des Kraftwerks, nämlich die Kohleverbrennung.“ Der Rest des Kraftwerks, der sogenannte Dampferzeuger sowie die Turbine und der Generator, ließe sich weiterverwenden – und zwar indem der Brennkessel gegen eine andere, klimaneutrale Wärmequelle ausgetauscht wird. Hier sei die Idee, mit erneuerbarem Strom Hochtemperatur-Wärme zu erzeugen. Das Temperaturniveau erlaube es, damit Dampf zu erzeugen und die Kohleverbrennung zu ersetzen, so Stefan Zunft.

Überschüssigen Wind- und Solarstrom in Wärme verwandeln, um ihn dann wieder in Strom rückzuverwandeln – das klingt nach einem Verlustgeschäft und ist es auch. Sinn ergeben würde es nur in Kombination mit einem riesigen Wärmespeicher, der immer dann gefüllt würde, wenn Sonne und Wind reichlich Strom liefern. Nachts und bei Flaute könnte die gespeicherte Wärme dann die Turbine des ehemaligen Kohlekraftwerks antreiben, Strom erzeugen und dadurch Versorgungsengpässe vermeiden.

Erster Riesenspeicher in Hamburg

Im August 2018 fehlen auf der Baustelle in Hamburg-Altenwerder nur noch die Kernkomponenten des Speichers. Das Gebäude ist so groß wie ein Mehrfamilienhaus. 1000 Tonnen Vulkangestein werden in dem wärmeisolierten Betonbunker landen – als Stromspeicher, sagt Hasan Özdem, Leiter des Projekts bei Siemens Gamesa: „Der Speicher funktioniert sehr einfach. Im Grunde nehmen wir Strom, wandeln das in Wärme um, speichern die Wärme und machen später aus der Wärme wieder Strom.“

Überschüssiger Windstrom treibt einen Heizlüfter an. Der pustet heiße Luft in die Steine und erwärmt sie auf 800 Grad Celsius. Um wieder an die Energie heranzukommen, bläst der Ventilator Kaltluft in den Speicher. Sie wird durch die Steine erhitzt, strömt in ein Nachbargebäude und erzeugt dort über eine Turbine Strom. 2019 begannen die Tests. Dem Betreiber zufolge verliefen sie technisch gesehen zwar erfolgreich. Dennoch stellte Siemens Gamesa Anfang 2022 das Projekt ein. Die Begründung: Zurzeit sei nicht vorstellbar, so einen Steinspeicher wirtschaftlich zu betreiben. Ein Rückschlag für das Konzept, Kohlekraftwerken ein zweites Leben einzuhauchen.

Alternative Pökelsalz

Auf dem Gelände des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln steht der Ingenieur Christian Odenthal auf einem acht Meter hohen Metallzylinder, der durch Edelstahlröhren mit mehreren Tanks verbunden ist. Sein Inhalt: flüssiges Salz, einige hundert Grad heiß. 
„Insgesamt haben wir hier 125 Tonnen Flüssigsalz gespeichert. Das ist ein Nitratsalz-Gemisch. Im Prinzip ist das eine Art Pökelsalz. Theoretisch könnte man das sogar essen oder eine Wurst damit konservieren. Dieses Salz bleibt immer im flüssigen Zustand und kann bis zu einer Temperatur von 560 Grad erhitzt werden. Auf diese Art und Weise können wir Wärme in dem Salz speichern.“, sagt Christian Odenthal.

TESIS heißt die Versuchsanlage, mit der Odenthal und seine Leute die Wärmespeicherung in großem Maßstab erproben und diversen Forschungsfragen nachgehen: Wie sieht es mit Korrosionsschäden aus? Und was ist mit erstarrenden Salzpfropfen, die sich bilden können, wenn die Temperatur unter den Schmelzpunkt bei etwa 260 Grad Celsius sinkt? Bisher seien die Erfahrungen recht gut, meint Odenthal.

„Wir gehen jetzt auf 560 Grad. Dort hat man natürlich schon sehr starke Temperaturunterschiede in den Komponenten, die auch starke Belastungen verursachten. Da haben wir einige Lerneffekte gehabt, die wir aber mittlerweile ganz gut in den Griff bekommen haben.“

Technologie ist nicht nur was für Kohlekraftwerke

In Spanien kommt die Technologie schon bei großen Solarthermie-Kraftwerken zum Einsatz, wo mit Spiegeln gebündeltes Sonnenlicht Wärme erzeugt. Dort speichert sie am Tag Hitze, um bei Nacht Strom zu liefern, wenn die Sonne nicht mehr scheint. Aber: Die Salze sind teuer, der Speicher droht unwirtschaftlich zu werden. Christian Odenthal verrät einen Trick, mit dem es die Fachleute versuchen: „Da ist die Idee hinter, diesen Speicher zusätzlich mit Steinen zu befüllen. Die können deutlich kostengünstiger sein als das flüssige Salz, würden einen Teil des Salzes ersetzen und dann selber die Wärme speichern, sodass man den Salzbedarf um bis zu 80 Prozent reduzieren könnte.“ 

Nur wenn solche Wärmespeicher im Megawattstunden-Maßstab preiswerter werden, dürfte sich ein zweites Leben für Kohlekraftwerke lohnen, meint auch Stefan Zunft vom DLR aus Stuttgart: „Es müssen vor allem Kosten gesenkt werden. Das ist gar keine Frage. Da sind wir auch auf einem guten Weg.“

Langfristig ließen sich Wärmepumpen einsetzen, damit könnten die Speicher effizienter aufgeheizt werden als bislang. Klar scheint: Die ehrgeizigen Klimaziele und die aktuelle Energiekrise haben offenbar Schwung in die Sache gebracht, sagt auch Stefan Zunft: „Es ist was in den Köpfen, es ist was im Gespräch. Es gibt bei uns auch Projekte, in denen wir uns weltweit anschauen, wie groß das Potenzial für den Umbau von Kohlekraftwerken ist. Wir dürfen unsere Sicht nicht nur auf Deutschland beschränken, sondern müssen weltweit schauen, wie das Potenzial ist.“

Chile etwa zeigt Interesse: Derzeit befeuert es seine Kohlekraftwerke mit teurer Importkohle, könnte deren Turbinen aber auch mit Wind- und Sonnenenergie betreiben. Denn die sind dort überaus günstig zu haben.