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Tolstoi am Burgtheater Wien
Scheinrealistisches Bauerntheater

Es geht um Einfluss, Geld und Sex: Tolstois "Die Macht der Finsternis" hat nach Inszenierungen an der Schaubühne und in Düsseldorf jetzt unter der Regie von Antu Romero Nunes den Weg ans Wiener Burgtheater gefunden. Doch trotz schöner Bilder und einem wunderbaren Ensemble - der Funke will nicht überspringen.

Von Hartmut Krug |
    Meterhoch stapeln sich Getreidesäcke zu einem Berg. Hoch oben steht der reiche, alte und todkranke Bauer Petr. Was er zwischen seinen langen Zottelhaaren hervorschimpft, schreit, hustet und rotzt, ist vor allem Wut. Johannes Krisch spielt Petr als einen Mann zwischen Machtbewusstsein und Hilflosigkeit. Der weiß: Alle warten auf seinen Tod und wollen sein Geld.
    "Er lebt noch. Es ist nicht zum aushalten. Leben tut er nicht und sterben tut er nicht."
    "Das Geld hat er keinem gegeben?"
    "Gerade hat er seine Schwester holen lassen. Er sagt, er stirbt heute. Er möchte ihr bestimmt das Geld geben."
    "Und wo ist es?"
    "Er sagt es nicht. Ich krieg es einfach nicht raus aus ihm. Vielleicht stopft er es mal da und mal dort hin. Oh, ich armes Weib, das bringt mich um."
    Zwischen Lust und Frust
    Petrs junge Frau Anisja hat ein Verhältnis mit seinem Knecht und lebt ihren Sexualtrieb exzessiv aus. Was auf dem Säckeberg in aller Offenheit und derben Wildheit passieren kann. So steckt man hier immer wieder alle möglichen Körperteile unter die lange wollene Unterwäsche des oder der anderen. Und Aenne Schwarz sendet als Anisja mit weit ausgestopftem Hinterteil sexuelle Wedel- und Wirkungszeichen.
    Oder sie huscht spinnenartig über den Berg, um ihrem Mann den mit Rattengift versehenen Tee zu bringen. Wunderbar, wie die Schauspielerin ihre zwischen Lust und Frust wandelnde Figur zeichnet.
    Tolstoi hatte seiner Verlobten vor der Verlobung seine Tagebücher zum Lesen gegeben, in denen er sich als Sexhungriger offenbarte. Und in der Unterzeile des Stücktitels zitiert er aus Matthäus V, in dem dieser vor dem Ansehen des Weibes als Begehren warnt.
    Wenig Psychologie, viel Groteskes
    Folgerichtig treiben Geld und Sex die Menschen im Stück um. Das sich als Läuterungsstück verstehen lässt, hatte sich doch Tolstoi 1877 in einer Sinnkrise zu einem Weltverbesserer mit sozial-christlicher Überzeugung gewandelt. Seine 1886 entstandene "Macht der Finsternis" erhielt dadurch eine anklagende Eindeutigkeit, die eher mechanisch wirkt.
    Michael Thalheimer ließ das Stück im Jahr 2011 an der Schaubühne in vorzivilisatorischer Zeit in Tunnelgängen spielen, während es Sebastian Baumgarten 2012 in Düsseldorf in die Zeit nach der russischen Revolution verlegte.
    Regisseur Antu Romero Nunes dagegen belässt es in seiner Zeit und gibt zeitloses scheinrealistisches Bauerntheater. Natürlich malt er die Figuren nicht psychologisch aus, sondern übersteigert sie grotesk. Wenn Anisja von ihrem Geliebten Nikita schwärmt, dann ist Fabian Krügers erster Auftritt als Nikita ein komischer Kracher: Schmerbäuchig, sich schmuddelig an Bauch und Geschlecht kratzend, zappelt er zwischen Selbstzufriedenheit, Aggressivität und Hilflosigkeit.
    Auch wenn uns die Inszenierung weder berührt oder verstört, noch bewegt oder belehrt, unterhalten uns die merkwürdigen Figuren und ihre schlimmen Taten und Machtkämpfe, - trotz einiger Längen.
    Nunes baut schöne Bilder mit Volk, schwarzen Klagefrauen und osteuropäischer Musik. Und sein Ensemble ist wunderbar. Mavie Hörbiger gibt Petrs Tochter aus erster Ehe eine fröhliche Sehnsucht nach Sex und gutem Leben, während Ignaz Kirchner, mit Buckel und nasaler Aussprache, als Nikitas frommer Vater den auf ihm lastenden Druck wunderbar verdeutlicht. Kirsten Dene spielt Nikitas Mutter als über Leichen gehende kühle Strategin. Sie fordert Nikita zum Mord an einem Neugeborenen:
    "In was wollt ihr mich da rein ziehen? Was soll denn das heißen? Willst du dich drücken? Das ist eine lebendige Seele!"
    "Lebendige Seele. In seinem eigenen Haus kann man tun, was man will. Tu du nur, was ich dir sage. Los, nimm den Spaten und bring es hinter dich."
    Schuldig gebliebener Beweis
    Auch wenn die schlussendliche Läuterungsszene, in der Nikita seine Gottverlassenheit beklagt, noch einmal als großes, emotionales Wirkungstheater inszeniert ist: den Beweis, dass man dieses Stück inszenieren muss, ist uns Antu Romero Nunes braves Schauspieler- und Bildertheater schuldig geblieben.