Vielleicht muss man sich diesen Polizeikommissar Pontus Berg vorstellen wie Peter Falk in seiner Lebensrolle als Inspektor Columbo: Junggeselle, in einfachen Verhältnissen lebend, immer etwas verknautscht und melancholisch, aber im entscheidenden Augenblick überraschend präsent. Drei Jahrzehnte begeisterte dieser schräge Typ das amerikanische wie deutsche Fernsehpublikum. Nur ist dieser Pontus Berg in Tommy Wieringas Roman "Dies sind die Namen" nicht in Los Angeles in den 70er Jahren aktiv, sondern schiebt seinen Dienst in der fiktiven Stadt Michailopol, östlich der Karpaten, in den Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Der im Buch beiläufig erwähnte Atomregen deutet auf die Ukraine hin.
Dieser Pontus Berg ist 53 Jahre alt. Die beste Zeit liegt hinter ihm - und das in jeder Hinsicht. Er hat einen dauerhaft kalten Fuß und seit längerer Zeit ein Pfeifen im Ohr. Die Stadt, in der er lebt und in der er für Recht und Ordnung sorgen soll, verkommt immer mehr. Um nicht unterzugehen, beteiligt er sich wie seine Kollegen auch an der alles durchdringenden Korruption. Im Privaten aber führt er ein geregeltes Leben, schläft einmal im Monat mit seiner resoluten Haushälterin, belässt es bei vier Wodka am Abend und vertieft sich gern in die östliche Philosophie. Insbesondere Konfuzius hat es ihm angetan. Dessen Lehre von der menschlichen Ordnung beherzigt er nach der Devise "Wider die Verwahrlosung, das Abgleiten" und wider "einen elenden Tod".
Dieser Pontus Berg ist 53 Jahre alt. Die beste Zeit liegt hinter ihm - und das in jeder Hinsicht. Er hat einen dauerhaft kalten Fuß und seit längerer Zeit ein Pfeifen im Ohr. Die Stadt, in der er lebt und in der er für Recht und Ordnung sorgen soll, verkommt immer mehr. Um nicht unterzugehen, beteiligt er sich wie seine Kollegen auch an der alles durchdringenden Korruption. Im Privaten aber führt er ein geregeltes Leben, schläft einmal im Monat mit seiner resoluten Haushälterin, belässt es bei vier Wodka am Abend und vertieft sich gern in die östliche Philosophie. Insbesondere Konfuzius hat es ihm angetan. Dessen Lehre von der menschlichen Ordnung beherzigt er nach der Devise "Wider die Verwahrlosung, das Abgleiten" und wider "einen elenden Tod".
Zwei Erzählstränge: Ukrainischer Polizist und Flüchtlingsgruppe
Eine ganz andere Richtung nimmt das Leben von Pontus Berg, als er im Gespräch mit dem einzig in Michailopol verbliebenen Juden und Rabbiner seiner eigenen jüdischen Identität auf die Spur kommt. Ein abgründiger Wortwitz sorgt dafür, dass diese Erkundungen und Dialoge sich immer leicht auf der Kippe halten – haarscharf zwischen Melancholie und Absurdität. Pontus beginnt die losen Fäden seiner verschütteten Familiengeschichte zu verknüpfen und studiert die alten Schriften. Dabei ist seine nach Orientierung dürstende Seele tief berührt von den alttestamentarischen Bibel-Geschichten, insbesondere von der Auserwähltheit des jüdischen Volkes und ihrer 40jährigen Wanderung durch die Wüste.
Spätestens hier klärt sich das Bild und man beginnt als Leser zu begreifen, warum der niederländische Autor seinen Roman bis auf das letzte Drittel zweispurig angelegt hat. Denn der im Wechsel verlaufene zweite Erzählstrang erzählt zwar zunächst eine ganz andere Geschichte, untergründig aber deuten sich Korrespondenzen an: Eine Flüchtlingsgruppe schleppt sich durch eine endlose Steppe. Von Schleppern im Niemandsland ausgesetzt, sind es von ursprünglich 13 Menschen nur noch fünf, die durchhalten bis sie schließlich eine Stadt erreichen - Michailopol. Von dem sechsten, einem Schwarzen - auch er namenlos wie fast alle - tragen sie den abgeschnitten Kopf bei sich.
Spätestens hier klärt sich das Bild und man beginnt als Leser zu begreifen, warum der niederländische Autor seinen Roman bis auf das letzte Drittel zweispurig angelegt hat. Denn der im Wechsel verlaufene zweite Erzählstrang erzählt zwar zunächst eine ganz andere Geschichte, untergründig aber deuten sich Korrespondenzen an: Eine Flüchtlingsgruppe schleppt sich durch eine endlose Steppe. Von Schleppern im Niemandsland ausgesetzt, sind es von ursprünglich 13 Menschen nur noch fünf, die durchhalten bis sie schließlich eine Stadt erreichen - Michailopol. Von dem sechsten, einem Schwarzen - auch er namenlos wie fast alle - tragen sie den abgeschnitten Kopf bei sich.
Inspiration aus dem wahren Leben
Angeregt wurde Tommy Wieringa zu dieser Geschichte von einem Zeitungsartikel, der von einem Ereignis vor rund 14 Jahren in Osteuropa berichtete: "Die kasachische Polizei fand 24 armselige und total erschöpfte Menschen aus Sri Lanka. Sie waren vier Tage lang in der Steppe unterwegs gewesen. Bei sich trugen sie den Körper einer ihrer Gefährten, der an Kälte und Hunger gestorben war./ Und das war die zentrale Frage für mich: Warum verbrauchten sie den Rest ihrer Energie, die sie noch hatten, um einen der ihren, der gestorben war, mitzunehmen? Da ist ein Satz im Alten Testament, wo Joseph seinen Leuten in Ägypten ein Versprechen abnahm: "Wenn ihr einmal ausziehen werdet in das uns verheißende Land, nehmt meine Gebeine mit euch!" Und als die Juden Ägypten verließen, nahmen sie Josephs Gebeine mit sich. Ich dachte mir, das ist eine schöne Synthese zwischen der Nachricht aus der Tageszeitung und einer jahrhundertalten Geschichte."
Wieringa spielt also mit dem biblischen Motiv der Wüstenwanderung, um seine beiden Erzählstränge aufeinander zuzuführen. Nur konterkariert er diese theologische Ursprungsgeschichte des Judentums an entscheidender Stelle: Die Flüchtlinge haben den Schwarzen während ihres Irrwegs durch die Steppe erschlagen. Verroht, verwahrlost und auf niedere Instinkte zurückgeworfen, fürchten sie seine angeblich magischen Kräfte. Seinen abgeschnittenen Kopf aber deuten sie dann aus denselben Gründen um zu einem Heilsbringer. Für Pontus Beg, der die von den Einwohnern Michailopols gemiedenen Flüchtlinge verhört, vermischt sich die tragische und grausame Wucht ihres Exodus mit der eigenen Annäherung an eine neue, jüdische Identität.
Wieringa spielt also mit dem biblischen Motiv der Wüstenwanderung, um seine beiden Erzählstränge aufeinander zuzuführen. Nur konterkariert er diese theologische Ursprungsgeschichte des Judentums an entscheidender Stelle: Die Flüchtlinge haben den Schwarzen während ihres Irrwegs durch die Steppe erschlagen. Verroht, verwahrlost und auf niedere Instinkte zurückgeworfen, fürchten sie seine angeblich magischen Kräfte. Seinen abgeschnittenen Kopf aber deuten sie dann aus denselben Gründen um zu einem Heilsbringer. Für Pontus Beg, der die von den Einwohnern Michailopols gemiedenen Flüchtlinge verhört, vermischt sich die tragische und grausame Wucht ihres Exodus mit der eigenen Annäherung an eine neue, jüdische Identität.
Kein Beitrag zur Flüchtlingsdebatte
Wieringas Roman wurde in nicht wenigen Besprechungen euphorisch als Beitrag zur aktuellen Flüchtlingsdebatte gedeutet. Oder – die andere Variante - als einen Roman, der Religion zum identitätsstiftenden Merkmal menschlichen Seins erhebt. Beides trifft es nicht. Wenigstens nicht in dieser Engführung. Das Buch ist zum Glück komplexer. Schon der Erzählstil lässt keine Eindeutigkeit zu. Ständig changiert Wieringas launischer Erzähler zwischen spielerischer Lakonie und abgründigem Witz einerseits und harter, fast brutaler Verknappung andererseits. Und seine Protagonisten sind mal im Hier und Jetzt verortete Gestalten, dann wieder wirken sie wie Archetypen, die auf Überzeitliches verweisen.
Natürlich ist das Flüchtlingsdrama für Wieringa ein ganz wesentliches Element seiner Geschichte, aber eben in einem komplexeren Sinne. Außerdem recherchierte der Autor für seinen 2012 in den Niederlanden erschienenen Roman bereits zu einer Zeit, als Europa sich noch kaum von Flüchtlingsbewegungen ernsthaft tangiert fühlte, obwohl es deutliche Anzeichen dafür gab, dass sie näher rückten.
"Schon ab 2002 konnte man bereits früh sehen, was passieren wird: Diese furchtbare Situation auf Lampedusa. Berlusconi machte einen Deal mit Gaddafi, um sie zurückzuhalten. Und Gaddafi schickte diese Menschen in die Wüste, wo sie unter schrecklichen Umständen starben. So konnte man die heutige Flüchtlingssituation voraussehen", sagt Autor Wieringa.
Natürlich ist das Flüchtlingsdrama für Wieringa ein ganz wesentliches Element seiner Geschichte, aber eben in einem komplexeren Sinne. Außerdem recherchierte der Autor für seinen 2012 in den Niederlanden erschienenen Roman bereits zu einer Zeit, als Europa sich noch kaum von Flüchtlingsbewegungen ernsthaft tangiert fühlte, obwohl es deutliche Anzeichen dafür gab, dass sie näher rückten.
"Schon ab 2002 konnte man bereits früh sehen, was passieren wird: Diese furchtbare Situation auf Lampedusa. Berlusconi machte einen Deal mit Gaddafi, um sie zurückzuhalten. Und Gaddafi schickte diese Menschen in die Wüste, wo sie unter schrecklichen Umständen starben. So konnte man die heutige Flüchtlingssituation voraussehen", sagt Autor Wieringa.
Figuren suchen nach lebenswertem Heim
Vielleicht kann man es so sagen: Tommy Wieringa hat einen Roman geschrieben, der sich mit der fragilen menschlichen Existenz beschäftigt. Er stellt seine Figuren, ob er ein Flüchtling aus Afrika ist oder ein osteuropäischer Polizist, als Umherirrende dar, die im tatsächlichen oder im geistigen Sinne eine lebenswerte Heimstätte suchen. Sie dürsten nach Geschichten und Begründungen, in die sich einordnen oder neu verorten können. Der Hobby-Philosoph Pontus Berg sucht also nicht zuallererst nach religiöser Erlösung. Er will wissen, wer er ist, und wo sein Platz in der Welt sein könnte.
Tommy Wieringa hat gut daran getan, die Verknüpfung der beiden Erzählstränge nicht überzustrapazieren. Die Schicksale seiner Protagonisten berühren sich auf der Handlungsebene nur für kurze Zeit. Sie spiegeln sich eher in ihrer Suche und in den Mitteln, die sie als Wegweiser wählen. Aber wo genau ihre Schnittmenge ist, dafür bleibt in diesem lesenswerten Roman viel Raum.
Tommy Wieringa hat gut daran getan, die Verknüpfung der beiden Erzählstränge nicht überzustrapazieren. Die Schicksale seiner Protagonisten berühren sich auf der Handlungsebene nur für kurze Zeit. Sie spiegeln sich eher in ihrer Suche und in den Mitteln, die sie als Wegweiser wählen. Aber wo genau ihre Schnittmenge ist, dafür bleibt in diesem lesenswerten Roman viel Raum.
Tommy Wieringa: "Dies sind die Namen", Hanser Verlag, München 2016, 272 Seiten, 22 Euro