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Tor Ostfrieslands

Die Stadt Leer liegt im südlichen Ostfriesland und ihre Bewohner müssen sich nicht nur Ostfriesenwitze, sondern auch manchen Scherz über den Namen ihrer Stadt gefallen lassen. "Leer gibt nicht viel her" oder: "In Aurich ist es schaurig, in Leer noch viel mehr" und so weiter.

von Claudia Kalusky | 03.08.2008
    Das entspricht ganz und gar nicht der Realität, meint Claudia Kalusky, die Leer nicht nur als lebendige Stadt erlebte, sondern auch auf ein äußerst charmantes Städtchen mit zahlreichen historischen Gebäuden und maritimen Flair traf.

    Um es gleich vorweg zu nehmen: der Ostfriese an sich zeichnet sich nicht, wie viele vielleicht glauben mögen durch spröde, norddeutsche Zurückhaltung aus, nein, er ist ein sehr aufgeschlossener Mensch...

    "Die Ostfriesen sind früh auf See gegangen, das heißt, sie mussten sich anderen Menschen zuwenden."

    Und wenn sie an Land sind, die Ostfriesen, dann möglichst nie ohne Fahrrad.

    "Der Ostfriese wird geboren, lernt sprechen und er sitzt auf dem Fahrrad und glauben Sie ja nicht, dass er wieder absteigt."

    Barbara Völker muss es wissen; die gebürtige Ostfriesin führt Besucher durch die Altstadt von Leer – allerdings zu Fuß.

    Der schönste Weg dorthin führt über eine Holzklappbrücke, die sich bei Schiffsverkehr öffnet.
    Von hier trifft man unweigerlich auf das Rathaus, mit seinem hohen Turm, der Ende des 19. Jahrhunderts im Stil der Neorenaissance aus roten Klinkern erbaut wurde. Die Architektur hält dem Vergleich mit einem italienischen Palazzo durchaus stand. Wer den Rathausturm erklimmt, wird mit einem Rundblick auf die Stadt und ihre Umgebung belohnt. Direkt gegenüber dem Rathaus steht die historische "Waage", ein Gebäude, das 1712 im niederländischen Barock entstand.

    "Man hat hier die Waren gewogen. Wenn die Waren kamen, wie Tee, Kaffee
    dann mussten die Ware gewogen werden, was nicht verkauft wurde, wurde in Speichergebäuden untergebracht."

    Von diesen Speichergebäuden sind übrigens noch einige erhalten geblieben; viele originalgetreu restauriert. Jetzt befindet sich vor der historischen "Waage" ein Restaurant. Bei schönem Wetter kann der Gast auch draußen sitzen und den Blick auf den idyllischen Museumshafen genießen.

    "Direkt vor der Waage sieht man das Leda-Ufer, man sieht in der vorderen Reihe alte Schiffe liegen. Diese Schiffe sind hier auf ostfriesischen Flüssen und im nahen Wattenmeer und Nordsee gefahren. Normalerweise liegen sie hier fest, als Anschauungsobjekt. Der Hafen ist Tide unabhängig geworden, so ca. 1904. Vorher war es so, wenn Sturmfluten da waren hat hier das ganze Altstadtgebiet unter Wasser gestanden."

    Leer, auch das "Tor Ostfrieslands" genannt, ist eine maritime Stadt und das reizt nicht nur Touristen, sondern spielt auch eine weitere bedeutsame, wirtschaftliche Rolle.

    "Leer hat Bedeutung in den letzten Jahren bekommen: wir sind nach Hamburg der zweithöchste bereederte Standort in der Bundesrepublik. Das bedeutet, dass wir ca. 25 Reeder hier ansässig haben, die von hier aus ihre Geschäfte tätigen. Für uns wichtig, dass in den Büros wieder Arbeitsplätze angeboten werden für die Bevölkerung."

    In Leer befindet sich außerdem das Institut für Seefahrt, an dem Nautik, sowie Schiffs- und Reedereimanagement gelehrt werden.

    Unser Weg führt uns jetzt über die Uferpromenade. Es gibt einen Anleger für Ausflugsschiffe, die Tagestouren oder Hafenrundfahrten anbieten, hier haben auch einige Privatyachten ihre Liegeplätze. Auf einem ehemaligen Fabrikgelände, am gegenüberliegenden Ufer, stehen moderne Wohngebäude mit schicken Penthouseterrassen.

    "Das heißt jetzt "Wohnen am Wasser", da haben die Reeder auch sehr investiert, sie haben Immobilien hingesetzt, die eine ganz begehrte Nachfrage erhalten haben."

    Von der Promenade geht es hoch, in das Gassengewirr der Altstadt. Hier reihen sich schmale Häuschen aneinander; viele sind im niederländischen Renaissance- oder Barockstil erbaut. In manche Häuser sind kleine, originelle Läden, Kunsthandwerker oder Cafes eingezogen.

    "Es ist eng, heimelig, gemütlich."

    In einer der Gassen findet man das "Haus Samson". Unverkennbar an einer großen, goldenen Traube, die über der Eingangstür hängt, befindet sich hier eine der besten Weinhandlungen Norddeutschlands sowie ein kleines Museum, dass Einblicke in die Wohnkultur des 18 und 19. Jahrhunderts gewährt. Und natürlich gibt es im ostfriesischen Leer auch ein Teemuseum.
    "Morgens schon sehen, wer nachmittags zum Tee kommt", diese Redensart beschreibt die herbe Schönheit der nahen Umgebung, der so genannten Fehnlandschaft:

    Eine weite, flache Landschaft, kleine Ortschaften, von Kanälen durchschnitten und immer wieder die typischen Klappbrücken, Schleusen und Mühlen. Bei warmen Temperaturen bieten Badeseen die nötige Erfrischung.

    "Fehn bedeutet soviel wie Moor, mooriger Untergrund und man hat über Jahrhunderte diese Gebiete kolonisiert. Immer so, dass man in Nähe der Flüsse und Kanäle dazu gegraben hat, damit man entwässern konnte. Das ist ein schwieriger Prozess gewesen."

    Die "Deutsche Fehnroute" umfasst einen 163 Kilometer langen Rundweg; ideal für ausgedehnte Fahrradtouren ohne Steigungen, doch anstrengend genug, wenn der Gegenwind keine Gnade kennt. In den meisten Fehngemeinden gab es zahlreiche Werften und selbstständige Schiffer. Übrig geblieben ist die Papenburger Meyerwerft.

    Nur wenige Kilometer von Leer entfernt, werden hier imposante Kreuzfahrtschiffe der Luxusklasse für Kunden in der ganzen Welt gebaut. Und wenn etwa zwei bis dreimal im Jahr so ein Traumschiff ausdockt, um über die Ems in die Nordsee zu gelangen, dann versammeln sich tausende Schaulustige am Rande der Deiche.