Deutschland im Sommer 1945: Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs irren Millionen von Menschen durch das Land - auf dem Weg zu ihrem alten oder auf der Suche nach einem neuen Zuhause: Um diesen Menschenstrom zu kontrollieren, gründete die britische Besatzungsmacht im September 1945 das Grenzdurchgangslager Friedland.
"In diesem südlichsten Zipfel Niedersachsens befanden wir uns an der Schnittstelle von drei Besatzungszonen", erklärt Anna Haut, wissenschaftliche Leiterin des Museums Friedland. "Die britische, die amerikanische und die sowjetische Besatzungszone stießen hier aufeinander. Und in Friedland gab es zum einen einen Bahnhof mit intakten Gleisen, und es gab auch einen Ort tatsächlich, an dem man recht viele Menschen unterbringen konnte: Das war ein landwirtschaftliches Versuchsgut der Universität Göttingen. Das wurde also von der britischen Militärverwaltung beschlagnahmt, hergerichtet, die Ställe und Verwaltungsgebäude wurden aufbereitet, dann wurden auf dem Gelände außen Armeezelte aufgebaut und Nissenhütten, und am 20. September 1945 hieß es dann: Das Lager Friedland hat eröffnet."
Durchgangslager für Tausende täglich
Das Lager war auf 2.000 Menschen ausgelegt, so Anna Haut. Es wurde schnell zur Anlaufstelle für Vertriebene und Kriegsheimkehrer, aber auch für sogenannte Displaced Persons, Binnenflüchtlinge, die von den Nazis ihrer Heimat beraubt wurden. Sie alle wurden registriert, medizinisch untersucht und mit Essen versorgt - und dann schnellstmöglich weitergeleitet, sagt Anna Haut. "Es war eben ein Durchgangslager. Es war nicht darauf angelegt, dass die Leute hier längere Zeit wohnten, sondern die meisten blieben nur wenige Stunden, höchstens einen Tag, und wenn sie übernachteten, dann bloß eine Nacht. Also gerade in der Anfangszeit kamen 5.000 bis 7.000 Personen jeden einzelnen Tag durch Friedland durch."
Friedland als "Tor zur Freiheit"
So kurz die Zeit auch war, so stark waren und sind die Gefühle, die damit verbunden sind. Etwa für Rolf Zick. Der ehemalige Journalist wurde vor sechs Jahren nach seinen Erinnerungen an das Lager gefragt. "Friedland ist für mich immer noch einer der emotionalsten Plätze, die ich je erlebt habe. Denn wenn man nach drei Jahren Russlandkriegsgefangenschaft hier nach Hause kommt, als ein Mensch, der kein Mensch mehr war, nicht mal mehr eine Nummer war, und dann hier auf einmal empfangen wird als Mensch und zum ersten Mal nach Jahren wieder in die Freiheit kommt, dann ist Friedland so ein Ort, den man nie in seinem Leben vergisst."
Ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit rückte das "Tor zur Freiheit", wie das Lager genannt wurde, in der ersten Hälfte der 50er-Jahre. Im Herbst 1953 empfing Bundespräsident Theodor Heuss in Friedland einen Transport ehemaliger Kriegsgefangener aus der Sowjetunion., und erklärte:
"Wir wissen, wie furchtbar es doch ist, an die zu denken, die zu lebenslänglicher Strafe drüben verurteilt worden sind, verurteilt in einem Verfahren, was manchmal rein formaler Rachevorgang gewesen ist. Wir sind froh darüber und freuen uns über jeden, der jetzt wieder die Freiheit und die Heimat erleben darf."
Tor zur Heimat - auch für Kriegsverbrecher
Die Medien berichteten ausführlich über die Rückkehr der Kriegsheimkehrer und das Glück der wiedervereinten Familien. Dass unter den Männern auch Kriegsverbrecher waren, spielte in den Berichten keine Rolle, so Anna Haut: "Was aber auch, abgesehen von den Hintergründen der Männer, völlig unterschlagen wurde, waren die psychologischen Probleme einer solchen Rückkehr. Das waren Familien, die teilweise zehn Jahre lang voneinander getrennt waren, Kinder, die ihre Väter trafen, die Fremde waren. Auch das wurde unter den Teppich gekehrt, die physischen und psychischen Folgen von Krieg und von einer so langen Kriegsgefangenschaft. Auch das wollte niemand wahrnehmen. Also es wurde nur die Hochglanz-Geschichte erzählt."
Nach den Kriegsheimkehrern kamen Aussiedler und Spätaussiedler
Mitte der 1950er-Jahre kamen die letzten Kriegsheimkehrer in Friedland an. Danach waren es vor allem Aussiedler und Spätaussiedler aus dem Ostblock, die das Bild des Lagers prägten. Dazu kamen punktuell internationale Flüchtlinge: 1956 aus Ungarn, 1974 aus Chile und 1978 Boatpeople aus Vietnam. Doch im Kern war Friedland ein Lager für deutsche Flüchtlinge und Vertriebene. Das änderte sich erst vor knapp zehn Jahren, sagt Anna Haut:
"Seit 2011 hat das Lager eine ganz neue Funktion, und zwar ist es Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende, und damit spiegelt es eben nicht mehr die Folgen des Zweiten Weltkrieges sondern es spiegelt die globalen Krisenherde. Also Menschen, die heute in Friedland ankommen, stammen aus der Türkei, aus Somalia, also aus den gegenwärtigen Krisenherden."
Und obwohl es immer wieder Überlegungen gab, das Lager zu schließen, ist Friedland weit mehr als nur Geschichte, ist Museumsleiterin Anna Haut überzeugt:
"Flucht und Vertreibung sind Konstanten der Menschheitsgeschichte. Die letzten 75 Jahre haben uns gezeigt, dass es Orte wie Friedland braucht. Deswegen glaube ich, dass diesen 75 Jahren noch viele weitere folgen werden."