Christoph Heinemann: Wie kann der Brexit-Stillstand im Parlament überwunden werden?
John Redwood: Das Parlament hat zweimal sehr weise gesetzgeberisch entschieden: einmal mit dem Parlamentsbeschluss, der EU mitzuteilen, dass wir die EU am 29. März 2019 verlassen werden, indem wir den Brief zu Artikel 50 des Vertrages verschickt haben. Und es hat das EU-Rückzugs-Gesetz beschlossen. Damit wird der Inhalt des Artikel-50-Briefes in unser nationales Recht bestätigt: vom 29. März 2019 an hat die EU in unserer Gesetzgebung keinerlei Macht mehr über das Vereinigte Königreich. Wir werden endlich ein freies und unabhängiges Land sein. Worauf ich mich freue.
Wenn das Parlament nun seine Meinung ändern möchte, und diese Veränderungen verschiebt oder abwandelt, dann wird es dabei Schwierigkeiten bekommen. Veränderungen oder Verschiebungen müssten mit der Europäischen Union abgesprochen werden. Und das wird sogar noch schwieriger.
Heinemann: Die Labour Partei möchte einen ungeregelten Ausstieg im Parlament verhindern. Steht damit fest, dass es ein Abkommen geben wird?
Redwood: Überhaupt nicht. Wenn Parteien im Parlament beantragen, dass sie nicht ohne Abkommen ausscheiden wollen, steht ihnen das frei. Das ändert aber nicht die Gesetzeslage. Die ist durch zwei Parlamentsbeschlüsse vorgegeben, die ich gerade beschrieben habe. Das Einzige, was uns daran hindern könnte, am 29. März 2019 auszuscheiden, ist ein Widerruf oder eine Änderung des Gesetzes.
"Wir werden ohne ein Abkommen ausscheiden"
Heinemann: Die Premierministerin möchte ein Abkommen. Warum ist Großbritannien nicht in der Lage, zu sagen, was es will?
Redwood: Großbritannien hat gesagt, was es will. Aber die Europäische Union möchte das nicht gewähren. Und deshalb, das ist meine Sicht der Dinge, werden wir ohne ein Abkommen ausscheiden. Ich bin froh, dass wir ohne das Ausstiegs-Abkommen ausscheiden werden, weil es sich aus Sicht des Vereinigten Königreichs um ein sehr schlechtes Dokument handelt. Ich kann den Verhandlungsführern der Europäischen Union nur gratulieren: Sie haben alles in dieses Abkommen gepackt, was die EU irgendwie wollte. Aber das macht daraus ein extrem schlechtes Abkommen für mein Land.
Mein Land hat mehrheitlich dafür gestimmt, die Kontrolle über unser Geld, unsere Gesetze und unsere Grenzen zurückzubekommen. Und der Deal verhindert, dass es dazu kommen kann. Deshalb hat das Parlament gegen dieses Abkommen in der Tat mit sehr großer Mehrheit Einspruch erhoben.
Wir haben noch länger mit John Redwood gesprochen – hören Sie hier die Langfassung des Gesprächs
Oder hören Sie hier: das Gespräch im englischen Original
Heinemann: Was genau ist an diesem Abkommen schlecht?
Redwood: Alles. Die Idee, dass wir uns für weitere 21-45 Monate europäischer Rechtsprechung unterordnen müssen. Dass wir der Europäischen Union große Geldsumme zahlen müssen. Dass wir eine weitere und sehr lange Verhandlung darüber führen müssen, wie unsere künftigen Beziehungen aussehen könnten. Ich kann in diesem Abkommen überhaupt nichts Gutes erkennen.
"Keine Notwendigkeit" für Kontrollen an der irischen Grenze
Heinemann: No Deal bedeutet Grenzanlagen und -kontrollen an der Grenze zwischen Irland und Nordirland. Mit welchen Folgen?
Redwood: Nein überhaupt nicht. Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat zu Recht gesagt, dass sie überhaupt keine Notwendigkeit sieht, neue Schranken zwischen Nordirland und der Republik zu errichten.
Heinemann: Das wird aber die EU verlangen …
Redwood: Dann wird die EU das der Bevölkerung der Republik Irland und von Nordirland erklären müssen. Das Vereinigte Königreich sieht das nicht so. Und wenn man bestehende Technologie nutzt, kann man damit grenzüberschreitenden Handel treiben – auch mit Abgaben – ohne Grenzanlagen, an denen Menschen Geld umrechnen.
Heinemann: Grenzkontrollen, das haben Sie doch eben gesagt, sind Teil von take back control – die Kontrolle zurückbekommen …
Redwood: Ja, und wir wollen unsere Kontrolle dazu nutzen, keine neuen aufdringlichen Grenzschranken zwischen Nordirland und der Republik Irland einzurichten. Es ist unser Recht, diese Entscheidung zu treffen. Und ich und andere haben es gründlich satt, wenn wir sehen, wie die Europäische Union versucht, daraus ein Problem zu machen, das unser Ausscheiden in einer vernünftigen und freundschaftlichen Art erschwert. Das ist kein wirkliches Problem. Es gibt überhaupt keinen Grund, neue strenge Kontrollen und Grenzvorrichtungen an dieser Grenze einzuführen. Und das sollten Sie verstehen.
Heinemann: Die EU sagt, diese Notwendigkeit besteht. Und wir sollten daran erinnern: Großbritannien möchte die EU verlassen, nicht umgekehrt.
Redwood: Na prima, dann sollte die EU das der Bevölkerung in der Republik Irland erklären, die immer gesagt hat, dass sie keine Grenze möchte. Und wir als große Freunde der Republik Irland bestätigen das. Wir sagen, wir werden für keine Grenzschwierigkeiten sorgen.
"Nach dem Austritt wird die Wirtschaft zulegen"
Heinemann: Mark Carney, der Gouverneur der Bank of England, sagte bereits im vergangenen Jahr, dass britischen Haushalten etwa 900 Pfund weniger zur Verfügung stünden, als das der Fall wäre, bliebe Großbritannien in der EU. 900 Pfund weniger – wofür?
Redwood: Er irrt sich. Mark Carney, die Bank of England und das britische Finanzministerium haben eine ganze Reihe hoffnungslos falscher Vorhersagen veröffentlicht. Sie haben gesagt, uns stünde eine Rezession und der Verlust von 500.000 Arbeitsplätzen bevor. Und das nur als Ergebnis der Brexit-Abstimmung, also in den ersten Jahren nach der Abstimmung. Wir wissen heute, dass das restlos falsch war.
Ich stehe diesen langfristigen 15 Jahre umfassenden Prognosen kritisch gegenüber. Ich rechne damit, dass wir außerhalb der Europäischen Union etwas besser dastehen werden als innerhalb. Meine eigene Prognose sieht einen Zuwachs von einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes in den nächsten Jahren voraus, vorausgesetzt, wir verlassen die EU am 29. März 2019 ohne finanzielle Verpflichtungen.
Heinemann: Der angesehene Gouverneur der Bank of England liegt vollständig daneben?
Redwood: Ja, absolut. Das wissen wir. Und er musste erklären, warum seine Prognosen 2016 so hoffnungslos falsch waren. Und meine waren richtig. Und ich wiederhole: Wir werden etwas besser dastehen, wenn wir sauber aus der EU ausscheiden und ab dem 30. März dieses Jahres freundschaftlich mit Ihnen handeln werden unter den Bedingungen der Welthandelsorganisation.
Heinemann: Die weitaus meisten jungen Menschen in Großbritannien wollen den Brexit nicht. Und sie werden in die EU zurückkehren wollen. Ist der Brexit eine teure Zeitverschwendung?
Redwood: Ich stimme Ihnen auch dabei nicht zu. Viele junge Menschen haben sich an der Kampagne auf der Seite der Bexit-Befürworter beteiligt. In der Wahlkampfzentrale für den EU-Ausstieg waren sehr viele enthusiastische sehr junge Leute, die meinen Enthusiasmus teilen, angesichts der Aussicht, ihr eigenes unabhängiges Land so rasch wie möglich zurückbekommen zu können.
"Kein Weg für ein zweites Referendum"
Heinemann: Warum sollte es jetzt, wo die Fakten auf dem Tisch liegen, kein zweites Referendum geben?
Redwood: Ich glaube, es gibt überhaupt keinen Weg für ein zweites Referendum. Dafür sehe ich im Parlament keine Mehrheit, es sei denn, die Opposition würde ihre Meinung ändern. Aber gegenwärtig unterstützen die Opposition und ihr Vorsitzender ein zweites Referendum nicht. Ein zweites Referendum könnte vor unserem Austritt am 29. März nicht durchgeführt werden. Insofern wäre die Fragestellung etwas schwierig. Die Mehrheit, die für den Austritt gestimmt hat, würde die Vorstellung sehr übel nehmen, dass sie ihre Absicht ändern sollten und zu dumm gewesen wäre, bei der ersten Abstimmung richtig zu entscheiden. Ich glaube, ein zweites Referendum ergäbe eine größere Mehrheit für den Austritt. Aber dazu wird es nicht kommen, denn ich glaube nicht, dass es genug Abgeordnete gibt, die dumm genug wären, ein zweites Referendum zu wollen.
Heinemann: Käme es doch dazu, hieße das, der britischen Bevölkerung die Kontrolle zurückzugeben. War es nicht genau das, was die Brexit-Befürworter gefordert haben?
Redwood: Ja, wir wollen die Kontrollen und haben dafür gestimmt. Und wir sagen dem Parlament: Ihr habt uns versprochen, uns die Kontrolle zurückzugeben, also müsst ihr jetzt liefern. Die Öffentlichkeit hat vom Parlament die Nase voll. Zwei Jahre und sieben Monate sind für viele Menschen viel zu lang. Wir haben uns im Sommer 2016 für ein Ausscheiden entschieden. Das müsste längst über die Bühne gegangen sein. Eine große Mehrheit der Öffentlichkeit besteht darauf, dass wir im März 2019 aussteigen. Sie haben gründlich die Nase voll von diesen Leuten, die mit der EU zusammenarbeiten, um den Brexit, für den wir gestimmt haben, zum Erliegen zu bringen oder zu verschieben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.