Stephen Leonard von der Universität Cambridge spricht ein knappes Dutzend Sprachen, darunter Norwegisch, Dänisch, Isländisch, Faröisch und West-Grönländisch. Im vergangenen Jahr ist eine weitere dazu gekommen. Der linguistische Anthropologe hat zwölf Monate ganz im Norden Grönlands verbracht und dort Inuktun gelernt. Eine Sprache, die nur von 770 Menschen gesprochen wird und die nur mündlich existiert:
"Sprachen lernen ist meine Leidenschaft. Aber einer solchen Herausforderung habe ich mich noch nie gestellt: eine Sprache zu lernen, zu der es keine Aufzeichnungen gibt. Wenn man also fragt: 'Was ist das?' sagen sie: 'Ein Tisch.' Und wenn man dann wissen will, 'Wie schreibt man das?' Dann zucken sie mit den Schultern und sagen: 'Ich weiß nicht'."
Stephen Leonard wohnte in einer einfachen Hütte in Qaanaaq, verbrachte aber auch viel Zeit in kleineren Gemeinschaften wie etwa Savissivik, wo die Männer noch immer der traditionellen Jagd nachgehen. Auch für grönländische Verhältnisse herrschen hier harte Bedingungen, im Winter dreieinhalb Monate lang kein Sonnenlicht, Temperaturen bis minus 50 Grad. Und eines Nachts unerwarteter Besuch:
"Es war im März, und ich schlief, als morgens um drei Uhr ein Eisbär in die Siedlung kam. Er hatte den Robbenspeck gerochen, der zwischen den Hütten lag. Ein verhungernder Eisbär, das sind die gefährlichsten. Die Hunde schlugen wie wild an. Mein Nachbar wachte auf, feuerte zwei Schuss ab und der Bär war tot."
Stephen Leonard konnte anschließend nur zusehen, wie der drei Meter große Bär mitten in der Nacht gehäutet und zerlegt wurde. Diese Geschichte hat er später auch in seiner neuen Fremdsprache aufgeschrieben.
Genähert hat sich Leonard dieser Sprache zunächst mit Übersetzern. Die nordgrönländischen Kinder haben ihm viel beigebracht. Er war oft mit den Jägern unterwegs. Auch hat er über das Bürgerradio in Qaanaaq viele Kontakte knüpfen und Fragen klären können.
Viele Innughuit haben in der Schule gelernt, West-Grönlandisch und Dänisch zu sprechen und auch zu schreiben. In ihrem Alltag tun sie dies aber eher selten. Sie sprechen lieber Inuktun.
Also hat Stephen Leonard selbst versucht, geeignete Schreibweisen für die Wörter zu finden – und er hat diese mit den Innughuit immer wieder überprüft. Dabei kam er zu dem Schluss, dass manche Wörter 50 Buchstaben lang sind und dass es 20 verschiedene Wörter für Wind gibt – und einen großen Reichtum an Geschichten:
"Die Geschichten werden meist bei der Jagd erzählt. Es sind Geschichten des Überlebens unter Extrembedingungen und sie sind eng verknüpft mit dem Eis auf dem Meer. Denn dort jagen sie. Wenn dieses Eis nun aber in 25 Jahren verschwunden sein wird, gibt es keinen Grund mehr diese Geschichten zu erzählen. Mit dem Eis wird auch ihr Wissen verschwinden."
Die zukünftige Entwicklung des Klimas ist unter den Innughuit umstritten. Die älteren Jäger sind fest davon überzeugt, dass der Klimawandel in Zyklen verläuft, dass also nach etwa 30 warmen Jahren wieder kältere Zeiten kommen. So haben es ihnen ihre Vorfahren erzählt. Die Jüngeren hingegen wissen um die düsteren Prognosen der Klimaforscher. Alle aber sind sich einig: Der Wandel vollzieht sich rasant:
"Jeder Jäger erzählt Ihnen, dass sich das Klima Anfang der 90er verändert hat. Früher wussten sie mit großer Sicherheit, dass das Meereis im September kommen und im Juli verschwinden würde. Das Einfrieren und Schmelzen dauerte etwa zwei Wochen. Das ist jetzt nicht mehr so. Als ich dort war, dauerte es von September bis Dezember bis das Eis sich gebildet hatte: Es war wie eine Suppe, die nicht richtig fest werden wollte. Die Jäger müssen also zwei Monate oder mehr warten, bevor sie wieder aufs Eis gehen können."
Die Folge: Immer mehr Innughuit geben die Jagd auf. Sie wenden sich Computerspielen oder dem Alkohol zu. Stephen Leonard sortiert derweil im Cambridge seine Aufzeichnungen und Dateien: Sätze, Vokabeln, grammatische Strukturen, aber auch Videos von Liedern und Tänzen. Er will möglichst bald wieder zurück nach Nord-Grönland und seine Dokumentation in Form von DVDs und Büchern zurückgeben an die Innughuit und damit zumindest ein kleines Stück ihrer Kultur erhalten.
Link:
Ein sehenswerter Film von Stephen Leonard
"Sprachen lernen ist meine Leidenschaft. Aber einer solchen Herausforderung habe ich mich noch nie gestellt: eine Sprache zu lernen, zu der es keine Aufzeichnungen gibt. Wenn man also fragt: 'Was ist das?' sagen sie: 'Ein Tisch.' Und wenn man dann wissen will, 'Wie schreibt man das?' Dann zucken sie mit den Schultern und sagen: 'Ich weiß nicht'."
Stephen Leonard wohnte in einer einfachen Hütte in Qaanaaq, verbrachte aber auch viel Zeit in kleineren Gemeinschaften wie etwa Savissivik, wo die Männer noch immer der traditionellen Jagd nachgehen. Auch für grönländische Verhältnisse herrschen hier harte Bedingungen, im Winter dreieinhalb Monate lang kein Sonnenlicht, Temperaturen bis minus 50 Grad. Und eines Nachts unerwarteter Besuch:
"Es war im März, und ich schlief, als morgens um drei Uhr ein Eisbär in die Siedlung kam. Er hatte den Robbenspeck gerochen, der zwischen den Hütten lag. Ein verhungernder Eisbär, das sind die gefährlichsten. Die Hunde schlugen wie wild an. Mein Nachbar wachte auf, feuerte zwei Schuss ab und der Bär war tot."
Stephen Leonard konnte anschließend nur zusehen, wie der drei Meter große Bär mitten in der Nacht gehäutet und zerlegt wurde. Diese Geschichte hat er später auch in seiner neuen Fremdsprache aufgeschrieben.
Genähert hat sich Leonard dieser Sprache zunächst mit Übersetzern. Die nordgrönländischen Kinder haben ihm viel beigebracht. Er war oft mit den Jägern unterwegs. Auch hat er über das Bürgerradio in Qaanaaq viele Kontakte knüpfen und Fragen klären können.
Viele Innughuit haben in der Schule gelernt, West-Grönlandisch und Dänisch zu sprechen und auch zu schreiben. In ihrem Alltag tun sie dies aber eher selten. Sie sprechen lieber Inuktun.
Also hat Stephen Leonard selbst versucht, geeignete Schreibweisen für die Wörter zu finden – und er hat diese mit den Innughuit immer wieder überprüft. Dabei kam er zu dem Schluss, dass manche Wörter 50 Buchstaben lang sind und dass es 20 verschiedene Wörter für Wind gibt – und einen großen Reichtum an Geschichten:
"Die Geschichten werden meist bei der Jagd erzählt. Es sind Geschichten des Überlebens unter Extrembedingungen und sie sind eng verknüpft mit dem Eis auf dem Meer. Denn dort jagen sie. Wenn dieses Eis nun aber in 25 Jahren verschwunden sein wird, gibt es keinen Grund mehr diese Geschichten zu erzählen. Mit dem Eis wird auch ihr Wissen verschwinden."
Die zukünftige Entwicklung des Klimas ist unter den Innughuit umstritten. Die älteren Jäger sind fest davon überzeugt, dass der Klimawandel in Zyklen verläuft, dass also nach etwa 30 warmen Jahren wieder kältere Zeiten kommen. So haben es ihnen ihre Vorfahren erzählt. Die Jüngeren hingegen wissen um die düsteren Prognosen der Klimaforscher. Alle aber sind sich einig: Der Wandel vollzieht sich rasant:
"Jeder Jäger erzählt Ihnen, dass sich das Klima Anfang der 90er verändert hat. Früher wussten sie mit großer Sicherheit, dass das Meereis im September kommen und im Juli verschwinden würde. Das Einfrieren und Schmelzen dauerte etwa zwei Wochen. Das ist jetzt nicht mehr so. Als ich dort war, dauerte es von September bis Dezember bis das Eis sich gebildet hatte: Es war wie eine Suppe, die nicht richtig fest werden wollte. Die Jäger müssen also zwei Monate oder mehr warten, bevor sie wieder aufs Eis gehen können."
Die Folge: Immer mehr Innughuit geben die Jagd auf. Sie wenden sich Computerspielen oder dem Alkohol zu. Stephen Leonard sortiert derweil im Cambridge seine Aufzeichnungen und Dateien: Sätze, Vokabeln, grammatische Strukturen, aber auch Videos von Liedern und Tänzen. Er will möglichst bald wieder zurück nach Nord-Grönland und seine Dokumentation in Form von DVDs und Büchern zurückgeben an die Innughuit und damit zumindest ein kleines Stück ihrer Kultur erhalten.
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Ein sehenswerter Film von Stephen Leonard