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Tote für karges Gebirgsland

80.000 Menschen starben in den Jahren 1998 bis 2000 beim Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea. Der Frieden blieb bis heute labil. Neues Öl in das schwelende Feuer goss ein Urteil des Internationalen Gerichtshofes, das einen Teil der eritreischen Gebietsansprüche bestätigte. Viele befürchten nun einen neuen Krieg.

Von Thomas Kruchem |
    Außerhalb des Städtchens Adigrat in der äthiopischen Provinz Tigray mündet die von Maultierkutschen bevölkerte Asphaltstraße in eine holprige Sand- und Schotterpiste, die zum Grenzort Salambessa führt – in abenteuerlichen Kehren durch tiefe Schluchten und über hoch aufragende Berge, von denen das Türkis, Rosa und Gelb festungsartig angelegter orthodoxer Kirchen leuchtet. Kolonnen schwer beladener Kamele trotten dahin; bunt bemalte, vierradgetriebene Busse legen Staubschichten auf wie für die Ewigkeit gebaute Hütten aus grob behauenem Stein. "In diesem Gebirge wuchsen noch vor 40 Jahren Hunderttausende Zedern", sagt Hagos Weldeioannes – ein tigreischer Sozialarbeiter. Jetzt wachsen nur noch um die Kirchen herum Bäume. An vielen der stark erodierten Hänge kleben Steinterrassen, karg bebaut mit Gerste und Sorghum. Nur das Schwemmland der Täler strotzt vom frischen Grün jungen Gemüses.

    Kurz vor der Grenze deutet Hagos auf seltsam gerade Furchen in einem Hang – Schützengräben. Hier herrschte vor wenigen Jahren Krieg.

    "Wir befinden uns hier im Irob-Distrikt außerhalb Salambessas, direkt an der Grenze zwischen Äthiopien und Eritrea. Das Problem hier ist, dass der Internationale Gerichtshof die Grenze in ganz absurder Weise verändert hat: Die neue Grenzlinie verläuft über jenen Berg dort, den wir Tassene nennen, hinunter zum Ort Monoxoito. Indem so mehrere Dörfer in der Umgebung Salambessas Eritrea zugeschlagen werden, wird zugleich der Lebensraum der Irob-Volksgruppe in der Mitte durchschnitten. 30.000 Menschen brauchen künftig Visa, um Verwandte zu besuchen. Die Eritreer aber verweigern jederlei Diskussion."

    Eritrea – zum Feind mutierter ehemaliger Freund Äthiopiens. 1991 hatten tigreische und eritreische Kämpfer gemeinsam den kommunistischen Diktator Mengistu verjagt. Zwei Jahre später wurde Eritrea unabhängig; Äthiopiens neuer Machthaber Meles Zenawi verzichtete auf den Zugang zum Meer und eine klar definierte Grenze. Man war ja befreundet.

    Bald jedoch wuchsen politische wie wirtschaftliche Konflikte. 1998 bis 2000 forderte ein Krieg um 400 Quadratkilometer öden Gebirges 80.000 Menschenleben. Dann verpflichteten sich beide Seiten, die Grenzziehung dem Internationalen Gerichtshof zu überlassen, wovon Äthiopien jedoch nichts mehr wissen wollte, als das Gericht äthiopisch besetztes Gebiet Eritrea zusprach. Inzwischen zeigt sich Eritrea frustriert, weil an der Grenze stationierte UN-Blauhelme den Schiedsspruch nicht durchsetzen. Die Regierung in Asmara hat den Operationsspielraum der Blauhelme deshalb drastisch eingeschränkt. Beide Seiten ziehen wieder Truppen an der Grenze zusammen und rasseln immer lauter mit dem Säbel.

    Das Städtchen Salambessa ist Trümmerwüste, Großbaustelle und Marktzentrum zugleich. 1998 wurde der Ort von eritreischen Truppen zerstört; seit zwei Jahren bauen ihn die Äthiopier mit trotziger Energie wieder auf. Zwischen zerschossenen Mauern und Zeltunterkünften schichten mit Staub umhüllte Menschen Stein auf Stein. Frauen mit bunten Regenschirmen gegen die Sonne verkaufen Chili, Zwiebeln und Kaugummi.

    Tebletma Asho, eine alte Händlerin mit dunklem Schal um den Kopf, bittet den Besucher in ein frisch errichtetes Häuschen, wo es nach trocknendem Beton riecht. Die Einrichtung ist karg: Stühle, mit Wachstuch belegte Kisten, darauf Töpfe, Flaschen, der Korb mit Injera, dem aus Teff gebackenen Fladenbrot; Heiligenbilder. Auf einem blau lackierten Metallbett stillt eine noch sehr junge Frau ihr Baby, dessen Kopf über und über mit Ausschlag bedeckt ist.

    "Als die Eritreer kamen, konnten meine Tochter und ihre Kinder gerade noch nach Adigrat fliehen. Mich nahmen die Eritreer mit und steckten mich – mit Tausenden anderen alten Leuten, Frauen und Kindern – in ein Lager. Vier Wochen saßen wirt dort mit nur etwas Sorghum zu essen. Wer aufmuckte, den schlugen die Wächter mit Gewehrkolben. Erst 2001 kehrten wir nach Salambessa zurück – in eine Trümmerwüste. Kein Stein hier stand mehr auf dem anderen. Unsere Möbel, unsere Kleider, alles hatten die Eritreer gestohlen – und überall Minen gelegt. Schauen Sie, die Ruine dort draußen war mal die größte Bäckerei der Stadt, das Brot wunderbar und der Bäcker ein reicher Mann. Drei Tage jedoch, nachdem er mit uns zurückgekehrt war, trat er auf eine Mine und starb."

    In dem Häuschen, das die alte Frau gemietet hat, wohnt auch ihre Tochter mit ihren fünf Kindern. Sie lebe in Angst, sagt Tebletma, deren Gesicht von Gram gezeichnet ist – in Angst um die Gesundheit der Kinder, für die es hier keinen Arzt gibt; in Angst vor einem erneuten Angriff der Eritreer – vor dem sie diesmal nicht weglaufen werden.

    "Wir sind einmal geflohen und haben alles verloren. Jetzt bleiben wir hier, egal ob es Krieg gibt oder nicht. Manchmal bete ich, dass kein Krieg ausbricht. Manchmal aber denke ich auch, dass ich nach einem Sieg Äthiopiens vielleicht meine Schwester wieder sehe. Die lebt mit ihrem Mann im Dorf Kohebai acht Kilometer von hier, auf der eritreischen Seite. Seit sieben Jahren habe ich nichts von ihr gehört."

    Draußen marschiert eine Kompanie Soldaten vorbei – das AK-47 geschultert. Hühner flattern auf, aus einem gegenüber stehenden, halb zerfetzten Zelt ist Yesare Gebreselassie getreten, ein junger orthodoxer Priester. Ein Prozessionskreuz in der Hand, winkt der Priester die Fremden zu sich, lädt sie ein in seine Unterkunft: zwei Betten für die siebenköpfige Familie, Hab und Gut in Plastikfässern und –kanistern, die Zeltwände tapeziert mit Heiligenbildchen. "Uns geht es gut", sagt Gebreselassie, während einer der fünf Söhne duftenden Kaffee bereitet.

    "Seit vier Jahren leben meine Frau, unsere vier Kinder und ich in diesem Zelt. Wenn es regnet, fließt Wasser unter unser Bett und tropft durchs Dach. Die Kinder sind oft erkältet. Trotzdem klagen wir nicht, denn wir wissen, dass Premierminister Meles sein Bestes tut, unsere Heimat hier wieder aufzubauen. Vor drei Monaten habe ich ein Stück Land bekommen und 25.000 Birr für ein Haus, das ich jetzt baue. Davon kann mich nichts abhalten – auch nicht irgendwelche Gerüchte, dass Eritrea einen Angriff plant. Ich werde nicht noch einmal, wie einige meiner Nachbarn, meine Koffer packen und nach Adigrat fliehen. Ich vertraue auf unsere Regierung, auf Premierminister Meles, der Tag und Nacht daran arbeitet, den Frieden zu sichern."