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Tote Gene sollen leben

Biologie.- Ein Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts in Leipzig erforscht Gene. Eigentlich nichts Ungewöhnliches für einen Biologen. Doch: Die Gene sind tot – schon seit gut 30.000 Jahren.

Von Michael Lange | 31.08.2009
    Das Erbgut des Neandertalers entsteht aufs Neue – wenn auch zunächst nur im Computer. Aus unzähligen winzigen Schnipseln des Erbmoleküls DNA hat das Team um Svante Pääbo am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig die Reihenfolge der Informationsbausteine des Neandertalers ermittelt – wenn auch längst noch nicht vollständig.
    "Wir haben ein bisschen über 60 Prozent der gesamten Sequenz. Nun haben wir erst einmal Stopp gesagt und analysieren das mit mehreren Gruppen auf der ganzen Welt. Und dann machen wir weiter und sequenzieren tiefer, so dass wir eine höhere Qualität bekommen in den nächsten Jahren."

    In etwa drei Jahren wird das Erbgut des Neandertalers vollständig bekannt sein. Das kündigte Svante Pääbo bei der Tagung der Europäischen Molekularbiologen in Amsterdam an. Noch ist die Sequenz eher ein Flickenteppich. Kein einziges Gen des Neandertalers ist vollständig bekannt. Dennoch sind Vergleiche bereits möglich. Nicht auf Ebene ganzer Gene – aber Buchstabe für Buchstabe. Svante Pääbo:

    "Wir können zum Beispiel Fragen stellen: Gibt es Bereiche, wo wir besonders nahe sind zum Neandertaler, wo wir uns vielleicht sogar vermischt haben könnten mit dem Neandertaler? Oder finden solche Sachen gar nicht statt."

    Bisher haben sich keine Hinweise auf eine Vermischung zwischen Neandertaler und Homo sapiens finden lassen. Aber es geht den Wissenschaftlern nicht nur um die Zahl und die Verteilung der genetischen Unterschiede, sondern auch um deren Bedeutung. Was macht den Mensch zum Menschen? Was den Neandertaler zum Neandertaler?

    "Wenn wir dann einen interessanten Unterschied finden, können wir diesen Teil eines Gens ersetzen – zum Beispiel in einer Zelle, in einer Zellkultur im Labor, und dann sehen: Was für Effekte hat es?"

    In einer Zellkultur mit menschlichen Zellen könnten Gene des Neandertalers wieder zum Leben erweckt werden. Was dann im Stoffwechsel der Zellen passiert, soll Aufschluss geben über die Funktion dieser Gene: Zum Beispiel bei der Arbeit des Gehirns oder bei der Körperbehaarung. Es gibt auch schon Kandidaten für die Wiederbelebung.

    "Wir haben elf solche Fälle gefunden, wo wir einen Unterschied zum Neandertaler haben, und vielleicht finden wir da, dass diese Unterschiede funktionelle Konsequenzen haben."

    Auch in Versuchstieren könnten die Erbinformationen der Neandertaler zu neuem Leben erwachen. Schließlich wurden Gene des Homo sapiens bereits mehrfach in Mäuse verpflanzt. Und eines dieser Experimente sagt auch etwas über den Neandertaler aus. Vor kurzem wurde das sogenannte Sprach-Gen FOX P2 in Mäuse verpflanzt.

    "Dieses Protein, das von diesem Gen stammt, ist so konserviert, dass die Maus fast das identische Gen hat wie der Neandertaler oder der Schimpanse. So haben wir nur zwei Änderungen eingeführt, die spezifisch sind für den Menschen. Und das führt dazu, dass die Maus ein bisschen anders vokalisiert. Sie piepst ein bisschen anders."

    Ob sie tatsächlich menschlicher piepst ist eine andere Frage. Die Aussagekraft eines solchen Experiments ist für sich genommen gering. Um mehr über die Unterschiede zwischen dem sogenannten modernen Menschen und dem Neandertaler zu erfahren, müsste man weitere Gene in Versuchstiere verpflanzen – nicht nur menschliche, auch Neandertaler-Gene. So entstünden neben vermenschlichten Mäusen auch neandertalisierte. Aber eine mit einem Neandertaler-Gen sähe immer noch aus wie eine Maus – und kein bisschen wie ein Neandertaler. Und einen Menschen zu neandertalisieren, kommt wohl nicht in Frage.

    "Es gibt Leute, die jetzt spekulieren: Man könnte einen Neandertaler oder ein Mammut wieder herstellen. Das finde ich eigentlich völlig unsinnig. Und wenn wir über den Neandertaler reden auch ethisch unvertretbar."

    Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit, lebende Neandertaler-Gene zu untersuchen. Vermutlich besitzen zahlreiche Menschen von Natur aus einzelne Genvarianten, die denen der Neandertaler entsprechen. Das hieße: Die Neandertaler muss man nicht neu erschaffen. Sie sind schon da.