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Totenkopfkult
Vom Subversiven zum Mainstream

Einst galt das Totenkopfsymbol als Mahnung an den Tod. Vor 30 Jahre wurde das Symbol von der Gothik-Szene als Abgrenzung genutzt. Heute ist es zur Massenware auf T-Shirts und Markenkleidung geworden. Eine Ausstellung in Kassel veranschaulicht die Bedeutung, Geschichte und Vergänglichkeit eines alten Symbols, dessen Ursprung im Totentanz lag.

Von Alfried Schmitz |
    Das Kasseler Museum für Sepulkralkultur verwandelt sich bis Anfang November in ein Sepulkral-Kaufhauses mit Totenkopfmotiven.
    Das Kasseler Museum für Sepulkralkultur verwandelt sich bis Anfang November in ein Sepulkral-Kaufhauses mit Totenkopfmotiven. (imago stock&people/epd/Andreas Fischer)
    Die Präsentationsform der Ausstellung ist originell. Um den Totenkopf-Objekten einen passenden Rahmen zu geben, hat die Volkskundlerin Ulrike Neurath, Kuratorin der Ausstellung, eine moderne Kaufhausszenerie entwickelt. In der ersten Abteilung stapeln sich auf weißen Regalen und Tischen, bunte T-Shirts, Unterhosen und Pullover. Alltagsmode, die mit Totenköpfen verziert ist.
    Ulrike Neurath:
    "Die Todesmotive tauchen seit einigen Jahren in unserer Alltagswelt auf. Es ist so, dass wir die Todesmotive im Grunde genommen konsumieren. Und wenn man etwas konsumiert, dann passiert das am ehesten in einem Kaufhaus in einer Shopping-Mall. Und deswegen lag es nahe, diese Ausstellung wie ein Kaufhaus zu inszenieren."
    Der Hang zum Morbiden
    Die einzelnen Abteilungen des sogenannten "Sepulkral-Kaufhauses" widmen sich verschiedenen Themenbereichen und sind durchgängig konzipiert, hell und freundlich. Die Analyse der Totenkopf-Symbolik in der Jugendszene, war für die Volkskundlerin Ulrike Neurath von großem Interesse. Vor allem die Subkultur der 1970er- und 1980er-Jahre schmückte sich gerne mit Totenkopf-Motiven.
    Das Kasseler Museum für Sepulkralkultur verwandelt sich bis Anfang November in ein Sepulkral-Kaufhauses mit Totenkopfmotiven.
    Das Kasseler Museum für Sepulkralkultur verwandelt sich bis Anfang November in ein Sepulkral-Kaufhauses mit Totenkopfmotiven. (imago stock&people/epd/Andreas Fischer)
    Ulrike Neurath:
    "Allen voran die Punkszene, beziehungsweise die sich daraus speisende Gothic-Punk-Szene, die ja eine Affinität, eine Nähe zum Morbiden entwickelt hat und sich dann natürlich auch mit entsprechenden Attributen, mit bestimmten Symbolen umgeben und geschmückt hat. Und der Hintergrund war, sich einmal von einer oberflächlichen Bürgerlichkeit, sich vom Establishment abzugrenzen und natürlich auch eine gewisse Lebenseinstellung und ein bestimmtes Lebensgefühl darüber zu signalisieren."
    Mit dem Totenkopfsymbol wollen bestimmte soziale Gruppen eine gewisse Coolness zeigen. Der angstfreie Umgang mit dem Tod, die Zurschaustellung eines Totenschädels auf der Haut, in Form einer Tätowierung oder auf Kleidungsstücken und Schmuck, soll die Botschaft vermitteln, dass man den Tod nicht fürchtet. Besonders die Gothic-Szene begreift den Tod nicht als Feind, sondern eher als Gefährten.
    Gothic-Szene nutzt Totenkopf zur Abgrenzung
    Die dunkel gekleideten Gothic-Anhänger, von vielen gemeinhin als "Grufties"bezeichnet, haben eine besondere Vorliebe für die Schauerromane des späten 18. und des 19. Jahrhunderts entwickelt, für die Gothic Novels aus England. Vor allem die Literatur des Viktorianischen Zeitalters dient der Gothic-Szene dabei als Vorlage. Mary Shelley's "Frankenstein", Bram Stoker's "Dracula"oder die düsteren Werke von Edgar Allan Poe.
    Ulrike Neurath:
    "Ich glaube, dass es in der Gothic-Szene so ist, dass man den Hang zum Morbiden aus einem Interesse hat, aber in der Regel nicht, weil man eine persönliche Todessehnsucht hat. Man sieht in dem Hang zum Morbiden eine sehr krasse, eine sehr drastische Abgrenzungsmöglichkeit zur Bürgerlichkeit, zum Mainstream. Und womit kann man mehr schockieren? Sicherlich mit dem Tod, als mit dem Leben."
    Was bestimmten Gruppen der jungen Subkultur als Symbol für Anarchie, Protest und Absonderung dient, wurde in den letzten Jahren zum Mode-Gag und auf T-Shirts und Unterwäsche zur Massenware.
    Ulrike Neurath:
    "Natürlich haben die Subkulturen ein bisschen damit zu kämpfen, dass das Subversive, das sie über ihre Kleidung, über ihren Kleidungsstil ausdrücken wollen, dass dieses Subversive im Grunde ein bisschen verloren geht, dadurch, dass es der Mainstream abkupfert."
    Vom Subversiven zum Mainstream
    Bei ihren umfangreichen Recherchen und Konsumanalysen im Vorfeld zur Ausstellung, hat Ulrike Neurath festgestellt, dass Totenkopfsymbole auch im Kinder- und Kleinstkinder-Modesegment beliebt sind. Selbst Totenkopf-Windeln werden im Handel angeboten.
    Und sogar extravagante Designer schmücken ihre teuren Modekreationen mit Totenkopfmotiven und haben dadurch das einstige Symbol der Subkultur salonfähig gemacht.
    Ulrike Neurath:
    "Beispielsweise Alexander McQueen, der erstmals mit diesen Motiven in einer Haute- Couture-Schau 2001 für Furore sorgte. Er hat dann in seine Kollektion immer wieder den Totenschädel, also den Skull, eingearbeitet und der ist quasi unfreiwillig zu seinem Markenzeichen geworden, in der Folge, dass sich viele andere Design- und Bekleidungshersteller an diesen Trend, den er gesetzt hatte, drangehängt haben."
    In der Popularität von Skeletten und Totenschädeln sieht Ulrike Neurath nicht etwa nur einen oberflächlichen Modetrend, sondern ein Phänomen der Gegenwartsgesellschaft.
    Ulrike Neurath:
    "Man kann daraus ableiten, dass der Tod als eine biologisch unumstößliche Tatsache nicht wahrgenommen wird, sondern der Tod, der Totenschädel wird absolut vermenschlicht, er wird absolut verniedlicht. Wenn wir ein T-Shirt mit dem Totenschädel tragen, dann hat das nichts damit zu tun, dass wir darüber reflektieren, dass wir uns über den eigenen Tod Gedanken machen. Im Gegenteil, wir haben so ein T-Shirt an und weisen den Tod ganz weit von uns. "
    Trivialisierung des Totenkopfes
    Die enge Verzahnung von Mode und Tod hat zu einer Trivialisierung des Totenkopfsymbols geführt, das in vergangenen Jahrhunderten noch eine ganz besondere Bedeutung hatte. Seit der Antike wurden Skelett-Motive in Mosaiken und Wandbildern verwendet, um mahnend an die Vergänglichkeit des irdischen Lebens zu erinnern. Ein weitverbreiteter Vanitas-Kult kam in der Renaissance auf. Todes-Symbole wurden auf Gemälden, Zeichnungen und Grabsteinen dargestellt. Sie waren im öffentlichen Raum und in den Wohnstuben allgegenwärtig.
    Ulrike Neurath:
    "Dass man sie vor sich hatte, um sie aus einem ernsten, christlichen Hintergrund zu betrachten, um sich mit der Endlichkeit auseinanderzusetzen. Dass man solche Motive durchaus auch auf Textilien hatte."
    Einst Mahnung an den Tod
    Sogar die Priester-Umhänge der Barockzeit waren mit einem Totenschädel mit gekreuzten Gebeinen verziert.
    Ulrike Neurath:
    "Es gab auch andere Motive der Vergänglichkeit, wie das Stundenglas oder wenn wir an die Accessoires vergangener Zeiten denken, dann gab es den Trauerschmuck, den Totengedenkschmuck, der auch mit solchen Motiven ausgestattet war."
    Eine ganz wichtige Wurzel der Totenkopf-Symbolik liegt für Ulrike Neurath in den populären Totentanz-Darstellungen, die vor allem ab dem Spätmittelalter als "Memento Mori", als Mahnung an den Tod, populär wurden.
    Ulrike Neurath:
    "Der Totentanz, der daraus besteht, dass ein Toter oder ein verwesender Leichnam in einen Tanz, in einen Reigen mit einem noch Lebenden tritt. Der ist manchmal sehr lustig dargestellt, sehr schelmisch. In späterer Zeit, mit Beginn der Neuzeit, sind die Darstellungen etwas ernster geworden. Und was dahinter steckt, ist einfach die Aussage, dass vor dem Tod alle Menschen gleich sind. "
    Das Kasseler Museum für Sepulkralkultur verwandelt sich bis Anfang November in ein Sepulkral-Kaufhaus mit Totenkopfmotiven. 
    Das Kasseler Museum für Sepulkralkultur verwandelt sich bis Anfang November in ein Sepulkral-Kaufhaus mit Totenkopfmotiven. (imago stock&people/epd/Andreas Fischer)
    Religiöse Totenkopfbedeutung verliert an Bedeutung
    Diese religiöse Interpretation des Todes verliert in der modernen und sehr sakral geprägten Gegenwartsgesellschaft immer mehr an Bedeutung. In früheren Jahrhunderten waren Leben und Tod sehr eng miteinander verknüpft. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts war es auch in unserem Kulturkreis üblich, enge Verwandte zuhause bis zu ihrem Tod zu begleiten und sie nach ihrem Tod im Haus aufzubahren, um von ihnen gebührend Abschied nehmen zu können. Heute stirbt man meistens im Krankenhaus. Die Bestattung übernimmt ein professionelles Bestattungsunternehmen. Der Tod ist anonymisiert und kommerzialisiert und zum Tabuthema geworden. "Der Tod ist Störenfried in einer Gesellschaft, die auf die Optimierung aller Betriebsabläufe größten Wert legt", kritisiert der Wuppertaler Pfarrer Manfred Alberti den heutigen Umgang mit dem Tod.
    Dieser tabuisierte Umgang mit dem Tod und die Allgegenwart der Totenkopfmode, das verdeutlicht die Kasseler Ausstellung, müssen dabei kein Widerspruch sein. Kuratorin Ulrike Neurath:
    Ulrike Neurath:
    "Wenn wir einen Totenschädel auf dem T-Shirt tragen, dann ist das ist nicht der persönliche, der eigene Tod, der Tod, der einen selbst betreffen könnte, sondern es ist immer der Tod eines anonymen Anderen, bzw., der Tod, von dem man hofft und glaubt, dass er noch sehr weit von einem entfernt ist. Und deswegen können wir so entspannt damit umgehen."