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Totgesagte leben länger

Immer wieder war die Zukunft des Rohkunstbau-Festivals in Brandenburg wackelig, zuletzt schien das Ende besiegelt. Umso überraschender erscheint nun die Ausstellung zur 19. Auflage des Festivals, nach gelungener Schlankheitskur an einem neuen, denkwürdigen Ort.

Von Carsten Probst | 12.08.2013
    Es war still geworden um Rohkunstbau, verdächtig still. Im vergangenen Jahr fiel das Kunstfestival ganz aus, weil das Land Brandenburg seine Zuschüsse gestrichen hatte. Zwischendurch hieß es, man arbeite an einer Neuauflage. Aber als auch im Juni dieses Jahres, eigentlich dem 20. Jahr des Bestehens, nichts mehr zu hören war, da schien das Schicksal dieser ungewöhnlichen Ausstellungsreihe tatsächlich besiegelt zu sein. Dann jedoch – kehrt Rohkunstbau plötzlich zu einer Szenerie zurück, die man eigentlich aus den Anfängen Mitte der neunziger Jahre kannte, als man im südbrandenburgischen Groß Leuthen Ausstellungen mit Gegenwartskunst veranstaltete.

    Am Dörfchen Roskow mit seinem Schloss scheint jedenfalls der Wiederaufbau Ost bislang noch weitgehend vorbeigegangen zu sein. Im Ort finden sich zahlreiche Hausruinen und ein noch gut erhaltenes Gesamterscheinungsbild aus DDR-Zeiten. Das Schloss selbst liegt, wie man sagt, im Dornröschenschlaf seit seiner letzten Nutzung als Schulgebäude vor 1989. Es wurde an die Erben der einst enteigneten Eigentümerfamilie von Katte restituiert und steht seitdem leer. Hans Hermann von Katte erhielt historische Erwähnung als Jugendfreund Friedrichs II. und war dereinst vor dessen Augen hingerichtet worden, weil er dem jungen Friedrich zur Flucht vor dem militärischen Drill im damaligen Königshaus hatte verhelfen wollen. Heute steht Arvid Boellert, Gründer von Rohkunstbau, in den fürwahr rohen, abgestanden riechenden Räumen und dankt der Erbenfamilie für die Rettung des Kunstfestivals.

    Die Geschichte um Werden und drohendes Vergehen von Rohkunstbau überlagert mittlerweile fast die Ausstellung selbst, die inzwischen ein eigentümliches Gemisch darstellt. Mark Gisbourne, ein international erfahrener Ausstellungsmacher für Gegenwartskunst, engagiert sich seit Jahren mit seinen guten Kontakten für den ambitionierten Auftritt dieses Festivals. Er versucht, thematische Vorgaben Boellerts mit diskurshaltigen Positionen der Gegenwartskunst zusammenzubringen, die zugleich möglichst auf den historischen Ort, das Schloss reagieren sollen. Diese komplexe Vorgabe einzulösen gelingt mal mehr und mal weniger – in diesem Jahr wirkt alles stimmig. Ob es an den bescheideneren finanziellen Bedingungen liegt, an der vergleichsweise ungeschönten, unrenovierten Umgebung?

    "Moral" lautet der thematische Leitbegriff dieser Ausgabe von Rohkunstbau, als Teil einer Tetralogie über Richard Wagners "Ring" und die Nibelungensaga. Der Begriff "Moral", das passt irgendwie als Assoziation der erwähnten Familiengeschichte derer von Katti, zum preußischen Sozialwesen ohnehin, Moral im Speziellen nimmt Bezug auf die inzestuöse Beziehung zwischen Siegmund und Sieglinde in der "Walküre".

    Lichtobjekte von Philipp Fürhofer verweisen auf expressionistische Bühnenausstattungen für romantische Opernthemen, in denen die Oper oder auch das Theater gleichsam als moralische Reinigungsanstalten verstanden wurden. Gleich im Eingangsbereich bilden Marcel Bühlers Installationen eine Art Lichtschleuse durch die Blendsphäre der politischen Moralphrasen nicht nur des 21. Jahrhunderts. Die in Berlin lebende Schweizerin Valerie Favre kombiniert zwei informelle graue Malereien mit einem abgebrochenen Stück Olivenöl-Seife, das nicht nur direkt das Thema der moralischen Reinwaschung vor dem Hintergrund der Nachkriegskunst im Westen fortsetzt, sondern ebenfalls wie Bühnenräume zu fungieren scheinen. Katharina Sieverding ist mit einem Auszug ihrer aktuellen Kollagenserie "Die Sonne um Mitternacht schauen" zu sehen, die die Kosmologie der Sonne mit kultureller Repräsentation von Gesellschaften vereint. Die gesamte Dachetage des Schlosses ist wiederum Videoräumen des chinesischen Künstlers Ming Wong vorbehalten, der in einem selbstgedrehten Remake von Roman Polanskis Filmklassiker "Chinatown" Frauen- und Männerrollen mit sich selbst besetzt und damit die klassischen Genres des Gangsterfilm-Metiers durch Angleichung der Ge-schlechterrollen konterkariert und ironisiert.

    Am Ende ist Rohkunstbau 2013 nach seinem erzwungenen Neustart eine interessante Schlankheitskur gelungen, abseits von Hochglanzpräsentationen in einem Ambiente, das man durchaus wieder als Erweiterung und Entgrenzung des Ausstellungskonzepts verstehen kann.