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Totschlag oder Selbstverteidigung?
Urteil im Prozess gegen israelischen Soldaten erwartet

Es ist ein hoch emotionaler Fall: Im März 2016 hatte der Soldat Elor Azaria einen palästinensischen Angreifer durch einen Kopfschuss getötet - nachdem er bereits festgenommen und verletzt am Boden lag. Der Militärstaatsanwalt hat Azaria wegen Totschlags angeklagt. Heute nun soll das Urteil fallen.

Von Thorsten Teichmann |
    Der israelische Soldat Elor Azaria (links) spricht im November 2016 vor der Verhandlung in Tel Aviv mit seinen Rechtsanwälten.
    Der Soldat Elor Azaria (links) muss sich wegen Totschlags vor Gericht verantworten. (AFP / Jack Guez)
    Die Debatte um den Soldaten Elor Azaria ist in Israel hoch emotional. Das bekommt auch die israelische Soziologin Eva Illouz zu spüren. Auf einer Podiumsdiskussion der deutschen Böll-Stiftung Ende November in Jerusalem. Als sie sagt, der Soldat habe das Recht mit Füßen getreten.
    "Je mehr man Sicherheit betont, umso mehr ist man gezwungen; den Rechtsstaat zu verlassen. Und der Fall von Elor Azaria ist ein hervorragendes Beispiel. Das ist der Grund, warum der Fall so stark diskutiert wird."
    Als Illouz den Saal verlässt, wird sie von Zuschauern angepöbelt und ausgebuht. Ähnlich dürften die Reaktionen auf das Urteil des Militärgerichts heute ausfallen. Egal wie die Richter im Fall Azaria entscheiden.
    Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Totschlag
    Der Staatsanwalt wirft dem israelischen Soldat Elor Azaria Totschlag vor. Ende März 2016 hatte Azaria in Hebron, im von Israel besetzten Westjordanland; den Attentäter Abdel Fatah Al-Sharif mit einem Kopfschuss getötet. Der Palästinenser lag zu dem Zeitpunkt aber bereits verletzt am Boden.
    Die Tat war vom Schuhmacher Imad Abu Shamsiya, einem Aktivisten der israelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem gefilmt worden. Der Palästinenser beschreibt den Hergang im israelischen Fernsehen:
    "Genau hier haben sie auf ihn geschossen. Hier ist es. Sie haben ihn in den Kopf geschossen und das Blut lief hier runter."
    Das Video setzte die Führung der Armee unter Druck. Sie stellten den Sanitäter Azaria vor Gericht. In Teilen der israelischen Bevölkerung gilt der 20-jährige Soldat dagegen als Held. Auf dem Video aus Hebron ist zu sehen, wie der Politiker Baruch Marzel, dem Soldaten nach dem Schuss die Hand reicht. Marzel verteidigt seine Geste im Fernsehen:
    "Als ich ihn vor Ort sah, wusste ich nicht, dass er es war, der geschossen hatte. Hätte ich das gewusst, hätte ich ihn umarmt und geküsst. Ich wäre mehr aus mir rausgegangen. So war es eine eher kühle Begrüßung."
    Fragen zum Auftrag der Armee
    Ebenfalls ungewöhnlich: Während des Verfahrens versicherte Regierungschef Netanjahu dem Vater des Angeklagten seine Unterstützung. Das geht so weit, dass Generalstabschef, Eisenkott, sich gegen den Vorwurf wehren muss, die Armee lasse Soldaten im Stich:
    "Ein 18-jähriger Mann der in der israelischen Armee dient, ist nicht jedermanns Kind und kein Baby, das entführt worden ist. Er ist nicht über einen Grenzzaun geklettert und jemand hat ihn festgenommen. Er ist ein Krieger, ein Soldat. Er muss sein Leben riskieren, um seinen Auftrag zu erfüllen."
    Aber gerade zum Auftrag der Armee auf besetztem Gebiet tauchen Fragen auf. Deshalb drehen die Emotionen durch. Regierungspolitiker fürchten im Fall Azaria gehe es um mehr als nur die Tat selbst. Es gehe um den Charakter des Landes, bestätigt die Soziologin Illouz.
    "Wir stehen vor der Entscheidung zwischen einem Sicherheitsstaat, der im Namen der Sicherheit das Recht missachtet, oder einem Staat, der nach Kräften versucht, den Gesetzen zu folgen/ das Recht einzuhalten."
    Nur wenige Tage nach einer UN-Resolution zum Siedlungsbau wird Israel mit dem Urteil im Fall Azaria gezwungen, einmal mehr die Gefahren des gegenwärtigen Status quo zu diskutieren.