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Tour de France 2015
Neuling mit Ambitionen

MTN-Qhubeka aus Südafrika hat eine Wildcard bekommen - damit nimmt zum ersten Mal ein Team aus Afrika an der Tour de France teil. Der Neuling will bei der Tour glänzen, den afrikanischen Nachwuchs fördern und dabei auch noch Gutes tun für die arme Bevölkerung des Kontinents.

Von Jan-Philippe Schlüter |
    Mitglieder des Radsport-Teams MTN Qhubeka aus Süddafrika während der Tour von Katar am 11. Februar 2015.
    Im Februar 2015 ging MTN-Qhubeka bereits bei der Katar-Rundfahrt an den Start. (dpa / picture alliance / Kim Ludbrook )
    Als Doug Ryder sein afrikanisches Rad-Team vor drei Jahren angemeldet hat, haben nicht alle ihn ernst genommen. Witzbolde haben Vergleiche mit dem jamaikanischen Bob-Team gezogen. Den sogenannten "Cool Runnings". Aber Doug hat diese Sprüche locker genommen: Schließlich seien die Jamaikaner durchaus erfolgreich gewesen. Zumindest am Anfang. Aber mit einem lustig-lockeren Winterspaß haben die Pläne von MTN-Qhubeka nichts zu tun. Doug plant sein Projekt seit zehn Jahren generalstabsmäßig. Er hat zwei große Träume, basierend auf einer einfachen Theorie:
    "Wenn Afrika die besten Langstreckenläufer des Planeten hervorgebracht hat, warum nicht auch Radrennfahrer? Unser Traum ist, einen farbigen Fahrer zum Rad-Weltmeister zu machen. Und ein afrikanisches Team zum größten Radsport-Event der Welt zu bringen - zur Tour."
    Deutsches Know-How in Südafrika
    Um diese Ziele zu erreichen, vertraut Doug Ryder auch deutschem Know-How: Sportdirektor des Teams MTN-Qhubeka ist der Wiesbadener Jens Zemke - ein ehemaliger Radrennfahrer und Sportchef bei verschiedenen Radsportteams. Und mit dem Kölner Gerald Ciolek und dem Frechener Andreas Stauff sind auch zwei deutsche Fahrer im Team.
    "Die Deutschen lieben Südafrika - deswegen war es für uns einfach, sie an Bord zu holen", sagt Doug Ryder. "Der deutsche Einfluss war großartig. Wir haben die Fahrer geholt, damit sie unser Team mit ihrer Erfahrung anleiten und zum Erfolg bringen. Gerald Ciolek hat da eine große Rolle gespielt. Als er vor zwei Jahren Mailand-San Remo gewonnen hat, hat er uns von einem Niemand im Radsport zum Rockstar-Team katapultiert".
    Neben den deutschen sind noch erfahrene internationale Fahrer im Team dabei. Der Norweger Edvald Boasson Hagen zum Beispiel, der schon mehrere Tour de France Etappen gewonnen hat. Oder der US-amerikanische Sprint-Spezialist Tyler Farrar. Der Stolz von MTN-Qhubeka sind aber die schwarzen afrikanischen Fahrer: Sie kommen unter anderem aus Eritrea und Ruanda. Ländern, die man im internationalen Radsport bisher kaum beachtet hat. Für die dortigen Rennfahrer ist der Radsport nicht nur Spaß und sportliche Herausforderung. Er verändert Leben, sagt Doug Ryder. Zum Beispiel das von Adrien Niyonshuti aus Ruanda.
    "Seine sechs Brüder sind im ruandischen Völkermord getötet worden. Das Radfahren ist für ihn wie eine Befreiung vom Schmerz der Vergangenheit. Die Schmerzen auf dem Rad sind nichts im Vergleich zu dem, den er in seiner Familie erlitten hat. Egal woher aus Afrika sie stammen: Der Radsport gibt diesen Jungs die Möglichkeit, ihre eigene Situation zu verbessern, aber auch die ihrer Gemeinschaft und ihres Landes."
    Wie Radsport Leben verändert
    Auch das Leben von Songezo Jim hat sich durch das Rennradfahren drastisch verändert. Dabei wusste er vor zehn Jahren noch nicht einmal, wie man überhaupt Fahrrad fährt.
    "Ich saß mit 14 das erste Mal auf dem Rad. Das ist eher spät, würde ich sagen. Ich bin ständig gestürzt."
    Mit 13 Jahren ist Songezo zum Vollweisen geworden und zu seiner Tante nach Masiphumelele gezogen, ein Township in der Nähe von Kapstadt. Dass er zum Radsport gekommen ist, war Zufall.
    "Ich habe mir den Cape Argus angeschaut. Ein Radrennen, das praktisch an unserer Hütte vorbeifährt. Da hat einer der Fahrer gehalten und sich mit dem Mann neben mir unterhalten. Den habe ich danach gefragt: Kennst Du den Typen? Er hat gesagt: Klar, der wohnt auch hier im Township. Da habe ich gesagt: Ich will auch Radrennfahrer werden! Wie geht das? Wir haben Nummern ausgetauscht und am nächsten Tag bin ich zum Radclub hier gegangen, habe ein Rad bekommen und durfte loslegen."
    Sein Aufstieg war rasant. Schon nach drei Jahren war er so gut, dass er mit anderen Talenten nach Europa eingeladen wurde, um sich die Tour de France anzuschauen: "Ich kannte damals nur Südafrika, ich habe nie die ganze Größe des Radsports gesehen. Als ich 2008 bei der Tour war, habe ich gesehen: Der Radsport in Europa ist riesig! Da war mir klar: Ich möchte hier Profi werden."
    Songezo hat sich durchgebissen. Er ist kleine Rennen in Europa gefahren, wurde Sechster bei den afrikanischen Meisterschaften. Seit zwei Jahren ist der Junge aus dem Township jetzt Profi bei MTN-Qhubeka. Wenn er sich weiter so entwickelt, könnte vielleicht er der erste schwarze, afrikanische Radweltmeister überhaupt werden, meint sein Teamchef Doug Ryder.
    "Songezo muss noch hart arbeiten. Schließlich fährt er erst seit zehn Jahren Rad, das ist ziemlich wenig verglichen mit anderen. Aber er ist mit 24 immer noch jung. Wenn er weiter macht wie bisher, hat er in zwei, drei Jahren definitiv die Möglichkeit dazu."
    Ein Traum geht in Erfüllung
    Sein "Tour de France"-Traum wird sich für Songezo in diesem Jahr aber nicht erfüllen. Er sei noch nicht so weit, meint Doug Ryder. Auch Gerald Ciolek aus Köln ist nicht dabei. Seine Ergebnisse in diesem Jahr seien nicht gut genug gewesen. Dafür geht das Team MTN-Qhubeka mit fünf Afrikanern an den Start: drei aus Südafrika, zwei aus Eritrea. Das hat es bei der Tour noch nie gegeben. Teamchef Doug Ryder hat sich damit einen seiner zwei Träume erfüllt. Und freut sich wahnsinnig auf den Tourstart am 4. Juli.
    "Das ist unglaublich. Wir hatten diesen hochfliegenden Traum eines afrikanischen Teams bei der Tour und kaum einer hat an uns geglaubt. Für mich persönlich ist das phantastisch. Wenn wir uns am 4. Juli an der Startlinie aufstellen, glaube ich kaum, dass meine Augen trocken bleiben werden."