Pfiffe und Buhrufe kommen von den Zuschauern: "dehors", also "raus", schreien einzelne. Sie wünschen Chris Froome raus aus dem Rennen. Andere halten Schilder hoch, auf denen sie Froome mit Lance Armstrong, dem überführten Epo-Doper, gleichsetzen.
Bei Team Sky ist man alarmiert: "Ich fühle große Verantwortung für das Team, auch die Mitarbeiter, wenn sie in den Teamautos vor dem Peloton sind. Wir haben junge Frauen im Team, Fans, VIPs. Die fahren normalerweise allein herum. Aber das kann ich bei diesem Rennen nicht mehr so geschehen lassen. Und das stimmt mich sehr besorgt", meint Teamchef David Brailsford.
Der Waliser brach deshalb sogar einen echten Hahnenkampf mit UCI-Präsident David Lappartient vom Zaune. Er unterstellte dem Franzosen Parteilichkeit und mangelnden Schutz für sein Team. Vor Journalisten spielt er den Konflikt herunter. "Was ich versuche, ist, den Punkt auf die Agenda zu bekommen bei Leuten mit Einfluss. Das sind meistens Franzosen hier in Führungspositionen. Die können das Verständnis der Massen beeinflussen."
Pikant war, dass die Tour in Sarzeau Station machte - der Kleinstadt, in der der UCI-Präsident auch Bürgermeister ist. Brailsford nutzte die Gelegenheit zu einem deeskalierenden Ausritt: "Ich bin da selbst mit dem Rad herumgefahren. Es ist ein schöner Ort, ein sehr schöner Ort sogar. Und die Leute da machen ihre Aufgabe gut."
Sportliche Taktik vor Sicherheitsbedenken
Kann sein Schützling Chris Froome aber auch auf Frankreichs Straßen allein und ungestört unterwegs sein? Den Giro d'Italia gewann er zuletzt mit einer Alleinfahrt über 80 km. Ist so etwas gegenwärtig bei der Tour überhaupt möglich?
"Puh, die Sache ist, wenn du das Rennen gewinnen willst, musst du dir sagen: 'Ich fahre jetzt, in l'Alpe-d'Huez, all meinen Konkurrenten davon.' Dann glaubst du aber: 'Nein, heute ist nicht der richtige Tag dafür. Ich bleibe lieber mit unserem zweiten Mann zusammen, denn es ist nicht sicher.' So kann man nicht denken", sagt Nicolas Portal, sportlicher Leiter bei Sky.
Er will sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, die sportliche Taktik von Sicherheitsbedenken beeinflussen zu lassen: "Ich werde niemals zu Chris sagen: 'Chris, bleib im Feld, es ist zu gefährlich.' Ganz besonders nicht in einem Moment, in dem er die Tour gewinnen kann."
Der Ball liege nun bei der ASO, findet Portal. Besonders bei der so genannten "Holländerkurve" in l'Alpe-d'Huez" müsse etwas zur Besänftigung der traditionell überhitzten Fangemüter getan werden, meint er. "Manche Leute sind da etwas aggressiv. Nicht nur zu uns, zu allen anderen auch. Auch zu den Begleitfahrzeugen. Deshalb haben wir die UCI und die Rennorganisatoren gebeten, uns zu schützen. Denn sie organisieren das Event. Und sie haben dann auch die Verantwortung."
Die ASO selbst will auf Nachfrage von Deutschlandfunk keine besonderen Schutzmaßnahmen in l'Alpe-d'Huez oder bei anderen Bergetappen ergreifen. Die Organisatoren verlassen sich auf die bisherigen Vorkehrungen. Dazu gehören Absperrgitter an neuralgischen Punkten, insgesamt etwa 30.000 Polizisten sowie die 50 Motorradpolizisten, die das Feld und jede einzelne Ausreißergruppe begleiten. Solch eine Eskorte hätte dann auch der Solist Froome.
Deeskalierende Maßnahmen
Mit der ASO ist man bei Sky in Sachen Sicherheit derzeit auch zufrieden: "Um fair zur ASO zu sein: Sie sind in Gesprächen mit uns. Wir sind mehr als zufrieden. Sie tun alles, was sie können. Es ist auch nicht großartig für ihr Event, wenn man nicht in einem sicheren Umfeld antreten kann. Sie wissen das, wir wissen das. Sie tun alles, was sie können. Und wir begrüßen das."
Zu den deeskalierenden Maßnahmen der ASO gehörte zuletzt, dass an manchen Tagen beim Einschreiben Chris Froome gar nicht der Menge vorgestellt wurde. Er huschte auf die Bühne, trug sich ein, und war weg, bevor er aus der Entfernung erkannt und ausgebuht werden konnte. Der Titelverteidiger des Rennens - ein Phantom. Keine schöne Entwicklung.