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Radsport
Corona-Management der Tour de France unter Druck

Durcheinander bei der Tour de France: Manch positiv getestete Fahrer müssen die Rundfahrt verlassen. Andere können trotz Corona bleiben und sogar Etappen gewinnen. Belgische Sportärzte kritisieren derweil die Tests. Die Tour rollt aber weiter.

Von Tom Mustroph |
Fahrer auf einer kurvenreichen Bergstrecke während der 10. Etappe der Tour de France
Im Peleton fährt das Misstrauen mit - die Kontrollen auf Mechanisches Doping während der Tour de France halten einige für mangelhaft (picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Kaum ein Tag vergeht ohne Nachrichten von der Corona-Front. Zuletzt musste der französische Bergspezialist Warren Barguil das Rennen wegen eines positiven Tests aufgeben. Gleich drei Fahrer wurden im Team von Titelverteidiger Tadej Pogacar positiv getestet. Einer konnte vor dem Grand Depart ausgetauscht werden. Ein zweiter ging während der Tour von Bord. Der dritte Fahrer, Pogacars wichtigster Helfer Rafal Majka, durfte bleiben. Eine Ärztekommission entschied, dass seine Infektion so mild sei, dass kein Ansteckungsrisiko bestehe.
Die Regelung wurde unmittelbar vor dem Grand Depart in Kopenhagen vom Weltverband UCI beschlossen. Sie ist eine Lex Tour, wie auch Richard Plugge, Chef des Rennstall Jumbo-Visma, unumwunden zugibt: "Andernfalls wäre es wie bei der Tour de Suisse. Wir hätten 50 Fahrer positiv und raus aus dem Rennen. Das würde heißen, man kommt in Paris mit fünf Fahrern an."
Bei der Tour de Suisse, einem einwöchigen Tourvorbereitungsrennen im Juni, mussten mehr als 50 Profis vorzeitig abreisen. Entweder waren sie selbst positiv getestet oder ganze Teams reisten ab, um die Tourvorbereitung nicht zu gefährden. Eine vergleichbare Ausfalldynamik würde bei drei Wochen Tour de France tatsächlich zu einem Mini-Peloton auf den Champs Elysees führen.

Regelung hat vor allem wirtschaftliche Hintergründe

Die Regelung hat deshalb vor allem wirtschaftliche Hintergründe. Aber auch Mediziner tragen sie mit. Die Medical Commission der UCI und viele Ärzte im Peloton finden die Regel angemessen. Die Impfquote im Feld sei hoch, und der Krankheitsverlauf bei der aktuell vorherrschenden Virusvariante eher mild.
Camiel Aldershoff, Teamarzt beim Rennstall DSM: "Ich denke, die UCI hat gemeinsam mit der Kommission gute Regelungen getroffen. Zwei unabhängige Personen kümmern sich um jeden Fall. Man muss differenziert darauf schauen. Wenn man an Covid infiziert ist, und einen positiven Test hat, aber selbst völlig gesund ist, dann gibt es kein erhöhtes Ansteckungsrisiko."
Manchen Fahrern und Betreuern ist aber schon etwas mulmig bei der Vorstellung von mehreren Stunden Leistungssport in einer kollektiven Atemwolke gemeinsam mit positiv getesteten Fahrern.

"Es ist chaotisch"

"Im Feld kann man wenig dagegen tun. Es ist chaotisch. Und man kann sich nicht das Rad aussuchen, hinter dem man herfährt. Es ist wirklich schwer und unbekanntes Gebiet", erzählt Gabriel Rasch, sportlicher Leiter des Team Ineos. Die meisten Tour-Teilnehmer nehmen die Regelungen aber hin, wie sie auch andere Regeln des Weltverbands entgegennehmen: Lakonisch.
"Ganz ehrlich, das liegt überhaupt nicht in meiner Hand, ich kann das nicht ändern. Deswegen versuche ich, mir da keinen Kopf zu machen", sagt Alexander Krieger vom Team Alpecin Deceuninck. "Die Tour ist anstrengend genug, und ich muss mir über zu viele Sachen einen Kopf machen. Ich bin da auch nicht wissenschaftlich ausgefuchst genug, um zu sagen, wenn der CT-Wert über 30 ist, dann ist es ok, keine Ahnung, nehme ich hin."
Wer die Regelung begrüßt, findet natürlich statistische Daten zur Unterfütterung. Jumbo – Visma-Chef Richard Plugge: „In den Niederlanden gibt es eine Menge Musikfestivals mit vielen, vielen Zuschauern. Etwa 20 Prozent kommen da positiv raus. Das bedeutet aber auch, 80 Prozent bleiben negativ. Es ist also möglich, sich nicht zu infizieren, obwohl man in großen Gruppen zusammen ist.“
Das Tour-Peloton blieb bislang unter dieser 20-Prozent-Marke an Infektionen. Das könnte ein Erfolg der Hygieneregeln bei der Tour sein.

Kritik an Test-Durchführung

Der belgische Sportärzteverband SKA befürchtet allerdings einen anderen Grund für die vergleichsweise niedrige Infektionsrate. Laut einem Bericht der Zeitung Het Nieuwsblad wirft der Verband Tourveranstalter ASO vor, die Coronatests nicht fachgerecht durchzuführen. Die Stäbchen würden nicht tief genug in die Nase gesteckt. Die ASO wollte diesen Vorwurf nicht kommentieren.
Stimmen die Informationen der belgischen Sportärzte, dann gerät der Großversuch der Tour, Corona zu normalisieren, in eine Schieflage.
Jumbo-Visma-Teamchef Richard Plugge plädiert zumindest für ein neues Verständnis der Erkrankung: "Wir müssen darauf gucken, als sei es eine normale Grippe, abgesehen natürlich von den Vorsichtsmaßnahmen. Aber wir sollten es als Grippe ansehen, und genau das tun wir. Und wenn jemand krank ist, sollte er natürlich raus. Man kommt auch nicht die Berge hoch, wenn man krank ist."

Keine Auskunft über positiv getestete Fahrer

Wie viele positiv getestete Fahrer aktuell noch mitfahren, verraten Tourorganisator ASO und die Teams nicht. Rafal Majka hatte zuletzt Probleme, seinen Kapitän Pogacar im Finale zu begleiten. Bob Jungels, auch positiv und im Rennen, gewann hingegen eine Touretappe.
Mit aktuell noch 159 Fahrern, etwa 450 Betreuern und über 4.000 Journalisten und Mitarbeitern der Organisation stellt die Tour de France einen Großversuch dar. Um als sozial-medizinisches Experiment ernst genommen zu werden, muss die Datenlage aber transparenter werden.