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Tour de France
Das späte Karriereglück des André Greipel

Der Brite Christopher Froome gewinnt zum zweiten Mal die Tour de France, aber auch die deutschen Radprofis verblüffen. Fünf Etappensiege haben sie errungen, das gelbe und das grüne Trikot getragen. Allen voran der Sprinter André Greipel mit drei Etappensiegen. Eine späte Genugtuung für den Rostocker.

Von Tom Mustroph |
    Andre Greipel freut sich über seinen Etappensieg.
    Nach seinem dritten Etappensieg sagte Greipel: Um zu gewinnen, braucht man auch ein starkes Team. (picture alliance / dpa / Bas Czerwinski)
    Christian Prudhomme, Direktor der Tour de France, bemüht schon Gary Lineker, um die deutsche Radsport-Übermacht zu beschreiben: "Bei der Tour de France ist es wie im Fußball: Am Ende gewinnt immer Deutschland."
    Der schnellste Mann der Tour
    André Greipel hieß der große Favorit vor dem Massensprintfinale. Drei Etappen hatte André Greipel vor dem heutigen Finale bereits gewonnen, trat in die Fußstapfen von Marcel Kittel. Greipel überflügelte den Erfurter sogar in der Gesamtbilanz. Für ihn stehen neun Tour-Etappensiege zu Buche, für Kittel acht. Er ist unumstritten der schnellste Mann der Tour. Sein Teamchef Marc Sergeant stellte schon vor der Schlussetappe fest:
    "Das ist das Geringste, was man sagen kann. Er hat drei der vier Sprints hier gewonnen, davon einen gegen Cavendish verloren, der ihm nachher noch sagte: 'Danke, André, Du bist ein Gentleman. Ich hätte nicht gewinnen können, wenn du den Weg nicht freigegeben hättest.' Dann kann man wirklich sagen, dass er der Beste ist. Er würde Ihnen das nie so sagen. Aber ich kann das."
    Genau. Greipel selbst würde dies öffentlich niemals behaupten. Nach seinem dritten Etappensieg hier meinte er bescheiden: Um zu gewinnen, braucht man auch ein starkes Team.
    Spätes Glück für Greipel
    Für den 33-jährigen Greipel bedeutet diese Tour spätes Glück. Er ist älter als seine wichtigsten Kontrahenten Mark Cavendish und Marcel Kittel - und schien verdammt, seine Karriere in ihrem Schatten zu fristen. Mit Cavendish fuhr er lange sogar in einem Team. Schnell waren beide - und deshalb Konkurrenten. Wie löst man das? Brian Holm, der bei Team Highroad beide betreute:
    "Ah, das war einfach. Wir haben sie einfach nicht in die gleichen Rennen gesteckt. Jetzt kommen sie gut miteinander aus. Aber sie waren Sprinter, und beide sehr ehrgeizig. Und du weißt, wie es geht: Ein Journalist fragt sie, verdreht etwas die Worte, geht zum anderen und fragt: Ah, hast du gehört, was er über dich gesagt hat? - Was?, fragt der dann und geht in die Luft. Und der Journalist hat eine gute Story. Natürlich ist das besser für die Presse als für das Team."
    Die Geschichte, die der Beziehung den Tiefpunkt versetzte, ereignete sich beim Giro d'Italia 2008. Greipel war Anfahrer für Cavendish. Der Brite gewann so zwei Etappen. In Locarno war aber Greipel vorn. Aufgrund seiner Endgeschwindigkeit, meinte der Rostocker. Weil er ihn gnädig gelassen habe, behauptete der Zweitplatzierte Cavendish. Die Story, die niemals gut für ein Team ist, schrieb sich von ganz allein.
    Größter Konkurrent einst im eigenen Team
    Seitdem gab es meist getrennte Wege für die beiden. Das erstklassige Rennprogramm mit der Tour de France fuhr Cavendish. Im Zweitklassigen, mit Giro und Vuelta, startete Greipel. Zur Tour kam André Greipel erst, als er zu Team Lotto wechselte. Der drei Jahre jüngere Kontrahent hatte schon 15 Etappen bei der Tour de France gewonnen, als Greipel zum ersten Mal in Frankreich an den Start ging. Der bullige Rostocker holte dann seine Siege. Cavendish auch. Beide sind unterschiedliche Sprintertypen.
    "Schauen Sie sich Greipel an: Er sieht wie Schwarzenegger aus. Er ist der klassische kraftvolle Sprinter. Cav ist das genaue Gegenteil. Er ist kein Terminator. Sein Vorteil ist, dass er kleiner auf dem Rad ist. Er bekommt zwar weniger Watt auf die Pedale. Aber er kriegt auch weniger Wind ab und kann deshalb schneller sein, auch wenn er weniger Kraft aufwendet."
    Öffentlich blieb Greipel im Schatten von Cavendish. Und dann kam plötzlich Marcel Kittel. Sechs Jahre jünger als Greipel und mit einer ähnlichen Charakteristik.
    "Kittel und André, das sind die beiden mit der höchsten Geschwindigkeit. Cav hat die Fähigkeit, wegzuspringen, diese einmalige Beschleunigung. Cav macht aus, dass er das sogar zwei Mal kann. Und wenn Cav das nicht machen kann, dann gewinnt der Schnellste, und das ist André", sagt Helge Riepenhof, einst Teamarzt bei Highroad, jetzt in dieser Funktion bei Cavendishs Rennstall Etixx Quickstep und außerdem Arzt der deutschen Nationalmannschaft. Er kennt sie gut, die aktuelle Sprintelite um André Greipel.
    Keine übermenschlichen Leistungen
    Mehr als 1.000 Watt können die Beine von beiden treten. Für kurze Zeit nur, deshalb gibt es bei Sprintern nicht die gleiche Diskussion um Leistungsmessung und Dopingverdacht wie etwa bei Chris Froome. Greipels Plus in diesem Jahr gegenüber der Konkurrenz: Selbstbewusstsein durch frühe Siege.
    Noch einmal Brian Holm: "Ich denke, es ist oft so mit Sprintern, er hat jetzt mehr Selbstbewusstsein. Er war immer gut. Cav hat etwas Selbstbewusstsein verloren. Und ist Greipel stolz auf seine Arbeit, ist selbstsicher. So geht das."
    Den mentalen Aspekt bewertet Holm mit einem halben, maximal einem Prozent. Man ist nicht schneller dadurch, aber man trifft schneller die besseren Entscheidungen im hektischen Finale. Das begünstigt neue Siege.
    Greipel gehört zu den deutschen Profis, die für schärfere Dopingkontrollen sind. Da ist der Radsport mal anders als der Fußball.