Auch über 100-Jährige können sich ändern. Die 107. Tour de France beginnt mit einem Novum. Das bezieht sich dieses Mal nicht auf Corona, sondern ist unabhängig davon. Die Siegerehrung wird in diesem Jahr gendergerecht vorgenommen. Eine Frau und ein Mann beglückwünschen gemeinsam die Sieger. Es ist das Ende der Podiumgirls, der jungen Hostessen, die nur Staffage waren.
"Das ist ein großes Ergebnis, ein unerwartetes Ergebnis. Wir freuen uns sehr darüber."
Wer sich hier so freut, hat selbst großen Anteil an diesem Ergebnis. Tamara Danilov, Fahrradkurierin und Psychologiestudentin aus Berlin, hat mit einigen Freundinnen die Kampagne zur Abschaffung gestartet.
Wer sich hier so freut, hat selbst großen Anteil an diesem Ergebnis. Tamara Danilov, Fahrradkurierin und Psychologiestudentin aus Berlin, hat mit einigen Freundinnen die Kampagne zur Abschaffung gestartet.
"Wir haben die Petition im Mai 2019 gestartet. Sie wurde zum Start der Tour de France plötzlich viral. Das war, davon gehen wir aus, weil ein paar Prominente das im Fernsehen und Twitter erwähnt haben."
Petition an das größte Rennen der Welt
Aber auch die Gruppe um die in Russland geborene Danilov war schwer aktiv, haben immer wieder in den sozialen Medien gepostet. Sie haben sogar den Tourorganisator ASO in Paris aufgesucht. Tour-Boss Christian Prudhomme fand aber den Weg von seinem Büro hinunter zu ihnen auf die Straße nicht. Umso größer ist die Freude, dass die Tour ihrer großen Forderung dennoch nachgekommen ist.
Begonnen hat der Protest übrigens in Berlin. Danilov und ihre Freundinnen hatten sich daran gestört, dass auch beim Berliner Sechstagerennen, Frauen lediglich als Begrüßungstatuen eingesetzt wurden. Sie wollten erst gegen die Veranstalter dort protestieren. Dann aber dachten sie größer.
"Warum machen wir es nicht einfach so, dass wir die Petition an das größte Rennen der Welt richten. Und wenn sie das umsetzen, dann werden alle Rennen der Welt diesem Beispiel folgen. Lass uns das einfahch machen. Und dann haben wir es gemacht."
Nächste Forderung: Tour de France der Frauen soll kommen
Mit Erfolg. In der Rennfahrerwelt ist die Reaktion darauf allerdings eher zurückhaltend. John Degenkolb, einmal bereits Etappensieger bei der Tour de France:
"Ich glaube, dass es der Lauf der Zeit ist, und dass es ganz gut ist."
Ralph Denk, Chef des deutschen Rennstalls Bora hansgrohe:
"Ich kann da nur meine persönliche Meinung äußern. Ich finde, dass man da ein bisschen über das Ziel hinausschießt. Aber vielleicht ist es auch zeitgemäß. Ich persönlich hätte es schon sehr gern so gesehen, dass es gewesen wäre wie immer."
Die Zeiten ändern sich aber, selbst bei Traditionsrennen.
Zum Grand Depart der Tour de France in Nizza ist Danilov übrigens auch angereist. Denn alle Forderungen sind noch nicht erfüllt. Sie hält am Start ein Banner mit der Aufschrift "Giveus a proper Tour de France for women" hoch. Aktuell gibt es nur La Course, ein Eintagesrennen für Frauen, in diesem Jahr kombiniert mit dem Grand Depart der Männer. Es gewann die frühere Weltmeisterin Elizabeth Deignan.
Für 2022 hat UCI-Präsident David Lappartient eine echte Tour de France der Frauen angekündigt. Danilov nimmt diese Willensbekundung aber mit Skepsis auf.
"Sie werden wahrscheinlich ein paar mehr Etappen machen. Aber sie werden keinen gestaffelten Start machen, so dass es nicht die gleiche Route ist und sie nicht von gleichen Fans supportet und auch nicht im Fernsehen parallel zu den Männnern gezeigt werden. Das glaube ich nicht, nein."
Keine Aktivistinnen, nur eine Frauenfahrradgruppe
Deshalb hält Danilov das Banner mit der Forderung nach einer echten Tour de France für Frauen hoch. Die Zeit sei reif dafür. Ihren Kampf, um das zu erreichen, führen Danilov und ihre Mitstreiterinnen gewissermaßen nebenbei.
"Ja, ich möchte gern betonen, das wir keine Aktivistinnen sind. So identifizieren wir uns nicht. Wir sind nur eine Frauenfahrradgruppe aus Berlin, die aus Spaß zusammen sind und wir sind auch kein professionelles Sportteam. Wir haben keine Sponsoren, wollen das explizit nicht haben. Wir treffen uns zum Fahrrad fahren und um einen sicheren Raum zu haben, um unsere Frauensachen zu besprechen."
Zu den "Frauensachen" gehört dann eben auch, Druck auf die Tour de France ausüben. Nach dem Grand Depart wird Danilov übrigens wieder selbst aufs Rad steigen - und die malerische nördliche Mittelmeerküste bis Genua unter die Pedalen nehmen.
Denn ein bisschen Rennfahrerinnenblut fließt auch in ihren Adern: Einige Male hat sie an Meisterschaften für Fahrradkuriere teilgenommen - den echten Proletarierinnen und Proletarier im Radgeschäft also.