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Tour de France Femmes
Etappenrennen auf neuem Niveau

Der Neustart der Tour de France Femmes schließt direkt an das Männerrennen an, in verkürzter Form, aber unter dem gleichen Rennorganisator. Die Idee: Das Highlight im Männer-Radsport soll auch Zugpferd für die Frauen sein. Kurz vor Ende der Tour stellt sich die Frage, was diese Neuauflage bewirken kann.

Von Tom Mustroph |
Die Niederländerin Marianne Vos im Gelben Trikot gewinnt die sechste Etappe der Tour de France und baut ihre Führung in der Gesamtwertung aus. Sie hebt jubelnd ihren Arm.
Die Tour de France Femmes kann neue weibliche Vorbilder schaffen, wie die Niederländerin Marianne Vos im Gelben Trikot. (AP / Jean-Francois Badias / dpa-Bildfunk )
119 Jahre nach der ersten Tour de France der Männer gibt es in diesem Juli die erste Tour de France der Frauen. Ein Ereignis, vor allem für die Teilnehmerinnen. Marlen Reusser, Siegerin der vierten von insgesamt acht Etappen:
„Es ist schon was Spezielles. Es sind sehr viele Leute da, um da zuzuschauen, auch in den Dörfern, in den Anstiegen. Das macht schon Freude, das zu sehen. Es ist schon eine spezielle Atmosphäre und macht total Spaß.“

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Für den Frauenradsport selbst ist diese Tour ein Meilenstein. Etappenrennen kennen die Profisportlerinnen zwar zu Genüge. Vor drei Wochen endete der Giro d’Italia – die bislang bedeutendste Rundfahrt der Frauen, und mit zehn Etappen auch deutlich länger.

Tour-Austragung auf einem neuen Niveau

Jetzt aber wird sie von der neuen Tour de France überstrahlt. Die Infrastruktur wird von der ASO gestellt, dem Ausrichter der Männertour. Das Marketing kommt ebenfalls von dort. Die Übertragungsrechte sind in mehr als 190 Länder verkauft.
"Grundsätzlich ist es ein komplett neues Niveau für uns. Von der Beachtung, von dem ganzen Drumherum, der Zuschauerkulisse. Es ist ein neuer Standard, der gesetzt wird, ganz einfach", sagt daher Ronny Lauke, Chef von Canyon SRAM Racing dem einzigen deutschen WorldTour-Rennstall. Die Erwartungen auf einen weiteren Entwicklungsschub durch die Tour sind riesig.

Weibliche Vorbilder werden geschaffen

Marion Rousse, die Chefin der Frauentour, sieht das natürlich ähnlich. Sie findet vor allem gut, dass junge Mädchen, die vom Radsport fasziniert sind, jetzt auch weibliche Vorbilder haben. Bei ihr, die selbst Profi war, war dies nicht der Fall, erinnert sie sich:
"Ich habe mit sechs Jahren mit dem Radsport begonnen. Und ich musste mich damals mit den Männern identifizieren. Meine Vorbilder waren Robby McEwen und Erik Zabel. Beim Sprint habe ich mir immer vorgestellt, sie zu sein. Aber jetzt können die Mädchen sich sagen: Ich bin wie Marianne Vos oder Elisa Balsamo oder Lorena Wiebes. Das ist genial."
Lorena Wiebes gewann zwei Sprintetappen bei dieser Tour und trug als erste das Gelbe Trikot. Marianne Vos folgte ihr in Gelb und gewann eine Etappe. Elisa Balsamo ist die amtierende Weltmeisterin.
Die Niederländerin Lorena Wiebes gewinnt den Massensprint.

Erwartungen müssen mit Entwicklung Schritt halten

Rennchefin Rousse tritt bei aller Begeisterung aber auch auf die Erwartungsbremse: "Wir müssen erst einmal diese erste Ausgabe zu Ende bringen und dann schauen, was man nachbessern muss. Es ist eine Rundfahrt über 8 Etappen, das steht im Einklang mit dem Weg des Frauenradsports, der sich sehr stark entwickelt hat. Aber das ökonomische System bleibt noch recht schwach im Moment."
Eine Dauer über drei Wochen wie auch das Männerrennen hält Rousse ohnehin nicht für realistisch in naher Zukunft. Frauenrennställe sind personell dünner besetzt als Männerrennställe und können deshalb nicht gleichzeitig laufende Rennen bestücken. Drei Wochen, die für die Tour blockiert wären, würden außerdem anderen Rennen Platz wegnehmen.
Die große Frage ist: Muss der Frauenradsport in allem unbedingt so werden wie der Radsport der Männer?

Eigene Zielsetzungen im Frauenradsports

Manche Lücke ist noch enorm groß. Jonas Vingegaard, Gewinner der Tour de France der Männer vor einer Woche, bekam allein für sein Gelbes Trikot mehr als das Doppelte an Preisgeldern, die für das komplette Feld der Frauenrundfahrt von Sponsoren zur Verfügung gestellt werden. Wann wird es da den Gleichstand geben? Radprofi Marlen Reusser sagt dazu: "Ich habe keine Glaskugel. Ich kann es nicht sehen."
Die Schweizerin ist aber zutiefst überzeugt, dass dieser Moment kommen wird. Zugleich plädiert sie für eine ganz eigenständige Entwicklung des Frauenradsports.
"Die Frage ist aber auch, wird er mal gleich groß wie der Herrenradsport? Ist das das Ziel? Ist das das Maß? Von mir aus muss man das nicht immer 1 zu 1 vergleichen."
Die promovierte Ärztin, die als Späteinsteigerin zum Elite-Radsport kam, sieht ganz eigene Felder, in denen sich der Frauenradsport auszeichnen könnte.
"Vielleicht können wir ja auch Dinge vorleben, die der Männersport noch nicht gemacht hat. Gerade in ökologischer Hinsicht sind einige Punkte, die man sicher besser machen könnte. Und vielleicht können wir im Frauenradsport da ja auch ein Vorbild sein. Ich denke, man muss nicht überall hinterherhinken, man könnte auch irgendwo vorausgehen."

Ökologisch ein Vorbild sein

Die Strukturen sind ohnehin kleiner. Ökologisch lässt sich da schnell Exzellenz herstellen, zumindest im Vergleich zum großen Zirkus Tour de France der Männer. Ronny Lauke ist seit mehr als einer Dekade im Frauenradsport unterwegs.
"Ich finde beispielsweise, dass es nicht zeitgemäß ist, dass alle Busse ihre 12,0 Liter-Motoren in den Innenstädten laufen lassen müssen, damit die Kimaanlage runtergekühlt wird. Ich glaube, da gibt es momentan bessere Technologien."
Lauke denkt an Solarpaneele für Klimaanlagen und Hybridmotoren für den Antrieb. Statt großer Busse benutzen viele Frauenteams ohnehin kleinere Wohnmobile. Laukes Rennstall ist auch aus ökologischen Gründen mit einem solchen Wohnmobil bei der Tour de France.
"Deswegen ist es mir lieber, wenn wir ein Wohnmobil mit einer vernünftigen Euronorm haben, das 14 Liter verbraucht anstatt einem Reisebus mit einer Euro 3-Norm, der vielleicht 25 Liter zieht."
Die erste Ausgabe der Frauentour sorgt momentan allerdings für andere Anreize. Einige Rennställe ersetzten die Wohnmobile, die sie sonst fahren, bei dieser Tour vor allem aus Prestigegründen mit alten, teils ausgemusterten und alles andere als sparsamen Bussen von Männerteams. Bedachtsam wachsen geht anders. Die Tour de France der Frauen sucht noch ihren Weg.